Demoskopie - Warum Umfragen nicht immer zu glauben ist

Zahlreiche Studien attestieren den Deutschen entweder Fremdenhass oder aber eine enorme Hilfbereitschaft gegenüber Flüchtlingen. Mit so widersprüchlichen und politisch tendenziösen Befunden leisten Meinungsforscher der gesellschaftlichen Polarisierung Vorschub

Wer Gruppen als Menschenfeinde in eine Ecke stellt, steht in der Verantwortung, eindeutige Beweise vorzulegen / picture alliance
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Autoreninfo

Elke Halefeldt ist freie Journalistin und Lektorin. Sie schreibt seit vielen Jahren für unterschiedliche Presseorgane und beschäftigt sich vor allem mit Medien, sozialwissenschaftlicher Forschung sowie psychologischen und politischen Fragestellungen.

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Viele Bundesbürger leiden unter „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ – diese Behauptung setzte die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) vergangenes Jahr in die Welt. Laut der Studie „Gespaltene Mitte – Feindselige Zustände“ werten 50 Prozent der Bundesbürger Asylbewerber ab, knapp jeder Fünfte ist fremdenfeindlich. Der Gruppe „Neue Rechte“ werden 28 Prozent der Bevölkerung zugerechnet.

Das muss ja wahr sein, immerhin ist es wissenschaftlich erwiesen. Oder stimmt das Bonmot „Es gibt drei Arten von Lügen: Lügen, verdammte Lügen und Statistiken“? Tatsächlich lügen Statistiken selten. Je nach Grundgesamtheit, Stichprobe, Fragestellungen und Interpretation der Ergebnisse kommt aber dieses oder jenes heraus.

Stolpersteine der Umfrageforschung

Wir werden derzeit bombardiert mit Studien zum Zustand der Gesellschaft. Allerdings sind einige der präsentierten Ergebnisse nur von begrenzter Aussagekraft. Dies ist, erstens, darin begründet, dass die Forscher mit unscharfen Formulierungen und Deutungen arbeiten. Damit liegen sie im Trend der politischen Debatte, in der Personen wahlweise als Flüchtlinge, Migranten oder Ausländer tituliert werden und in der der Populismus-Vorwurf boomt. Zweitens wird nicht genügend problematisiert, inwieweit Befragungsergebnisse durch die soziale Erwünschtheit verzerrt sein können. Darunter versteht die Sozialwissenschaft, dass Untersuchungsteilnehmer das äußern, was eher von der Gesellschaft akzeptiert wird. Drittens ist eine Tendenz erkennbar, statt nach den Ansichten der Bürger nach deren Gefühlen zu fahnden. Viertens schimmern in manchen Untersuchungen deutlich politische Botschaften durch.

Amnesty International verkündete im Mai 2016 stolz, dass in 27 Staaten 80 Prozent der Menschen bereit seien, von Krieg und Verfolgung bedrohte Flüchtlinge aufzunehmen. Leider bildeten die zugrunde liegenden Fragen nur eine theoretische Bereitschaft ab. Offen blieb, von wie vielen verfolgten Personen und welchen Zeiträumen die Rede war und welche Einstellung die Befragten zu sogenannten Wirtschaftsmigranten haben.

Angst, Wut und Hass

Der emotionalisierte öffentliche Diskurs, in dem es neuerdings nur so wimmelt vor Hass und Wut, hat im beliebten Gebrauch des Wortes Angst seinen Niederschlag gefunden. Gern vorgegeben wird, wie im ARD Deutschlandtrend vom Januar 2016, ein Statement wie „Die vielen Flüchtlinge machen mir Angst“. Hier konzentriert man sich allzu einseitig auf die emotionale Ebene und unterschätzt rationale Begründungen.

Auch eine Studie der Bertelsmann-Stiftung sorgt sich darüber, dass Globalisierungsängste die Europäer plagen. Dabei geht es um 45 Prozent der Befragten in 28 EU-Staaten. 55 Prozent der Europäer erscheinen danach relativ angstfrei. Die Bedrohungs- und Chance-Fraktionen unterscheiden sich jedoch bemerkenswert wenig bei der Einschätzung, inwieweit Krieg, Umwelt, Armut, Wirtschaftskrise, Kriminalität und Terrorismus eine globale Herausforderung darstellen. Allenfalls Migration ist ein Thema, das globalisierungsskeptische Menschen mehr verunsichert. Außerdem sieht diese Fraktion die EU negativer. Das heißt aber nicht, dass die Globalisierungsbefürworter die Politik entspannt betrachten: Nur 53 Prozent sind zufrieden mit der Demokratie.

Studien und Weltbilder

Gerade die Umfragen zu rechten Einstellungen und Menschenfeindlichkeit, einem Wort, das einen fast erschlägt, aber in der Studie „Gespaltene Mitte – Feinselige Zustände“ oft genutzt wird, schlagen Alarm. „Das Thema Flüchtlinge“, erklären Friedrich-Ebert-Stiftung und Universität Bielefeld, „steht exemplarisch für die Gespaltenheit der Gesellschaft in eine Mehrheit, die Weltoffenheit, Toleranz und Gleichwertigkeit will, und jene nicht ganz kleine und laute Minderheit, die Abschottung, nationale Rückbesinnung und Ungleichwertigkeit fordert.“ Speziell die Gruppe „Neue Rechte“, in deren Köpfen „Verschwörungsmythen in Bezug auf eine vermeintliche Unterwanderung durch den Islam, ..., eine Beschimpfung des ‚Establishments‘ als illegitim, verlogen und betrügerisch, die Forderung nach nationaler Rückbesinnung gegen die EU und der Aufruf zum Widerstand gegen die aktuelle Politik“ herumschwirren, ist den Forschern ein Dorn im Auge. In dieser Gruppe befinden sich übrigens durchaus Sympathisanten etablierter Parteien.

Auch wird die „Abwertung von asylsuchenden Menschen“ daran abgelesen, dass man die Aussage ablehnt: „Bei der Prüfung von Asylanträgen sollte der Staat großzügig sein“ und vermutet, die „meisten“ Asylbewerber „werden in ihrem Heimatland gar nicht verfolgt“. In beiden Fällen geht es jedoch überhaupt nicht um eine Abwertung der Betroffenen. Als Befürworter von Etabliertenvorrechten gilt, wer meint: „Wer irgendwo neu ist, sollte sich erst mal mit weniger zufrieden geben.“ Eine Forderung, die im Hinblick auf Flüchtlinge nicht leicht auf den Alltag herunter zu brechen ist.

Platte Formulierungen

Sogar Aussagen wie „Durch die vielen Muslime hier fühle ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenen Land“ oder „Es leben zu viele Ausländer in Deutschland“ könnten ganz banal auch ein mangelndes Vertrautsein ausdrücken. Zudem hält die diffuse Stimmung in puncto zu hohe Bevölkerungsanteile die Möglichkeit offen, dass die Kritiker mit weniger Ausländern/Muslimen keine Probleme hätten.

Generell kommen in der FES-Studie einzelne Statements zum Tragen, die so platt formuliert sind, dass man im Geiste den stereotypen bildungsfernen Biertrinker in Pantoffeln frühmorgens am Kiosk vor sich hin brabbeln hört: „Ohne Judenvernichtung würde man Hitler heute als großen Staatsmann ansehen.“ „Bei der Politik, die Israel macht, kann ich gut verstehen, dass man etwas gegen Juden hat.“ „Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen.“

Es hat sich eingebürgert, dass man eine Batterie plumper Denkweisen zur Abstimmung stellt, um Intoleranz zu enthüllen. Trotzdem fragt man sich, ob extreme Formulierungen es den nachdenklicheren Zeitgenossen nicht erschweren, die passende Stellungnahme zu finden. Bei den „neu-rechten Einstellungen 2016“ werden Haltungen vorgegeben wie: „Die Regierung verschweigt der Bevölkerung die Wahrheit.“ Auch: „In Deutschland darf man nichts Schlechtes über Ausländer sagen, ohne gleich als Rassist beschimpft zu werden.“ Der Satz „Der Islam hat in Deutschland zu viel Einfluss“ gilt als Glauben an eine Islamverschwörung. Arg revolutionär klingt der Ausspruch „Es ist Zeit, mehr Widerstand gegen die aktuelle Politik zu zeigen“. Nur: Was meint hier Widerstand? Die Regierung kritisieren? Demonstrieren? Angewandte Gewalt? Der Indikator „Nationale Rückbesinnung gegen die EU“ ist da schon weniger missverständlich. Personen, die sagen: „Deutschland muss sich mehr auf sich selbst besinnen“, sind zu wenig proeuropäisch.

Zwischen Wissenschaft und Politik

Grundsätzlich hadert die FES-Studie merklich mit der Nation: „Ausländer-, Fremden- und Muslimfeindlichkeit“ dienten der „Abgrenzung des Eigenen (Volk, Nation) von den ‚Fremden‘ und damit der Konstitution nationaler Identitäten.“ Statt „Wir sind das Volk“ sei das unterkühlte, Motto „Wir alle sind die Bevölkerung“ netter. Als alternativen Bezugspunkt empfiehlt die Studie eine „Kultur der Gleichwertigkeit“. Eine dringende Frage sei, „wie Bürger davon überzeugt werden können, dass soziale und gesellschaftliche Herausforderungen zu bewältigen sind“. Das erinnert schon ein bisschen an das Merkelsche Credo „Wir schaffen das“.

Unbestritten vermitteln die neueren Umfragen viel Richtiges. Bei einigen Aussagen aber muss dringend analysiert werden: Wird erhoben, was erhoben werden soll? Wer ganze Gruppen als Menschenfeinde in eine Ecke stellt, steht in der Verantwortung, eindeutige Beweise vorzulegen. Sonst leistet er selbst einer weiteren Polarisierung der Gesellschaft Vorschub.

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