Debatte um Einfamilienhäuser - Gehts noch primitiver?

Die Eigenheim-Debatte lässt Schlimmes für den diesjährigen Wahlkampf vermuten: Wenn wir auf diesem Niveau Diskussionen führen wollen, können wir es auch gleich lassen.

Anton Hofreiter steht für seine Aussage zu den Einfamilienhäusern in der Kritik / dpa
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Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Anton Hofreiter, der Fraktionsvorsitzende der Grünen, hat dem Spiegel ein Interview gegeben. Er spricht darin über den Leerstand in vielen Dörfern, über die schlechte Ökobilanz von Einfamilienhäusern und das Problem der Zersiedelung durch immer neue Wohnviertel. Zur Frage, welche Rolle die Politik in dieser Frage spielen sollte, lautet sein zentraler Satz: „Natürlich wollen die Grünen nicht die eigenen vier Wände verbieten. Die können übrigens sehr verschieden aussehen: Einfamilienhaus, Reihenhaus, Mehrfamilienhaus, Mietshaus. Wo was steht, entscheidet allerdings nicht der Einzelne, sondern die Kommune vor Ort.“ Hofreiter will also, dass die Kommunen in dieser Frage mehr Kompetenzen bekommen.

So weit, so unaufregend.

Der Spiegel machte daraus die Überschrift „Wollen die Grünen Einfamilienhäuser verbieten, Herr Hofreiter?“ und schrieb darunter: „Platzraubend und schlecht fürs Klima: Die Grünen in Hamburg gehen gegen Eigenheime vor. Der Chef der Bundestagsfraktion verteidigt das – und bringt sogar Enteignungen ins Spiel, um Wohnraum zu schaffen.“ So machen Medien das eben gerne in Überschriften und in sogenannten Teasern: Zuspitzen, bis sich die Fakten biegen. „To tease“ heißt übrigens „necken“.

Ziemiak holt den Holzhammer raus

Paul Ziemiak, als Generalsekretär bei der CDU für die Abteilung Angriff zuständig, ließ sich nicht zweimal necken. Und twitterte: „Okay, wir haben verstanden: Dieser familienfeindliche Vorschlag ist nun auch im Herzen der Bundes-Grünen angekommen. Muss man wissen.“ Von hier drehte die Botschaft nun ihre Runden in den Twitter- und Facebook-Weiten des Landes: Die Grünen wollen uns die Eigenheime verbieten.

Die CDU, das zeigt dieser Fall, muss sich seit der späten Ära Merkel mächtig abstrampeln, um prinzipielle Unterschiede zwischen den Schwarzen und den Grünen zu finden und nach außen sichtbar zu machen. Das gilt ganz besonders auf der Zielgeraden zu einer Bundestagswahl, aus der wohl eine schwarz-grüne Liaison hervorgehen dürfte. Aber darf man von einem Generalsekretär zumindest noch erwarten, dass er dazu fähig ist, mehr als die Überschrift eines Artikels oder Interviews liest? Wenn nicht einmal mehr die politische Elite des Landes dazu bereit ist, dann können wir die Debatten zu einer Reihe von Themen auch gleich sein lassen. Stattdessen bewerfen wir uns einfach auf Twitter gegenseitig mit Dreck.

"Kindergartenverbot!"

Ein ähnliches Schauspiel, aber mit vertauschten Rollen, liegt keine zwei Jahre zurück: Carsten Linnemann, stellvertretender CDU-Fraktionschef im Bundestag, hatte in einem Interview dazu aufgerufen, Sprachdefizite von angehenden Grundschülern rechtzeitig, also im Kindergarten, zu erkennen und auszugleichen. Die dpa hatte daraus die Überschrift gemacht: „CDU-Politiker: Grundschulverbot für Kinder, die kein Deutsch können.“ Daraufhin prasselten die Moralkeulen von links (und sogar aus der eigenen Partei) nur so nieder auf Linnemann. Linke-Chefin Katja Kipping verstieg sich zu der Äußerung, Linnemann gehe auf „Stimmenfang im rechten Sumpf“. Ziemiak sprang seinem Parteigenossen natürlich zur Seite.

Die damalige Debatte war genauso eine Beleidigung für den aufgeklärten Geist wie die jetzige Schlacht ums Häusle.

Schon klar – das Einfamilienhaus hat in Deutschland einen besonderen Stellenwert: Es ist seit dem zweiten Weltkrieg die Trutzburg des zu mehr oder weniger bescheidenem Wohlstand gekommenen Bürgers. Und gerade in Lockdown-Zeiten wurde der Garten davor zu einem Faktor, der den einen oder anderen Elternteil im Home Office („Kinder, raus in den Garten. Jetzt!“) vor dem Nervenzusammenbruch bewahrt haben dürfte.

Einfamilienhäuser haben schlechtere Ökobilanz

Aber für die Erkenntnis, dass das Einfamilienhaus aus ökologischen Gesichtspunkten im Vergleich zum Mehrfamilienhaus ein Desaster ist, braucht es keinen Anton Hofreiter: Es frisst im ohnehin schon eng besiedelten Deutschland wertvolle Flächen, und es frisst pro Quadratmeter fünfzehn Kilowattstunden mehr Heizenergie – da können sich die Häuslesbauer noch so schöne Pelletsheizungen in ihre Keller stellen. Die FAZ hat das in einem lesenswerten Beitrag Anfang Februar en detail beschrieben. Gerade in eng bebauten Großstädten wie Hamburg ist es nicht nachvollziehbar, wenn die wenigen übrigen freien Flächen mit Einfamilienhäusern bebaut werden.

All das ficht die politische Elite des Landes nicht an. Nach Ziemiak ließ auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder gegenüber der Passauer Neuen Presse wissen: Ein Beispiel für „alte grüne Politik“ sei der „unsinnige Vorschlag, Einfamilienhäuser zu verbieten“. Der bau- und wohnungspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Daniel Föst schimpfte: „Die Grünen wollen den Menschen den Traum vom Eigenheim madig machen.“

Auch Olaf Scholz holzt mit

Besonders schräg wurde es, als auch SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz am Aschermittwoch auf den Zug aufsprang: Bei der Idee der Grünen, auf Einfamilienhäuser in Ballungsräumen zu verzichten, handele es sich um „moralischen Rigorismus“, mit dem er nichts zu tun haben wolle. Olaf Scholz? SPD? Hamburg? Es ist Scholz‘ Hamburger SPD, die im Bezirk Hamburg-Nord gemeinsam mit den Grünen beschlossen hat, in neuen Bebauungsplänen keine Einfamilien- und Reihenhäuser mehr auszuweisen. Aus nachvollziehbaren Gründen, siehe oben.

Eigentlich wäre nun ein Mann wie der politische Künstler Klaus Staeck gefragt: „Deutsche Arbeiter, die SPD will euch eure Villen im Tessin wegnehmen“, plakatierte er Anfang der 70er Jahre, nachdem CDU-nahe Vereinigungen im Wahlkampf in Anzeigen unterstellt hatten, die SPD würde auch nicht davor zurückschrecken, den Leuten ihr Eigenheim streitig zu machen. Aber Leute wie Staeck sind wohl viel zu langsam für die Twitter-Gewitter-Ära.

Der Umgang führender Politiker mit dem Thema Einfamilienhaus lässt jedenfalls Übles ahnen für den Wahlkampf, der Deutschland in diesem Jahr bevorsteht.

Eines noch: Es gehört zu den Lieblingsdisziplinen der politischen Elite, in trauter Überparteilichkeit die AfD der Verzerrung und Verfälschung von Aussagen zu zeihen, um das üble Geschäft der populistischen Propaganda zu betreiben. Wollen die Grünen Einfamilienhäuser verbieten? Nein. Wer das weiter behauptet, spielt in einer Liga mit den Populisten.

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