Die Grünen - Der Drang zum Dagegen-Sein

Kolumne Grauzone: Die Grünen haben bereits in den ersten zwei Wochen des neuen Jahres einiges an Schießpulver verfeuert – und leider stets daneben gezielt. Die autoritären und inquisitorischen Züge, die sie offenbaren, gehören zu ihrer DNA

Äußert sich bei den Grünen erneut ihr moralischer Fundamentalismus? / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Die erste Woche des Jahres ist mitunter ziemlich zäh. Das alte Jahr ist unwiderruflich vorbei. Das neue hat noch nicht so richtig begonnen. Nichts ist los. – Doch diesmal hatten wir Glück. Gleich zu Beginn des Jahres 2017 war richtig Stimmung.

Erst blamierte sich Simone Peter mit ihrer Kritik am Vorgehen der Polizei in der Silvesternacht, dann preschte Berlins neuer Justizsenator Dirk Behrendt mit einem Plan für geschlechtergerechte Unisex-Toiletten vor, und schließlich unterbreitete die Abgeordnete Elisabeth Scharfenberg den aparten Vorschlag, Pflegebedürftigen Sexualdienstleistungen auf Krankenschein zu Verfügung zu stellen. 

„Jahresanfang zum Haare raufen“

Protagonisten dieser kurzweiligen Neujahrsshow waren selbstredend die Grünen. Dass diese Performance nicht notwendigerweise die Wahlchancen dieser Partei erhöht, liegt auf der Hand und ist den Nachdenklicheren unten ihnen, etwa dem Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, auch sonnenklar: „Dieser Jahresanfang ist zum Haare raufen“, schrieb der umtriebige Rathauschef auf seiner Facebook-Seite.

Umso mehr stellt sich die Frage, was um alles in der Welt die Peters, Behrendts und Scharfenbergs umtreibt. Glauben sie tatsächlich, mit solchen Interventionen die Grünen über die 8,4 Prozent von 2013 zu heben? Denken sie wirklich, auf diesem Wege neue Wählergruppen zu erschließen? Oder äußert sich hier ein moralischer Fundamentalismus, dem sowieso alles egal ist? Nach dem Motto: lieber untergehen und in Schönheit sterben?

Dass solche Politinitiativen auf harte, manchmal auch überharte und gehässige Gegenreaktionen stoßen, ist den Handelnden wohl klar. Mehr noch: Vermutlich ist dieses Wissen schon ein Teil ihrer Motivation. Es geht darum, Flagge zu zeigen, sich dem Populismus entgegenzustellen, indem man gezielt provoziert. Dass man damit erst das erzeugt, was man eigentlich bekämpfen möchte, wird dabei gerne in Kauf genommen.

Strategie: Demaskierung des Gegners

Denn im Kern handelt es sich hier um eine alte und bewährte Strategie der extremeren politischen Linken. Ihr Ziel: Die Demaskierung des politischen Gegners. Die Taktik: Durch möglichst weitreichende und eskapistische Forderungen den reflexhaften Widerstand des ideologischen Widersachers hervorrufen, um diesen daraufhin charakterlich, ethisch oder weltanschaulich brandmarken zu können.

Es ist eine Win-win-Situation: Entweder der politischen Gegner knickt ein und die politischen Forderungen werden erfüllt, oder er ist moralisch diskreditiert – was langfristigen Vorteil verspricht.

Geistige Väter Adorno und Freud

Seine Wurzeln hat dieses Spielchen im Jahr 1950. Da veröffentlichte der Philosoph Theodor W. Adorno eine Arbeit, die später in Deutschland unter dem Titel „Studien zum autoritären Charakter“ erschien. Ziel dieser Untersuchungen war es, die Persönlichkeit des „potentiell faschistischen Individuums“ herauszuarbeiten.

Unter methodischen Gesichtspunkten war diese „Studie“ – vorsichtig formuliert – eher abenteuerlich. Mit Wissenschaft hatte all das wenig zu tun. Dennoch, oder gerade deswegen, lieferte dieser krude Mix aus Pseudoempirie, freudscher Psychoanalyse und schlechtem Marxismus die Blaupause für die Rhetorik der Neuen Linken, wie sie in den sechziger Jahren auf den Plan trat“ – die Keimzelle der späteren Grünen.

Schon Sigmund Freud hatte „Ordentlichkeit, Sparsamkeit und Eigensinn“ als Grundzüge des analen Zwangscharakters ausgewiesen. In diese Kerbe schlugen nun Adorno und seine Mitarbeiter und desavouierten so – verstärkt und vulgarisiert durch die 68er-Generation – den bürgerlichen Wertekanon nachhaltig.

Dass dieses leicht zu durchschauende Argumentationsmuster – „Wenn du nicht für Unisex-Toiletten bist, bist du eine faschistoider Kleinbürger“ – im Kern immer noch funktioniert, hat ersichtlich historische Gründe. Dennoch sollte man sich von diesem Unfug nicht beeindrucken lassen.

Autoritäre Züge bis heute vorhanden

Schon der späte Adorno ahnte düster, dass der Geist, den er da aus der Flasche gelassen hatte, leicht in sein Gegenteil umschlagen könnte. Wenige Wochen vor seinem Tod warnte er in einem gern zitierten Brief an seinen Kollegen Herbert Marcuse vor den faschistischen Tendenzen der Studentenbewegung: „Du müsstest nur einmal in die manisch erstarrten Augen derjenigen sehen, die, womöglich unter Berufung auf uns selbst, ihre Wut gegen uns kehren.“

Diese autoritären und inquisitorischen Züge hat die Neue Linke bis heute nicht verloren. Der ebenso paradoxe wie gefährliche Nebeneffekt: Es wird jene Geisteshaltung erzeugt, die man zu entlarven und bekämpfen meint. Das Ergebnis ist: Die extremistischen politischen Lager radikalisieren sich, die Gesellschaft wird in eine Eskalationsspirale manövriert. Auf der Strecke bleiben Freiheit und Liberalismus.

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