Doppelpass - Die Beinfreiheit der Kanzlerin

Man kann gute Argumente für oder gegen die doppelte Staatsbürgerschaft finden. Angela Merkel und die CDU sind aber dafür und dagegen zugleich. An dem Symbolthema offenbart sich, dass Kandidatin und Partei nicht mehr zusammenpassen

Angela Merkels größter Gegner im Bundeswahlkampf wird die CDU selbst sein / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Man kann aus sehr guten Gründen gegen den Doppelpass sein, ich bin es im Übrigen auch. Sie enthebt die jungen, in Deutschland aufgewachsenen Menschen der Entscheidung, sich als Staatsbürger des Herkunftslandes ihrer Eltern oder des Landes zu verstehen, in dem sie aufgewachsen sind. Die Optionspflicht, mit einer eindeutigen Entscheidung nach einem gewissen Zeitraum, scheint mir schlüssiger. Sie ist so etwas wie die Konfirmation oder die Firmung: Ich bestätige eine eindeutige Entscheidung, in diesem Fall für einen Staat, die ich in jungen Jahren noch nicht treffen konnte. Alles andere ist eine Staatsbürgerschaft der partiellen Unverbindlichkeit. Eine Staatsbürgerschaft de luxe, für die kein Anlass besteht.

Eine Staatsbürgerschaft ist ein eheähnlicher Bund zwischen einem Menschen und einem Gemeinwesen, der meistens qua Geburt eingegangen wird. Wer die Mehrstaatlichkeit propagiert, sollte dann konsequenterweise auch die Mehrehe zulassen. Dafür spräche ja auch manches. Man ist nicht so auf ein Dasein festgelegt, hat mehr Abwechslung und kann sich jeweils das Beste der jeweiligen Partnerschaft herauspicken.

Man kann natürlich auch aus einigen guten Gründen für die doppelte Staatsbürgerschaft sein. Als wichtigster fiele mir ein, dass die jungen Deutschtürken dem Staat besonders dankbar sind, der ihnen diese schwere Entscheidung erspart hat.

Es kriselt in dieser Ehe

Man kann also, kurz gesagt, mit guten Argumenten für oder gegen den Doppelpass sein. Aber eines kann man nicht sein: dafür und dagegen zugleich.

In dieser paradoxen Rolle aber sind nun Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre CDU. Die Partei hat ihrer Chefin beim Parteitag bedeutet, dass sie mehrheitlich gegen die doppelte Staatsbürgerschaft ist. Die Kanzlerin teilte ihrer Partei umgehend übers Fernsehen, nicht am Rednerpult, mit, dass sie dieses Votum des obersten Parteigremiums der CDU nicht als bindend für ihre Regierungsarbeit ansieht.

Das ist ein doppelt dickes Ding. Die CDU begehrt gegen die Vorsitzende auf. Und die schert sich nicht drum

Vor allem aber ist es ein dickes Ding mit Blick auf die nächsten zehn Monate, also den Bundestagswahlkampf. An diesem Symbolthema erweist sich nämlich: Partei und Kandidatin passen nicht mehr zusammen. Sie bilden, um im Ehebild zu bleiben, allenfalls noch eine Zugewinngemeinschaft. Es hat in den vergangenen Jahren eine Entfremdung stattgefunden, die sich Bahn brechen musste. Und das unmittelbar bei dem Parteitag, bei dem die CDU ihre Chefin aufs Pferd für den Ritt in die vierte Amtszeit gehoben hat.

Der Wahlkampf wird zäh

Das Pferd aber lahmt auf mindestens zwei Beinen. Beinfreiheit hat seinerzeit der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück von seiner Partei gefordert. Er hat sie nicht bekommen. Die Genossen haben ihm eine Bola, jene Wurfwaffe zum Einfangen von entlaufenem Vieh, um die Beine geschleudert und ihn bewegungsunfähig gemacht. Keinen Zentimeter Beinfreiheit hatte er. Und geholfen haben sie ihm auch nicht.

Die CDU ist nicht die SPD. Die CDU hat ein gesundes Verhältnis zur Macht. Sie ist eine Machtmaschine. Deshalb wird die CDU ihre Chefin auch nicht in dem Maße auf den Marktplätzen verhungern lassen wie die SPD das letzte Mal ihren Steinbrück und vorher Frank-Walter Steinmeier auch schon.

Aber es wird zäh. Sehr zäh. Weil es nicht stimmig ist. Weil Partei und Merkel nicht mehr konsistent sind, weil sie nicht mehr zusammenpassen. Viele Abgeordnete, beileibe nicht nur aus der CSU, erzählen in diesen Tagen, dass ihre Leute im Wahlkreis sagen: „Merkel kleben wir nicht auf die Plakate. Für die verausgaben wir uns nicht.“

Merkels härtester Gegner

Da ist natürlich manches im Trotz und in Ohnmacht gesagt, was hinterher nicht so kommt. Sie werden den Kleisterpinsel schon schwingen. Aber ohne Leidenschaft. Pflichtschuldig. „Ihr müsst mir helfen!”, hat Merkel den Delegierten auf dem Parteitag zugerufen. Dabei denken sich angesichts ihres Kurses nicht nur in der Flüchtlingspolitik insgeheim viele von ihnen: „Dir ist nicht mehr zu helfen.“

Den härtesten Gegner in diesem Wahlkampf hat Angela Merkel nicht in der SPD oder ihrem noch zu findenden Kanzlerkandidaten. Den härtesten Gegner hat sie in ihrer eigenen Partei. Wie hat mal einer gesagt: Nur wer von sich selbst begeistert ist, kann auch andere begeistern. Die CDU ist zur Zeit überhaupt nicht von sich begeistert.

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