Debatte um Leitkultur - „Offenheit bedeutet nicht Beliebigkeit“

Kann man zugewanderten Menschen eine bestimmte kulturelle Lebensweise vorschreiben? Thomas Oppermann, SPD-Fraktionschef im Bundestag, schrieb 2015: „Nein“. Vielmehr werde eine offene Gesellschaft erst dadurch stark, dass es viele unterschiedliche Vorstellungen und Begabungen gebe

„Wer hier leben möchte, muss auch bestimmte Regeln und Werte respektieren“ / picture alliance
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Thomas Oppermann ist Vorsitzender der SPD-Fraktion im Bundestag

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Als Rot-Grün unter Bundeskanzler Gerhard Schröder vor 15 Jahren begann, ein liberales Ausländerrecht und eine moderne Integrationspolitik zu entwerfen, haben die Konservativen unter Führung von Friedrich Merz die deutsche Leitkultur gegen die multikulturelle Gesellschaft in Stellung gebracht. Auch wenn sie damit die rot-grünen Reformen abbremsen konnten: Am Ende mussten sie mit dem Konzept einer deutschen Leitkultur scheitern. Denn: Was ist deutsch in einem europäischen Land, in dem jeder fünfte Einwohner mindestens einen nicht in Deutschland geborenen Elternteil hat? Was ist typisch deutsch in einem Land, das sich der Globalisierung geöffnet und viele Impulse aus anderen Ländern und Kulturen aufgenommen hat? Kann man Menschen in einer freien Gesellschaft überhaupt eine bestimmte kulturelle Lebensweise vorschreiben?

Die Antwort lautet eindeutig: nein. In Deutschland darf jeder so handeln und leben, wie er es für richtig hält, solange er dabei nicht die Rechte anderer oder die öffentliche Ordnung verletzt. Religiöser Glaube, politische Meinung oder sexuelle Präferenz – hier hat der Staat weder seinen Bürgern noch den Einwanderern etwas vorzuschreiben. In einer offenen Gesellschaft kann sich jeder mit seinen Vorstellungen vom Leben einbringen. Und eine offene Gesellschaft wird erst dadurch stark, dass es viele unterschiedliche Vorstellungen und Begabungen gibt.

Diversität als Chance

Offenheit bedeutet aber nicht Beliebigkeit. Einen Platz in dieser Gesellschaft finden deshalb nur jene, die die Grundwerte unserer republikanischen und demokratischen Ordnung als verbindlich ansehen. Wer dauerhaft hier leben will, muss die deutsche Sprache lernen, für sich selbst Verantwortung übernehmen, die Rechte von Frauen und Kindern achten, auf Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung verzichten sowie Andersdenkende und Andersgläubige respektieren. Das sind die Leitplanken für ein freies und selbstbestimmtes Leben in Deutschland. Das darf und muss der Staat von allen Bürgern verlangen. Das ist eine klare, unmissverständliche Botschaft – auch für Einwanderer und Flüchtlinge.

Diese Botschaft dürfte gehört werden. Denn die meisten Flüchtlinge sehnen sich nach einem Leben in Freiheit, nach einem Leben ohne korrupte Verwaltungen, Terrormilizen oder religiöse Fanatiker. Davon hatten sie in ihrem Leben mehr als genug. Im Gegenzug muss die Gesellschaft akzeptieren, dass sich durch Einwanderung Kultur und Lebensgewohnheiten verändern und vielfältiger werden. Als Einwanderungsgesellschaft müssen wir lernen, mit dieser Diversität umzugehen. Auch das erfordert Toleranz. Aber nur wenn es gelingt, die Geltung gemeinsamer Regeln und Werte auch durchzusetzen, kann Diversität eine Chance und Bereicherung für unser Land sein.

Im „Cicero“-Magazin haben wir bereits im Dezember 2015 mehrere deutsche Politiker zum Thema Leitkultur Stellung nehmen lassen. Diese Beiträge veröffentlichen wir nun auch auf unserer Online-Seite in einer Serie.

Lesen Sie hier den Text von FDP-Chef Christian Lindner.

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