Deutschland und die Türkei - Ohne Doppelpass wäre vieles leichter

Kolumne: Leicht gesagt. Die Wahlkampfauftritte türkischer Minister in Deutschland und die Inhaftierung des Journalisten Deniz Yücel entfachen eine bald 20 Jahre alte Diskussion neu

Experten sehen den Fall Yücel als Beispiel dafür, dass die doppelte Staatsbürgerschaft mehr Nach- als Vorteile bringe / picture alliance
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Wulf Schmiese leitet das „heute journal“ im ZDF. Zuvor hat er als Hauptstadtkorrespondent, jahrelang auch für die FAZ, über Parteien, Präsidenten, Kanzler und Minister berichtet.

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Türkische Minister können leicht sagen, dass sie in Deutschland reden werden. Eben erst hat der türkische Außenminister seinen Willen im Hamburger Konsulat durchgesetzt. Das zeigt, wie am Ende niemand das hiesige Werben des Teams Erdogan verbieten kann. So wie niemand der Türkei verbieten kann, den Welt-Journalisten Deniz Yücel als Türken zu sehen – und nicht als Deutschen.

Beide Fälle verbindet eine bald 20 Jahre alte Diskussion, die entschieden schien: jene über die doppelte Staatsbürgerschaft. Gäbe es den sogenannten Doppelpass nicht und wären somit alle aus der Türkei Stammenden und hier seit Jahrzehnten Lebenden ausschließlich deutsche Staatsbürger, dann hätten Erdogan und seine Leute zumindest weniger Grund für einen Wahlkampf in Deutschland. Und genauso wäre es für die Bundesregierung leichter, sich für den inhaftierten Korrespondenten einzusetzen.   

Loyalitäten und Zuständigkeiten eindeutig geregelt

So aber ist die deutsche Politik weitgehend machtlos. „Die Bundesregierung hat völkerrechtlich nichts in der Hand, was sie zugunsten von Yücel einsetzen könnte, obwohl Yücel auch den deutschen Pass hat“, sagt Christian Rumpf, Fachmann für türkisches Recht und Vorstandsmitglied der deutsch-türkischen Juristenvereinigung. Er sieht den Fall als Beispiel dafür, dass die doppelte Staatsbürgerschaft mehr Nach- als Vorteile bringe. Allerdings wäre der Fall auch nicht gelöst, wenn Yücel nur Deutscher wäre. Dann käme es allein darauf an, wo die vermeintliche Tat begangen worden sei und ob sie „irgendeine Auswirkung auf türkischem Boden“ habe.

Dennoch: Ohne Doppelpass schiene vieles leichter. Loyalitäten und Zuständigkeiten wären rechtlich eindeutig geregelt. Juristischen wie auch emotionalen Zwiespalt gäbe es vermutlich weniger. Diese Erkenntnis ist uralt – und hat in der deutschen Politik einst tiefe Gräben geschaffen. Es war die Union, namentlich geführt von Wolfgang Schäuble, Edmund Stoiber und Roland Koch, die vor genau diesen Konsequenzen warnte.

Die Koch-Kampagne

Vor exakt 18 Jahren hatte Roland Koch die Landtagswahl in Hessen gewonnen, weil er Unterschriften gegen die doppelte Staatsbürgerschaft gesammelt hatte. Der Erfolg war so überraschend, dass die damalige CDU-Generalsekretärin Angela Merkel Kochs Kampagne nach gewonnener Wahl als vorbildhaft pries: „Bei unserer Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft und für Integration sind viele Menschen richtig aufgeblüht, weil sie erlebt haben, dass man als Einzelner etwas beeinflussen kann“, sagte Merkel dem Focus. „Das müssen wir verstärken und unsere Mitglieder ermutigen, sich nach Themen umzusehen, die die Menschen bewegen.“

Die Bewegung der Menschen allerdings, die den Doppelpass für richtig hielten, war ebenfalls groß. Das Land war in dieser Frage gespalten. Die Doppelpass-Gegner wurden als gestrig und fremdenfeindlich dargestellt. Das fiel schon deshalb leicht, weil nachweislich auch Rassisten – etwa von der NPD – gegen die doppelte Staatsbürgerschaft Stimmung machten und vor „Überfremdung“ warnten. Kochs CDU versuchte sich abzugrenzen durch ihren Slogan, der zwar „gegen doppelte Staatsbürgerschaft“ wetterte, aber zugleich „für Integration“ warb.

Änderungen im Staatsbürgerschaftsrecht

Schäuble, der CDU-Bundesvorsitzender war, und der damalige CSU-Chef Stoiber unterstützten Kochs Kurs. Denn damit wurde die Einwanderungspolitik der jungen, taumelnden rot-grünen Bundesregierung massiv in Frage gestellt. Im Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913, das Rot-Grün faktisch abschaffen wollte, galt das Blutrecht. Deutscher war, wer einen deutschen Elternteil hatte. Für eine Einbürgerung musste man mindestens 15 Jahre in der Bundesrepublik gelebt haben. Die Regierung Schröder/Fischer wollte das Staatsbürgerschaftsrecht so verändern, dass der Doppelpass leichthin möglich würde.

Durch den Wahlsieg Kochs verlor Rot-Grün aber die dazu nötige Mehrheit im Bundesrat. Dennoch wurde das Gesetz im Jahr 2000 auf Initiative der rot-grünen Bundesregierung um das Geburtsortsprinzip ergänzt. Für Zuwanderer galt nun: Kinder, von denen ein Elternteil seit mindestens acht Jahren in Deutschland lebt und unbefristetes Aufenthaltsrecht hat, erhalten die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Aufenthaltsdauer zur Einbürgerung wurde von 15 auf 8 Jahre gesenkt. Die Union wiederum erstritt in Merkels erster Großer Koalition 2008, dass Einbürgerungskandidaten ausreichend Deutsch können und einen Einbürgerungstest bestehen müssen.

Neue, sachliche Debatte

Und es sollte generell der Grundsatz für gebürtige wie gewordene Deutsche gelten: Wer eine andere Staatsangehörigkeit annimmt, verliert seine deutsche. Was allerdings die Mehrstaatlichkeit nicht gänzlich verhindern konnte. Denn das Geburtsrecht ermöglicht Kindern, die einen deutschen und einen ausländischen Elternteil haben, beide Staatsangehörigkeiten. Auf Druck der SPD wurde dieser Punkt 2014 noch weiter reformiert, so dass er auch für Kinder ausländischer Eltern gilt, die seit mindestens acht Jahren in Deutschland leben. Die sogenannte Optionspflicht ist damit gefallen. Seitdem müssen sich Kinder nicht mehr zwischen dem 18. und 23. Lebensjahr für einen Pass entscheiden.

Doch genau das bezeichnete die Mehrheit der CDU im Dezember 2016 auf ihrem Bundesparteitag als Fehler und stimmte für die Wiedereinführung der Optionspflicht. Merkel war dagegen. Das allerdings hatte vor allem koalitionstaktische Gründe. Denn die Verschärfung des Staatsbürgerschaftsrechts würde Koalitionen mit den Grünen dermaßen erschweren, dass Schwarz-Grün als Option für eine künftige Bundesregierung aussichtslos erschienen wäre. Damals – vor einem Vierteljahr.

Nun erlebt Deutschland eine Kampagne Erdogans, die es ohne doppelte Staatsbürgerschaften so nicht gäbe. Die Wahlkampfauftritte seiner Minister, zwar nicht nur, aber eben auch vor Doppelstaatlern in Deutschland sowie die Inhaftierung des Doppelstaatlers Deniz Yücel sind gleichermaßen Teil dieser Kampagne. Es ist Zeit, nun eine neue, sachliche Debatte um Sinn und Unsinn der doppelten Staatsbürgerschaft zu führen.

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