Ehe für alle - Abgeräumt

Kolumne: Leicht gesagt. Mit der „Ehe für alle“ wollten SPD, Grüne und FDP die Bundeskanzlerin ins Stolpern bringen. Die SPD riskierte sogar den Vertrauensbruch in der Koalition. Warum sie nun alle gegen Angela Merkel verloren haben

Die flotte SPD will noch vor der Sommerpause über die „Ehe für alle“ abstimmen / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Wulf Schmiese leitet das „heute journal“ im ZDF. Zuvor hat er als Hauptstadtkorrespondent, jahrelang auch für die FAZ, über Parteien, Präsidenten, Kanzler und Minister berichtet.

So erreichen Sie Wulf Schmiese:

Anzeige

„Ende für alle“ wird es sich nun leicht sagen lassen beim Sommerhit „Ehe für alle“. Denn noch vor der Sommerpause wird das Thema politisch durch sein. Der Bundestag wird mit Mehrheit beschlossen haben, was Rot-Rot-Grün wie auch die außerparlamentarische FDP seit langem wollen. Sie alle wollten aber mit ihrer Forderung eigentlich etwas anderes: Angela Merkel damit vor sich hertreiben, besser gesagt: zum Stolpern bringen. Doch geriet alles etwas zu schnell, so dass am Ende die Treiber die Verlierer sein werden.

Grüne, FDP und SPD überboten sich mit der Koalitionsbedingung, die Ehe für alle müsse es geben. In der Union wussten auch die Konservativsten, dass nach einem Wahlsieg kein Halten sein würde bei diesem Thema. Schon wurde gegrübelt, zu welchem Preis man nachgeben würde.

Die flotte SPD

Doch das ist nicht mehr nötig. Weil die Kanzlerin das nun auf ihre Weise gelöst hat. Wohl unfreiwillig, wie die SPD vermutet. Denn als sie am Montag im Rahmen eines öffentlichen Talks mit Redakteurinnen der Frauenzeitschrift Brigitte von einem Thüringer im Publikum freundlich gefragt wurde, wann er endlich eine Ehe mit seinem Lebenspartner eingehen könne, stammelte sie eine folgenreiche Antwort. Für sie gehe es in dieser Frage „eher in Richtung einer Gewissensentscheidung“, als dass der Mehrheitsbeschluss einer Partei durchgesetzt werden solle.

Das zündete, und zwar bei der SPD. Dann könne man ja sofort abstimmen, krakeelten die Koalitionäre vorlaut. Merkel habe wohl gedacht, diese Legislaturperiode sei gelaufen und sie könne das schon ewig unentschiedene Thema mit in die nächste Regierungsphase schieben. Doch nicht mit der flotten SPD.

Letzte Bastion der Konservativen fällt

Vertan oder nicht, Merkel jedenfalls machte aus der Not eine Tugend. Oder sie hat zumindest vor ihren eigenen Leuten so getan, dass sie von der Getriebenen zur Treiberin werden musste. Am Dienstag erklärte sie der CDU/CSU-Fraktion, das Thema werde freigegeben. Jeder solle nach seinem Gewissen entscheiden.

Viele Unions-Abgeordnete waren erstaunt, dass eine letzte Bastion der Konservativen so ratzfatz geschleift werden sollte. Einige versuchten, es historisch wie theologisch zu verhindern. Die Ehe sei eine vorstaatliche Institution, aus der Kinder hervorgehen sollen. Und das gehe nun einmal nur aus dem Bündnis von Mann und Frau. Andere fürchteten schlicht, den christlichen Demokraten im heimischen Wahlkreis erklären zu müssen, dass nach dem Ende der Kernkraft, der Wehrpflicht, der Binnen-Grenzen nun noch ein linker Stein mehr den Regierungsweg Merkels pflastere.

Vertrauensbruch in der Koalition

Ihr treuer Volker Kauder versuchte im Sinne seiner Fraktion gegen das Vorhaben der SPD zu wettern. Die Union sei gegen eine Abstimmung vor der Bundestagswahl, sie wolle das intern umstrittene Thema erst ausführlich diskutieren. Die SPD betreibe „Vertrauensbruch“.

Was insofern stimmt, als eine Klärung der lange ausstehenden Frage nach der „Ehe für alle“ im Koalitionsvertrag nicht vereinbart ist. Und dieser Vertrag ist zum Vertragen da in der Koalition. Wer dagegen verstößt, riskiert Streit oder gar mehr. „Wir könnten die SPD nun rauswerfen aus der Regierung – all ihre Minister“, sagt einer von Merkels Wichtigsten im Kabinett. „Aber diesen Gefallen werden wir denen nicht tun.“ Denn dann werde das kleine Thema riesengroß und überschatte den ganzen Wahlkampf. Stattdessen: abräumen.

Widerstand ist reine Schau

Der Widerstand ist nun ein Schaukampf. Auch die härtesten Gegner der „Ehe für alle“ wissen, dass sie damit nie mehr durchs Ziel reiten können. Ihr Trost aber ist: Sie können dagegen sichtlich bis zum Schluss kämpfen. Sichtlich, nachdem der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann eine namentliche Abstimmung gefordert hat. Umso besser also für die Gegner. Denn theoretisch kann es sich die ganze Unions-Fraktion leisten, mit Nein zu stimmen. Daheim können sie dann den Empörten sagen: Was sollten wir machen gegen eine rot-rot-grüne Mehrheit? Tatsächlich werden viele froh sein, das schwierige Thema los zu sein. Und sie müssen auch nicht fürchten, dass ihnen Enttäuschte von der Fahne gehen. Denn wohin? Zur AfD, deren lesbische Spitzenkandidatin Alice Weidel mit ihrer Lebenspartnerin zwei Kinder hat?

Chaos als Strategie?

Im Wahlkampf haben nun alle anderen Parteien ein Alleinstellungsmerkmal weniger. Und zwar eines, auf das sie bei der Union zielen wollten. Mobilmachen dagegen hat nun keinen Zweck mehr.

Merkel hat hier „asymmetrische Demobilisierung“ vom Feinsten bewiesen. Ob bewusst oder aus Versehen, ist nachrangig. Im Rückblick kann auch Chaos wie Strategie wirken.

Anzeige