Die Linke in der Krise - Schlammschlachten und Grabenkämpfe

Der öffentliche Streit zwischen Sahra Wagenknecht und Katja Kipping ist das Sinnbild einer zerrissenen Partei. Die Linke muss sich für eine inhaltliche Ausrichtung entscheiden. Will sie die Partei der „kleinen Leute“ oder des urbanen Alternativmilieus sein?

Die Stimmung zwischen Katja Kipping und Sahra Wagenknecht ist derzeit alles andere als freundschaftlich / picture alliance
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Eigentlich war die linke Schlacht ja schon geschlagen, aber auch danach rauchten noch die Colts. Als der Parteivorsitzende Bernd Riexinger am späten Dienstagabend eine Pressekonferenz anlässlich der gerade beendeten Klausurtagung der neuen Bundestagsfraktion der Linken eröffnen wollte, fiel ihm Sahra Wagenknecht vor laufenden Kameras sofort in die Parade: „Bernd, das ist die Pressekonferenz der Fraktion.“

Als deren Vorsitzende war Wagenknecht einige Stunden zuvor mit 75 Prozent der Stimmen wiedergewählt worden. Dem war eine veritable öffentliche Schlammschlacht vorausgegangen. Riexinger und seine Ko-Vorsitzende Katja Kipping wollten Wagenknecht entmachten. Sie beanspruchten für sich das „Erstrederecht“ für die Linke in Bundestagsdebatten sowie die inhaltliche Kontrolle über die Reden der Fraktionsvorsitzenden.

Daraufhin zog Wagenknecht, die nach dem Rückzug von Gregor Gysi längst zum alleinigen omnipräsenten Aushängeschild der Partei geworden ist, ihre letzte Karte. In einem auch medial kolportierten Brief an die Mitglieder der neuen Fraktion griff sie Riexinger und Kipping frontal an, beschuldigte sie des permanenten Mobbings und drohte mit Rücktritt, falls sich die beiden Parteivorsitzenden mit ihren Vorstellungen durchsetzen sollten.

Bruchlinien in der Flüchtlingspolitik

Die gesellschaftliche, aber auch innerparteiliche Debatte über die Flüchtlingspolitik hat nicht erst im Zuge der Aufarbeitung des Wahlergebnisses zu deutlichen Bruchlinien in der Linken geführt. Doch jetzt wird der Ton schärfer und unversöhnlicher. In dem Brief an die Fraktion schrieb Wagenknecht, derzeit lese sie besonders in der parteinahen Tageszeitung Neues Deutschland „fast täglich Artikel von engen politischen Vertrauten der Parteivorsitzenden Kipping, die mich ‚halb-rechter‘, ‚AfD-naher‘ oder gar ‚rassistischer‘ und ‚nationalsozialer‘ Positionen bezichtigen. (..) Wenn jeder, der die Position ‚offene Grenzen für alle Menschen jetzt sofort‘ nicht teilt, unter Generalverdacht gestellt wird, ein Rassist und halber Nazi zu sein, ist eine sachliche Diskussion über eine vernünftige strategische Ausrichtung nicht mehr führbar.“

Wenige Stunden nach der Fraktionsklausur keilte Kipping im ARD-Morgenmagazin zurück. Wagenknecht habe sich „unsouverän“ verhalten. Außerdem habe sich die Partei in einem „demokratischen Prozess“ darauf verständigt, nicht nur das Recht auf Asyl (das auch Wagenknecht nicht in Frage stellt), sondern auch die „Bewegungsfreiheit“ für alle Menschen zu verteidigen. Sie erwarte daher auch von der Fraktionsvorsitzenden, dies mitzutragen. Ein „Zickenkrieg“ also  zwischen den beiden Frontfrauen?  Nein. Wer in den vergangenen Tagen die teilweise hasserfüllten Debatten in den entsprechenden Foren in den sozialen Medien verfolgt hat, realisiert schnell, dass durch die gesamte Partei und ihre Klientel ein tiefer Graben entstanden ist, der wohl kaum mit ein paar Konsensformeln zu kitten ist.

Dramatischer Wähleraustausch

Vielmehr offenbart der Showdown rund um die Fraktionsklausur das große strategische Dilemma der Linken. Denn die Bundestagswahlen haben der Partei zwar einen leichten Stimmengewinn beschert, aber gleichzeitig einen dramatischen Wähleraustausch. Punkten konnte sie in erster Linie bei den urbanen Mittelschichten in Westdeutschland, während sie bei Arbeitern, Erwerbslosen und allgemein in Ostdeutschland teilweise deutlich verlor. Besonders an die AfD.

Zwar hat sich Wagenknecht in der Fraktion vorläufig durchgesetzt. Dennoch steht eine Richtungsentscheidung an. Will man sich als eine Art linke „Grüne 2.0“  positionieren, als neue, hippe Speerspitze der urbanen Alternativmilieus samt ihrer postmodernen Anschauungen?  Oder als Partei der Deklassierten, Bedrohten und Abgehängten? Beides in gleichwertiger Gewichtung ist angesichts der sich verschärfenden sozialen Spaltung und politischen Polarisierung im Land kaum möglich.

Derzeit etwas verdeckt werden dabei weitere Konfliktlinien innerhalb der Partei. Große Teile haben nahezu messianisch die Option einer „rot-rot-grünen Reformregierung“ auf Bundesebene vertreten, wohlwissend, dass ein derartiges Bündnis – wenn überhaupt – nur unter Aufgabe identitätsstiftender Kernanliegen der Linken zustande kommen könnte. Die schnöde Arithmetik der Wahlprognosen und später des Ergebnisses haben den Disput darüber zeitweilig obsolet werden lassen.

Zwischen Regierung und Opposition

Doch auf Landesebene steht diese Frage stets im Mittelpunkt. Besonders die Repräsentanten der ostdeutschen Landesverbände verstehen sich eher als potenzielle Regierungspartei, denn als konsequente sozialistische Opposition. Auch wenn nur wenige so weit vorpreschen wie der Landeschef von Mecklenburg-Vorpommern, Helmut Holter, der für sein Land sogar eine Koalition mit der CDU als eine Art demokratischer Volksfront gegen die AfD ins Gespräch brachte.

Der domestizierende Effekt von Regierungsbeteiligungen auf die Linke ist mittlerweile hinlänglich belegt. Sie trägt im Konfliktfall  – sozusagen unideologisch - alles mit; von Massenabschiebungen über Lobbyismus für die Braunkohleverstromung bis hin zu Wohnungsprivatisierungen. Der „Wagenknecht-Flügel“, sofern man von einem solchen überhaupt reden kann, lehnt Regierungsbeteiligungen auch im Bund zwar nicht prinzipiell ab, will die Messlatte aber wesentlich höher hängen, vor allem in Bezug auf soziale Grundfragen. Und so giftet Wagenknecht in ihrem Brief an die Fraktion auch gegen die Kontrahenten aus dem Parteivorstand. Diese pflegten „gute Kontakte zu bestimmten SPD-Kreisen, die in mir schon seit längerem ein großes Hindernis für eine angepasste, pflegeleichte Linke sehen“.

Wagenknecht als Steigbügelhalterin der AfD?

Großes Konfliktpotenzial birgt auch der Umgang mit der AfD. Vor allem im Osten, aber auch in Süddeutschland haben die Alternativen die Linke deutlich abgehängt. Der eher postmodern-reformistische, urbane Flügel sowie die orthodoxe „Antikapitalistische Linke“ (AKL) und ihre Anhänger definieren die AfD als amorphe Masse von dumpfen Rassisten, der vor allem mit „antifaschistischer“ Rhetorik und entsprechendem Aktionismus zu begegnen sei. Wagenknecht hingegen drängt auf ein stimmiges, konsequentes Politikangebot für jene AfD-Wähler, die sich abgehängt, sozial und soziokulkturell ausgegrenzt und vor allem von der scheinbar unregulierten Migration überfordert und benachteiligt fühlen. Die Linke, so argumentiert Wagenknecht, nehmen diese nicht mehr als Vertreterin ihrer Interessen wahr. Dieses Argument stempelt Wagenknecht in den Augen ihrer Gegner zur Rassistin beziehungsweise zur Steigbügelhalterin der AfD.

Für die Linke bricht jedenfalls eine schwierige Zeit an. Von personellen und inhaltlichen Grabenkämpfen zerrissen gibt sie als Opposition gegen die sich anbahnende „Jamaika-Koalition“ ein äußerst schwaches Bild ab. Auch politische Gegner der Linken sollten darüber nicht frohlocken oder gar die Implosion dieser Partei herbeisehnen. Denn eine starke, möglichst geschlossen auftretende linke Opposition mit klaren Positionen ist ein unverzichtbarer Bestandteil der bundesdeutschen Demokratie.

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