„Deutsch Sein“ - Patriotismus als Fremdenliebe

Kolumne: Leicht gesagt. Was heißt es eigentlich, deutsch zu sein? Vor allem Politiker tun sich mit dem Begriff schwer, was regelmäßig Verkrampfungen nach sich zieht. Nun geht ein neues Buch der Frage nach. Gerade jetzt scheint ihre Beantwortung besonders dringend

Wie definiert man die Identität einer gewachsenen Zufallsgemeinschaft? / picture alliance
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Wulf Schmiese leitet das „heute journal“ im ZDF. Zuvor hat er als Hauptstadtkorrespondent, jahrelang auch für die FAZ, über Parteien, Präsidenten, Kanzler und Minister berichtet.

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Es sagt sich gar nicht leicht, was eigentlich deutsch ist. Doch eine Antwort darauf zu finden, scheint so wichtig wie seit Jahrzehnten nicht. Denn die so lange angestrebte europäische Identität reicht nicht aus, wenn sich andere Nationen von Europa verabschieden, zumindest entfernen. Es braucht auch zunehmend die Selbstdefinition eines Staates, der Zugewanderte in sein Gemeinwesen integrieren muss.

„Dichte Fenster“ sind nicht die Antwort

Was waren das für Verrenkungen für und wider, als der damalige Oppositionsführer Friedrich Merz vor über anderthalb Jahrzehnten von „deutscher Leitkultur“ sprach. Sein Originalsatz fiel in einer Pressekonferenz im Jahr 2000 und klang so: „Es geht im Wesentlichen darum, dass die hier lebenden Ausländer auch bereit sind, sich einer deutschen Leitkultur anzuschließen.“

Damals wurde Spott gekübelt. Dabei schien Leitkultur auch den Kritikern gar nicht so schwer definierbar: Aufklärung, Humanismus, Toleranz, Freiheit, Gerechtigkeit – aber ist das „deutsch“? Christentum gehört zweifelsohne auch dazu, ebenso Judentum. Heute würde von manchen auch gefragt, wie es mit dem Islam ist. Gehört er nicht längst auch zu Deutschland? Die viel schwerere Frage war und ist also: Was ist deutsch?

Die Union blieb eine Antwort schuldig, hievte 2007 nur den Begriff „Leitkultur“ ins Grundsatzprogramm und verschwieg das „deutsche“. Die Parteivorsitzende Angela Merkel hatte Jahre zuvor ihre ganz eigene Definition gegeben, die schwerlich in ein Programm gepasst hätte. Auf die Frage, welche Empfindungen sie mit Deutschland verbinde sagte sie schon 2004: „Ich denke an dichte Fenster! Kein anderes Land kann so dichte und so schöne Fenster bauen.“

Es entstehen Lücken für Antideutsche

Dieses spezielle Zitat hat nun der Publizist Peter Siebenmorgen wieder ausgegraben für sein Buch „Deutsch Sein“. Es ist ein scharfes Plädoyer, ein Appell gar an alle deutschen Demokraten, die ewig verschleppte Definition endlich vorzunehmen. Genauer gesagt: Deutsch sein endlich als das zu definieren, was diesen demokratisch gefestigten Nationalstaat ausmacht – inklusive düsterer Vergangenheit und lichter Gegenwart. Längst versuchten andere, den Begriff zu füllen – darunter jene, die eine Politik wollten, wie sie die Mehrheit der Deutschen nicht will; somit eine antideutsche Politik.

Klar, dass daran erinnert wird, wie Merkel jene schwarz-rot-goldene Fähnchen nach dem Wahlsieg 2013 streng einsammelte. An „Tagen wie diesen…“ Wolfgang Schäuble, der damals nicht dabei war, verteidigt seine Chefin in einem Gespräch mit Siebenmorgen über das „Deutsch sein“-Buch. Sie habe „instinktiv nicht zu sehr feiern“ wollen aus Rücksicht auf die FDP, die soeben aus dem Bundestag geflogen war.

Dennoch stimmt, was Siebenmorgen schreibt: „Das weiträumige Umkreisen jedweden Nationalvokabulars“ war eines der Stilmittel Merkels. Man darf gespannt sein, ob sie inzwischen bereit ist zu mehr „deutsch sein“.

Zwischen Requiem und Sommermärchen

Fairerweise muss man sagen, dass Merkel während des Sommermärchens 2006 ja durchaus nichts gegen deutsche Fahnenmeere zu haben schien. Auch, dass sie feierlich gelobte „Deutschland dienen“ zu wollen. „Aber die deutsche Wirklichkeit der Gegenwart bleibt vom doppelten Nationalbewusstsein geprägt“, fasst Siebenmorgen diese beiden Pole zwischen Spiel und Ernst zusammen: „Deutschland, ein Requiem – Deutschland, ein Sommermärchen“.

Es fehlt die Mitte, das normale, alltägliche Deutschsein, was freilich beide Seiten von ganz ernst bis ganz locker einschließt. Vielleicht wird eben wegen dieses Mangels so unergiebig gestritten wie dieser Tage etwa um ein Islamgesetz. Welches der CDU-Präsident Jens Spahn auch fordert, weil er das nationale, das konservative Profil der Union schärfen will. So wie er auch Wortführer war gegen die Wahlfreiheit für eine doppelte Staatsbürgerschaft. Dahinter steckt das, was man früher vaterländisch nannte. Andere aus der CDU halten erschrocken dagegen, weil sie eben fürchten, ihre Partei könnte als deutschtümelnd gelten, als unmodern.

Nationalstolz statt Nationalismus

Dabei könnte „Deutsch sein“ schlicht heißen, „sich den guten Traditionen verpflichtet zu fühlen, sich in deren Dienst zu stellen, sie fortzuführen“, wie es bei Siebenbürgen steht. Also sich auf die bundesrepublikanischen nationalen Werte zu berufen, diese „deutsch“ zu nennen.

Das wäre Nationalstolz. Es wäre Patriotismus und eben kein Nationalismus. Siebenmorgen macht klipp und klar, dass Fremdenhass das genaue Gegenteil von Patriotismus ist. Denn die Nation als Zufallsgemeinschaft könne eine so bindende Kraft haben, im Kern sei das nichts anderes sei „als die Liebe zu Fremden“.

Vaterlandsliebe bedeutet ja tatsächlich, sich einer Gemeinschaft von überwiegend Fremden zugehörig zu fühlen, fremden Menschen also, die man zum allergrößten Teil nicht persönlich kennt. Patriotismus also als Fremdenliebe. Was nun nicht wieder missverstanden werden soll, dass alle Fremden, die in Deutschland leben, auch deutsch sein wollen. Doch viele streben danach, geben sich redlich Mühe, teilen die Werte der Mehrheit.

Neues deutsches Selbstbewusstsein muss aber nicht einhergehen mit weniger Europa. Das eben war der Fehler des postnationalen Zeitalters, von dem auch Siebenmorgen schreibt. Die Jahrzehnte nach dem Krieg bis zum Mauerfall, als man in der Bundesrepublik das Deutschland lieber wegnuschelte und auf Europa setzte. Doch es muss kein Enweder-Oder sein. Beides geht. Nur das Europäische aber wird nicht gehen. Wir brauchen das Eigene, das „Deutsch sein“. Und das ist, wie weitgehend unser Land: aufgeklärt, tolerant und um Gerechtigkeit bemüht.

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