Rösler und Wowereit - Die Erosion der Macht

Für den schrittweisen Machtverlust von politischen Führungspersonen hat die Politikwissenschaft vier Indikatoren definiert. Der Blick in die aktuelle Politik bietet gerade wieder zwei sehr anschauliche Beispiele

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Marie Amrhein ist freie Journalistin und lebt mit Töchtern und Mann in der Lüneburger Heide.

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Ein Jahr ist es her, da kämpfte der damalige Bundespräsident Christian Wulff um Posten und Ansehen. Ihm wurde vorgeworfen, an seinem Amt zu kleben. Unausweichlich aber war schließlich sein Rücktritt Ende Februar. Für den Politikbetrieb in Berlin ist Wulff bereits Geschichte, höchstens sein familiäres Scheitern lockt die Öffentlichkeit noch hinter dem Ofen hervor. Karl-Theodor zu Guttenberg, Franz Josef Jung, Norbert Röttgen –  Untersuchungsgegenstände gehen Politikwissenschaftlern wie Timo Grunden von der Universität Gießen nicht aus. Auch derzeit gibt es zwei interessante Versuchsanordnungen: Die Freie Demokratische Partei  und ihren Parteivorsitzender, sowie die Hauptstadt Berlin und den Regierenden Bürgermeister. Sowohl Philipp Rösler als auch Klaus Wowereit sind Musterbeispiele erodierender Macht an dessen Ende meist der Rücktritt steht.

Grunden skizzierte im Gespräch mit Cicero Online vier Indikatoren, an denen sich ablesen lasse, wie weit der Machtverlust politischer Führer oder Regierungschefs, von Ministern oder Parteivorsitzenden fortgeschritten ist. Auch die Karrieren von Politikern durchlaufen einen Konjunkturzyklus. [gallery:Kleine Bildergeschichte der Minister-Rücktritte aus 63 Jahren Bundesrepublik]

1. Machterosion.
Wenngleich Philipp Rösler schon von Anbeginn seiner Karriere als Parteivorsitzender im Mai 2011 nicht als Heilsbringer der FDP galt, wurde er doch zwischenzeitlich respektiert. Parallel zu sinkenden Umfragewerten der Partei schwand die Unterstützung in den eigenen Reihen.  Immer wieder machten stattdessen innerparteiliche Sticheleien gegen den Westerwelle-Nachfolger in der Öffentlichkeit die Runde.  Beliebtes Gruppenspiel der Liberalen: „Hau den Philipp“.

Wurde bisher nur hinter vorgehaltener Hand gespottet, sprach am vergangenen Wochenende auf dem Dreikönigstreffen der Liberalen Dirk Niebel aus, was viele schon lange denken: Die Partei spiele nicht mit der besten Team-Aufstellung, man müsse nun „schnell eigene Entscheidungen treffen“ und diese nicht vom Ausgang der Landtagswahl in Niedersachsen abhängig machen. So wie jetzt könne es für die FDP nicht weiter gehen. Das war ein starkes Stück. So stark, dass sich selbst CSU-Chef Horst Seehofer bemüßigt fühlte, die Liberalen indirekt zu mehr Geschlossenheit aufzurufen.

Klaus Wowereits Rückendeckung in den eigenen Reihen scheint nach außen hin noch einigermaßen intakt zu sein. Ein Rücktrittsgesuch wird nach einigem hin und her dementiert, Wowereit stellt sich siegesgewiss einem Misstrauensvotum, das die Opposition beantragt hat. Lediglich leichtes Rumoren verursachen Outcasts wie der brandenburgischen SPD-Abgeordnete Peter Danckert, der bezweifelt, „ob die Nibelungentreue“ der Berliner SPD zum Regierenden Bürgermeister besonders förderlich sei.

2. Steuerungsverlust.
Dabei ist das Problem der FDP, dass sie „niemals wirklich gesteuert hat“ und aus einer komfortablen Situation nach der Bundestagswahl heraus kaum Impulse für die Politik in Deutschland lieferte, so Grunden. Seit Jahren schon versucht sich die FDP selbst am Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Das wieder kehrende Credo, es müsse endlich geliefert werden, man müsse zeigen, dass die Liberalen für mehr stehen als für Steuersenkungen, läuft ins Leere.

Ebenso geht es mittlerweile Klaus Wowereit, dessen komplett aus dem Ruder gelaufene Flughafen-Planung ihm jegliche Kompetenzzuschreibung in Sachen politischer Steuerung raubt. In seiner zehnjährigen Amtszeit hat Wowereit einige Bedrängnisse meistern müssen. Die rot-rote Sparpolitik hat er gegen starke Widerstände durchgesetzt, im Zweifel half ihm ein spontaner Spruch – zum Beispiel „Berlin ist arm aber sexy“ oder „Ich bin schwul und das ist auch gut so“ –die Deutungshoheit über seine Politik zurückzugewinnen. Anders als in den Vorjahren aber fehlen dem Berliner Bürgermeister heute alle Ideen, die Stadt und sich aus dieser Krise heraus zu manövrieren. Der Rücktritt vom Posten des Aufsichtsratsvorsitzenden der Flughafengesellschaft zumindest reicht nicht aus, um politisch wieder in die Offensive zu kommen.

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3. Das anhaltende Meinungstief
Im Stimmungstief stecken sowohl Philipp Rösler als auch Klaus Wowereit. Die FDP hat gerade die Zwei-Prozent-Marke geknackt und auch die Berliner SPD steht alles andere als gut da. Die Sympathiewerte des FDP-Vorsitzenden und des einstigen Berliner Politlieblings sind ins Bodenlose gerutscht.

4. Realitätsverlust
Als zusätzlichen Indikator für die Erosion von Macht skizziert Grunden die schleichende Vereinsamung und den Realitätsverlust der Betroffenen. Wer zu lange im Amt ist, hält sich gern für unschlagbar. Selbst bei Fehlentwicklungen wird die Realität verdrängt, als Folge verkennen häufig auch Berater der Führungskräfte die Wahrheit. Wowereit etwa fehle heute das „Fingerspitzengefühl für die Tretminen, die überall lauern“, so Grunden, selbst wenn er dieses einmal besessen habe. So entsteht eine Überheblichkeit, die den Wähler abstößt.

Ein Spitzenpolitiker müsse zwar eine gewisse Autosuggestivkraft haben, um auch einmal schwierige Klippen zu umschiffen. Wer aber wie der Noch-Parteivorsitzende Philipp Rösler eine Vermeidungsstrategie an den Tag legt, die an einen Schuldner erinnert, „der die Post mit den vielen Mahnungen nicht mehr öffnet“, wird sich nicht lange im Amt halten können, meint Grunden.

Anders als Wowereit präsentierte sich der gelernte Arzt Philipp Rösler stets gerne als Politiker auf Abruf, als jemand, der mit 45 Jahren (also in fünf Jahren) aus dem Politikbetrieb ausscheiden werde. Warum hängt einer wie Rösler nun dennoch so hartnäckig an einem Amt, das ihm zurzeit nichts als Ärger und Würdelosigkeit beschert? Timo Grunden erklärt es als „Herr-der-Ringe-Phänomen“: Selbst die, die den Ring der Macht gar nicht haben wollten, können irgendwann nicht mehr von ihm lassen.

Natürlich kann kein Politikwissenschaftler vorhersagen, wie lange sich ein Politiker noch im Amt halten kann, wenn die Erosion der Macht schon weit fortgeschritten ist und alle vier Indikatoren des Machtverlustes negativ ausschlagen.

Auf der anderen Seite kann es dann auch sehr schnell gehen. Wie schnell ein Politiker seine ganze Macht verlieren kann und am Ende seine politischen Ämter, zeigt der tiefe Sturz von Norbert Röttgen.

Röttgen war ein hochgelobter Umweltminister und einflussreicher CDU-Landesvorsitzender in Nordrhein-Westfalen. Doch dann verlor Röttgen die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Alle Indikatoren des Machtverlustes wurden erfüllt. Parteifreunde redeten nach der blamablen Wahlniederlage (Stimmungstief) schlecht über ihn (Machterosion), in den Zeitungen war zu lesen, welche schweren Fehler Röttgen bei der Umsetzung der Energiewende gemacht habe, der angeschlagene Minister konnte nicht mehr gegenhalten (Steuerungsverlust). Schließlich weigerte er sich, als Umweltminister zurückzutreten, obwohl Merkel ihn dazu aufgefordert hatte (Realitätsverlust). Zu guter Letzt wurde er  von der Kanzlerin aus dem Kabinett geschmissen. Zwischen der Wahlniederlage und dem tiefen politischen Sturz lagen nur drei Tage.

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