Einwanderungsgesetz - „Ohne ausländische Fachkräfte geht es nicht“

Deutschland hat eine wachsende Fachkräftelücke. Die vielen Flüchtlinge können diese nicht schließen, weil den meisten von ihnen die Qualifizierung fehlt. Deshalb ist ein modernes Einwanderungsgesetz nötig, sagt Jörg Dräger von der Bertelsmann-Stiftung

Vor allem in technischen Berufen fehlen qualifizierte Mitarbeiter / picture alliance
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Autoreninfo

Dr. Jörg Dräger, Jahrgang 1968, studierte Physik und BWL in Hamburg und New York. Von 1996 bis 1998 war er für die Unternehmensberatung Roland Berger in Frankfurt am Main tätig. Anschließend übernahm er die Geschäftsführung des neu gegründeten Northern Institute of Technology. Seit 2008 ist Dräger Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung. Foto: Arne Weychardt

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Deutschland braucht ein Einwanderungsgesetz. Diese Forderung mag politisch kontra-intuitiv erscheinen, schließlich kämpft unser Land noch mit den Folgen der hohen Fluchtzuwanderung der letzten Jahre, inklusive einer wachsenden Migrationsskepsis und dem Erstarken der rechtspopulistischen AfD. All das hat die Frage nach einer notwendigen Fachkräftemigration in der öffentlichen Debatte überlagert. Und auch bei den gescheiterten Sondierungsgesprächen für eine Jamaika-Koalition wurden Flucht- und Erwerbsmigration munter durcheinandergewürfelt.

Dabei fehlen schon heute qualifizierte Mitarbeiter vor allem in technischen Berufen und im Gesundheitssektor. 1,1 Millionen Stellen sind derzeit unbesetzt. Die Fluchtzuwanderung kann diese Engpässe nicht ausgleichen. Denn Flüchtlinge nehmen wir aufgrund unserer humanitären Verpflichtungen auf, nicht weil sie spezifische Qualifikationen mitbringen. Sie auszubilden und in den Arbeitsmarkt zu vermitteln, wird dauern.

Die Situation wird sich verschärfen

Qualifizierten Fachkräftezuzug verzeichnet Deutschland derzeit vor allem aus anderen EU-Staaten, doch der ganze Kontinent sieht einer Überalterung entgegen. Wir können uns deshalb langfristig nicht auf die Zuwanderung im Rahmen der EU-Binnenmobilität verlassen. Deshalb braucht unser Land mehr Fachkräfte aus dem außereuropäischen Ausland – und ein Einwanderungsgesetz kann helfen, diese zu gewinnen. Nicht nur Deutschland würde davon profitieren, sondern auch die Herkunftsländer: durch Wissenstransfer, Geldrücksendungen und soziale Beziehungen.

Die Situation in der Bundesrepublik wird sich weiter verschärfen, wenn die Babyboomer in Rente gehen. Die geburtenstärksten Jahrgänge (1962 bis 1966) bestehen aus rund sieben Millionen Menschen – die Jahrgänge von 2011 bis 2015 sind nur gut halb so groß. Diese demografische Verwerfung gilt es abzufedern. Schon jetzt wird viel getan: Die Menschen arbeiten länger, Bildungsinvestitionen steigen und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird besser.

Der Aufwand für potenzielle Zuwanderer ist zu groß

Diese Maßnahmen sind richtig. Aber sie reichen nicht aus: Ohne zusätzliche ausländische Fachkräfte wird es nicht gehen. Nur werden qualifizierte Arbeitskräfte aus dem außereuropäischen Ausland derzeit durch ein Wirrwarr von über 40 unterschiedlichen Einwanderungsregelungen abgeschreckt. Der Aufwand für Unternehmen und potenzielle Zuwanderer ist schlicht zu groß: Migrationswillige Fachkräfte suchen ihr Glück lieber woanders.

Deshalb benötigt Deutschland ein modernes Einwanderungsgesetz. Dieses muss an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes ansetzen, auch weil Arbeit der Integrationsmotor schlechthin ist und dies die Aufnahmebereitschaft der einheimischen Bevölkerung stärkt. Ein Einwanderungsgesetz braucht nicht einmal einen Systemwechsel: Ein Punktesystem wie in Kanada, das Zuwanderer nach bestimmten Kriterien auswählt, würde zum jetzigen Zeitpunkt keine Verbesserung bringen. Die Einführung wäre sehr aufwendig und im Zweifel würde es die Zuwanderung noch komplizierter oder sogar schwieriger machen. Ein neues Gesetz sollte auf fünf Prinzipien beruhen:

1. Effektivität

Da wir auch Fachkräfte mit Berufsausbildung brauchen, müssen wir Anreize für sie schaffen und sie nicht durch komplizierte und langwierige Verfahren zur Anerkennung ihrer ausländischen Berufsqualifikationen demotivieren. Ein modernes Einwanderungsgesetz sollte diesen Flaschenhals beseitigen. Zudem dürfen bislang nur ausländische Akademiker nach Deutschland zur Jobsuche kommen. Diese Regelung gilt es auf klassische Ausbildungsberufe auszuweiten.

2. Transparenz

Die bisherigen Einwanderungsregelungen müssen zusammengefasst, mit einem markanten Label wie etwa einer „Schwarz-Rot-Gold-Karte“ versehen und offensiv kommuniziert werden.

3. Attraktivität:

Menschen, die sich für ein Leben in der Bundesrepublik entscheiden, brauchen eine klare Perspektive für ein Daueraufenthaltsrecht und eine Einbürgerung. Hängepartien schrecken ab, ebenso wie die politischen Grabenkämpfe zum Doppelpass. Das Leben von Zuwanderern findet meist in zwei Ländern statt. Dies darf nicht durch die unnötige Entscheidung zwischen dem deutschen Pass und jenem des Herkunftslandes verkompliziert werden. Ein modernes Einwanderungsgesetz zwingt nicht, die biografischen Wurzeln zu kappen.

4. Effizienz

Ein neu zu gründendes Bundesministerium für Migration würde helfen, das Einwanderungsgesetz zielorientiert umzusetzen. Zudem benötigen die kommunalen Ausländerbehörden und die Visa-Stellen der Auslandsvertretungen mehr Ressourcen, um ihre Aufgaben zu erfüllen.

5. Legitimation.

Noch immer wird zu verdeckt und verschämt über nötige Einwanderungszahlen gesprochen. Ein offener, regelmäßiger Austausch über Zielkorridore im Bundestag könnte die teilweise überhitzte Diskussion abkühlen. Denn auch in Zukunft müssen wir die Personen gewinnen, die wir brauchen, und jenen Schutz geben, die uns brauchen. Der Erfolg einer neuen Bundesregierung wird entscheidend davon abhängen, ob sie dieser Aufgabe gewachsen ist.

Im Juli 2017 hat die Bertelsmann Stiftung den Sammelband „Faire Fachkräftezuwanderung nach Deutschland: Grundlagen und Handlungsbedarf im Kontext eines Einwanderungsgesetzes“ veröffentlicht, in dem verschiedene Autoren die Themenfelder Fachkräftezuwanderung und Einwanderungsgesetz aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchten.

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