Die Bundeskanzlerin im Wahlkampf - Merkels Dreiklang

Kaum ein Tag vergeht derzeit ohne ein Kanzlerin-Interview. Das mediale Spektrum ist dabei breit gewählt, ihre Ausdrucksweise gleicht Angela Merkel dem jeweiligen Publikum an. Doch ihre Selbstherrlichkeit passt nicht mit der zur Schau gestellten Rationalität zusammen

Je unpolitischer das Medium, desto mehr dreht Angela Merkel auf / picture alliance
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Dass sie es gern tut, darf bezweifelt werden. Aber es herrscht nun einmal Wahlkampf, und da gehören Interviews für Angela Merkel zur Pflicht der Titelverteidigerin. Das mediale Spektrum ist breit gewählt und reicht von jugendlichen Youtubern bis zur Frauenzeitschrift und von der Welt am Sonntag bis zur taz. Wobei festzuhalten ist, dass vom Gesagten bisher nur ihr Gespräch mit der Brigitte wirklich Nennenswertes enthielt, das dann aber auch mit unmittelbaren Folgen: Als die Kanzlerin dort die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zur Gewissensentscheidung ausrief, war die Sache kurze Zeit später auch schon durchs Parlament. Und im Leitmagazin für Verkehrspolitik, der ostdeutschen Superillu, verkündete Merkel immerhin ein mögliches Verbot von Verbrennungsmotoren. Man könnte meinen: Je unpolitischer das Medium, desto mehr dreht sie auf. Vielleicht auch nur Zufall.

Mit der Leidenschaft einer Klassenlehrerin

Ihre ausführlichen Fragerunden mit WamS und taz hinterlassen jedenfalls beim Leser den Eindruck von rational fundierter Alternativlosigkeit; Merkel erscheint darin als leicht gelangweilte Sachwalterin inmitten einer politischen Gemengelage, die es irgendwie „abzuarbeiten“ gilt, wie sie sagen würde. Zwar fällt das eine oder andere Mal das Adjektiv „spannend“ im Zusammenhang mit Tätigkeiten und Herausforderungen, derer sich die deutsche Bundeskanzlerin annimmt oder angenommen hat. Aber eben mit der Leidenschaft einer Klassenlehrerin, die ihrem Kollegium vom „spannenden“ Schülerausflug zur örtlichen Landesgartenschau berichtet: the same procedure as last year. Die Merkel’sche Unaufgeregtheit gehört längst zum Markenkern ihrer Politik und wird von Wahlkampf zu Wahlkampf weiter professionalisiert. So lässt man die Gegner („politische Wettbewerber“) ins Leere laufen – was diese offenbar gern mit sich machen lassen.

Dass Merkel große Fehler einräumt, insbesondere bei der verunglückten Flüchtlingspolitik, war natürlich nicht zu erwarten. Aber in der WamS zu behaupten, sie würde tatsächlich noch einmal alles genauso machen, wie im September 2015 und in den Monaten danach – das grenzt angesichts der Folgen schon an eine Selbstherrlichkeit, die mit dem ostentativen Rationalismus überhaupt nicht zusammenpassen will. „Wir können uns weder wegducken noch abschotten, sondern wir müssen die Ursachen von Flucht und Migration bekämpfen, zum Beispiel durch Partnerschaften mit afrikanischen Ländern und durch Engagement für die Menschen vor Ort“, so die Kanzlerin über ihre Strategie, die wie eine naturgesetzliche Reaktion auf eine andere Naturgesetzlichkeit klingt. Aber dass man sich selbstverständlich auch abschotten kann (und dass nichts anderes derzeit mit deutscher Hilfe und Billigung an den europäischen Außengrenzen geschieht), passt eben nicht zum sedierenden Kanzlerinnen-Dreiklang aus Ratio, Alternativlosigkeit und Humanität.

Antworten gemäß der Leserschaft

Von der taz wurde Merkel in diesem Zusammenhang darauf angesprochen, ob es nicht eine Schande sei, zum Zwecke der Flüchtlingseindämmung etwa mit dem „verbrecherischen Regime im Sudan“ zu kooperieren. „Grenzmanagement-Maßnahmen werden dabei als Teilbereich des sogenannten Migrationsmanagements durchgeführt. Dabei soll etwa erreicht werden, dass Beamte des Grenzmanagements Schutzbedürftige, also zum Beispiel Betroffene des Menschenhandels, erkennen und sie unter Beachtung aller internationalen Standards an die zuständigen beziehungsweise zivilgesellschaftlichen Stellen weitervermitteln“, so die Kanzlerin in ihrer Antwort mit dem Sound einer EU-Ergänzungsverordnung. Angesichts von so viel Management zum Wohle der Migranten kann dann wohl auch der gutmeinendste taz-Leser keinen Zweifel mehr haben an der Ingeniosität von Deutschlands Chefmanagerin. Und falls doch: Anders als in der WamS, wo von „Flüchtlingen“ die Rede ist, verwendet Merkel in der taz das Kuschelwort „Geflüchtete“. Da kann dann ja wirklich keiner meckern.

Zwischen den Zeilen findet sich übrigens auch durchaus Erhellendes über die Koalitionspräferenzen der Kanzlerin. In der WamS heißt es bei ihr: „Es gibt viele Gemeinsamkeiten mit der FDP, aber auch deutliche Unterschiede.“ Sie führe „keinen Koalitionswahlkampf“, so Merkel, und freue sich zwar, wenn die Liberalen wieder in den Bundestag kämen – „aber die Union hat natürlich keine Stimme zu verschenken“ (was keiner verlangt und wovon in der Frage auch nicht die Rede war). Angela Merkel wiederum in der taz: „Mir ist die menschliche Gestaltung der Globalisierung wichtig, ebenso wie das Thema Nachhaltigkeit, also Generationengerechtigkeit, nachhaltige Finanzen und Ressourcenverbrauch. Daran habe ich immer gearbeitet.“ Und wenige Absätze später: „Ich stelle mir vor, dass die humane Gestaltung der Globalisierung auch für die Grünen ein spannendes Thema sein kann.“

Da findet offenbar zusammen, was zusammen gehört. „Spannend“, um mit der Kanzlerin zu sprechen.

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