Doppelpass - Das Aufbäumen der alten CDU

Die Delegierten des Parteitages haben sich gegen den Doppelpass ausgesprochen und damit ihrer Parteivorsitzenden Angela Merkel die gelbe Karte gezeigt. Bemerkenswert: Der konservative Ruck ging von der jungen CDU-Generation aus

Die CDU hat in der Diskussion um den Doppelpass ein Zeichen gesetzt, mehr nicht. / picture alliance
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Was für ein Wirbel: Der CDU-Bundesparteitag hat einen Beschluss gefasst, der der Parteiführung nicht gefiel. Die große Vorsitzende wiederum erklärte öffentlich, dass sie diesen Beschluss für falsch halte. Dass Angela Merkel dies nicht vor den Delegierten tat, sondern vor Fernsehkameras, zeugt von einem seltsamen Parteitagsverständnis der Kanzlerin. Aber das ist, wenn man das Verhältnis Merkels zur Partei kennt, nicht überraschend. Sie will „Deutschland dienen“, nicht der CDU. Die ist nur Mittel zum Zweck.

Dennoch ist die Entscheidung der CDU, mit der recht freizügigen Verteilung von deutschen Pässen Schluss machen zu wollen, unter drei Aspekten interessant: dem Verhältnis der CDU zur Flüchtlingspolitik ihrer Vorsitzenden, der Überhöhung des Beschlusses durch die parteiinternen Merkel-Kritiker und der Kritik des Koalitionspartners SPD.

In Essen hat sich gezeigt, dass große Teile der Partei mit Merkels Kurs im Jahr 2015 höchst unzufrieden sind. Sie führen den Aufschwung der rechtspopulistischen AfD auch auf Merkels angegrünte „Wir schaffen das“-Politik und ihre Meinung von angeblich unkontrollierbaren Grenzen zurück. Das „Nein” zu der automatischen Doppelpass-Lösung für die Kinder von Migranten, die von der SPD in den Koalitionsverhandlungen durchgesetzt worden war, war sozusagen die Retourkutsche der Parteibasis zu Merkels „Das ist nicht mein Land“-Drohung. Merkel hat es nicht fertiggebracht, wenigstens einmal öffentlich einzugestehen, sie habe im Herbst 2015 im allgemeinen Willkommensrausch schwerwiegende Fehler gemacht – in guter Absicht zwar, aber mit negativen Folgen. Jetzt zeigten die Delegierten den Mut, den sie vor einem Jahr auf der Jubel-Veranstaltung in Karlsruhe nicht gehabt hatten – und Merkel die gelbe Karte. Man kann auch sagen: Die „alte CDU“ hat sich – endlich – einmal aufgebäumt.

Kein Zwang zu irgendetwas

Merkels Kritiker haben mit ihrer harten Haltung ein Zeichen gesetzt. Sie haben vor aller Öffentlichkeit demonstriert, was ohnehin kein Geheimnis ist: Merkel und ihre Regierungsmannschaft haben sich in der Flüchtlingspolitik um das Parteivolk nicht geschert. Und was macht Generalsekretär Peter Tauber? „His Mistress' Voice“ fühlt sich ohnehin nicht als Speerspitze der Partei gegenüber der eigenen, durch Koalitionskompromisse eingeengten Regierungsmannschaft, sondern eher als vierter Regierungssprecher: Merkel und Gabriel beschließen, die CDU folgt. Folglich ist Taubers Einsatz für den Doppelpass in Essen verpufft. Sein Glück: Seine Wiederwahl stand nicht an. Sonst hätte er den geballten Zorn der Partei noch deutlicher zu spüren bekommen.

Ironie der Geschichte: Tauber macht keinen Hehl aus seiner Einstellung, dass er auf die „alten, weißen Männer“ in der Partei gerne verzichten könnte. Den Doppelpass-Beschluss setzten indes drei jüngere Politiker durch: Finanzstaatssekretär Jens Spahn, Mittelstandschef Carsten Linnemann und der Vorsitzende der Jungen Union, Paul Ziemiak. Die drei denken und handeln so konservativ wie einst Tauber, als er noch nicht Merkels Sekretär war. So ändern sich die Zeiten.

Die CDU hat ein Zeichen gesetzt, mehr nicht. Denn natürlich gilt weiterhin der Koalitionsvertrag. Den abzuändern, ist wiederum mit der SPD nicht möglich. Deshalb wirkt es lächerlich bis grotesk, wenn konservative CDU-Politiker von der Kanzlerin ultimativ verlangen, sie müsse das „Nein” zum Doppelpass nunmehr innerhalb der Koalition zum Thema machen. Als Parteivorsitzende hat Merkel das Votum zu respektieren, als Kanzlerin muss sie hingegen gar nichts. Die CDU hat das „imperative Mandat“, wonach Regierende zu machen haben, was Parteitage ihnen aufgeben, stets abgelehnt – aus guten Gründen. Jetzt plötzlich verlangen ausgerechnet Vertreter des konservativen „Berliner Kreises“, dass Angela Merkel als Regierungschefin Parteibeschlüsse eins zu eins umsetzt. Das „imperative Mandat“ als Ausdruck innerparteilicher Demokratie? Irgendwie scheinen sie bei der CDU den Kompass verloren zu haben – nicht nur in der Flüchtlingspolitik.

Pseudo-Empörung bei der SPD

Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, wenn die SPD sich nun darüber erregt, dass die CDU-Delegierten in Essen nicht brav dem Parteiestablishment gefolgt sind. Ausgerechnet die Genossen, bei denen die „Beschlusslage“ von Parteitagen das Heiligste ist, was die Partei zu bieten hat. Selbst wenn Beschlusslage und Wirklichkeit meilenweit voneinander entfernt sind, gilt bei der SPD insgeheim der Grundsatz: Die Basis hat immer recht. Natürlich hat das Entsetzen der Genossen über den Koalitionspartner etwas Künstliches an sich. Denn die SPD weiß, dass die Union es nicht auf einen Bruch der großen Koalition anlegen wird. Deshalb hat die Union auch keinen Hebel, um der SPD wieder wegzunehmen, was sie den Genossen vor drei Jahren ohne nennenswerte Gegenleistung geschenkt hatte: Den Doppelpass für alle, die beides wollen – die Vorzüge, die die Heimat ihrer Eltern bietet, und obendrein die Segnungen eines deutschen Passes.

Die Pseudo-Empörung der SPD darüber, dass sich ihr großer Koalitionspartner eine eigene Meinung leistet, ist gespielt – und das nicht einmal gut. Einerseits tun die Sozialdemokraten so, als müsse sich selbst der CDU-Parteitag  mit seinen Beschlüssen am Koalitionsvertrag orientieren. Was für ein Unsinn! Zugleich aber praktizieren die Genossen selbst seit Wochen ein beispielloses Verhalten gegenüber dem Koalitionspartner CDU. Während man noch ein Jahr zusammen regieren muss, sind führende und weniger führende SPD-Politiker seit Wochen dabei, auf allen Ebenen mit Grünen und Linkspartei an dem Zukunftsmodell Rot-Rot-Grün zu basteln. Das Verhalten Sigmar Gabriels ähnelt einem Mann, der permanent fremdgeht, von seiner Frau aber die penible Einhaltung des Ehevertrags fordert. Glaubwürdigkeit sieht anders aus.

Erst im Wahlkampf relevant

Das mediale Entsetzen über den Anti-Doppelpass-Beschluss von Essen und die wohl kalkulierte Empörung der SPD hat einen simplen Hintergrund. Die Vorstellung, wer Deutscher werden wolle, solle sich auch zu Deutschland bekennen, ist beim Wahlvolk verbreiteter, als es den meisten Meinungsmachern lieb ist. Man muss eigentlich nicht Politik studiert haben, um zu erkennen, dass ein Zuwanderer nicht gleichzeitig Recep Tayyip Erdogan als seinen Präsidenten und Merkel als seine Kanzlerin sehen kann. Zudem steckt all den Vorkämpfern für den Doppelpass noch die Landtagswahl von 1999 in den Knochen. Damals stürzte die hessische CDU mit ihrer Kampagne gegen den Doppelpass die rot-grüne Landesregierung in Wiesbaden – gegen das Empörungsgeheul von Medien, Kirchenvertretern, Gewerkschaftern und Anwälten der Political Correctness. Was viele vergessen haben dürften: Damals stützte der CDU-Bundesvorsitzende Wolfgang Schäuble den Kurs Roland Kochs. Seine Generalsekretärin Angela Merkel konnte der Sache damals schon wenig abgewinnen. Dass der CDU ein Thema zugutekommt, das Angela Merkel nicht so recht behagt – neu wäre das nicht.

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