Das Dilemma des Konservatismus - Der ewige Verlierer

Kolumne: Grauzone. Mit der Homo-Ehe fällt eine weitere Bastion der Konservativen. Wieder einmal stehen sie als die Spielverderber da. Was der Konservatismus braucht, um aus der Defensive zu treten

Erklärte Monarchisten sind selbst in konservativen Kreisen eher selten zu finden / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

So erreichen Sie Alexander Grau:

Anzeige

Konservative sind scheinbar geborene Verlierer. Das macht ihre Position so traurig und mitunter so lächerlich. Seit 200 Jahren nichts als Rückzugsgefechte: gegen die Demokratie, gegen die Republik, gegen die Säkularisierung, die Sozialpolitik, die Frauenrechte, die Selbstbestimmung, die Verhütung. Man könnte die Liste fortsetzen.

Das unfreiwillig Komische daran: Auch zeitgenössische Konservative möchten die eben genannten Errungenschaften der Moderne nicht missen. Erklärte Monarchisten sind selbst in konservativen Kreisen eher selten zu finden, auch Gegner des Frauenwahlrechts findet man dort so gut wie nie, und den Ständestaat möchte dort ebenso keiner zurück. Stattdessen lebt man in zweiter Ehe und huldigt im Privatleben einem von vorne bis hinten modernen Lebensstil.

Inkonsequenter Konservatismus

Kurz: Der Konservatismus ist nicht nur andauernd in der Defensive. Schlimmer noch: Er erweist sich als inkonsequent. Denn kaum haben die selbsternannten Progressiven sich durchgesetzt, macht sich der Konservative flugs die neuen Errungenschaften der modernen Gesellschaft zu eigen, während er zugleich irgendwo versucht, eine neue gesellschaftspolitische Frontlinie aufzubauen.

Der aktuelle Westwall des Konservatismus war bis vor wenigen Tagen die Homo-Ehe. Und jede Wette: Es wird so kommen wie immer. Eine zeitlang wird man in einigen konservativen Kreisen noch nörgeln. Doch es wird nicht lange dauern, dann werden die ersten konservativen Schwulen oder Lesben vor dem Traualtar stehen, und in ein paar Jahren werden nur noch unverbesserliche Homophobe wissen, wo eigentlich das Problem lag.

Die Linke schwächelt

Es ist offensichtlich: Bei den Konservativen läuft etwas falsch. Und zwar gründlich und seit Langem. Das ist bedauerlich. Dies umso mehr, als die Zeiten förmlich nach einem intelligenten Konservatismus schreien: Denn die Linke hat intellektuell und programmatisch abgewirtschaftet. Entsprechend erschöpft sie sich in Sozialstaatsideen aus dem politischen Präkambrium, der immergleichen Kapitalismuskritik oder der Erhebung sektiererischer Forderungen wirrer Splittergrüppchen zu angeblichen Schlüsselfragen moderner Gesellschaften.

Gute Zeiten also für einen durchdachten Konservatismus. Doch es werden immer wieder dieselben Fehler gemacht, die Homo-Ehe ist dafür ein gutes Beispiel.

Nein-Sager sind unsexy

Statt eine eigene Agenda zu präsentieren, lässt man sich vom politischen Gegner irgendein symbolisches Themen aufnötigen. Dann hechelt man programmatisch hinterher, nur um schließlich als Spielverderber dazustehen. Das ist mehr als nur unattraktiv. Nein-Sager sind ganz einfach nicht sexy. Und Menschen, denen nichts anderes einfällt, als immer nur gegen etwas zu sein, kann auf Dauer niemand ernst nehmen.

Selbst eine intellektuell dahindämmernde Linke strahlt immer noch mehr Lebensfreude, mehr Attraktivität und mehr kulturelle Nähe zum Durchschnittsbürger aus als ein griesgrämiger, verbitterter oder weltfremder Konservatismus.

Konservatismus muss etwas wollen

Die Konsequenz: Der Konservatismus muss lernen, eine eigene, attraktive und positive Idee von der Welt zu entwickeln. Er muss etwas wollen, nicht immer nur verhindern.

Die Linke war über Jahrzehnte nicht deshalb erfolgreich, weil sie recht hatte oder die richtigen Analysen lieferte – das tat sie nicht –, sondern weil sie ein Lebensgefühl vermittelte, das den Wünschen und Sehnsüchten sehr vieler Menschen entsprach. Dieses Lebensgefühl war gespeist vom Streben nach Individualismus und Autonomie.

Genau diesen Individualismus, dieses Ideal eines selbstbestimmten Lebens, hat die Linke seit Jahrzehnten aufgegeben und gegen Paternalismus und kulturelle Nivellierung eingetauscht.

Es fehlt eine eigene Utopie

Mit der Idee der Freiheit hat sich die Linke zugleich von der Vision einer pluralistischen Gesellschaft verabschiedet. Der Pluralismus der Linken ist monoton, ihre Buntheit farblos. Hier sollte ein moderner Konservatismus ansetzen. Als Hüter von Diversität, Beschützer von Differenzen, Bewahrer unterschiedlicher kultureller Traditionen, als eine Avantgarde, für die Überlieferung mehr ist als ein Museum überwundener Brauchtümer der globalsierten Weltgemeinschaft.

Der Konservatismus muss aus der Defensive kommen. Er muss zeigen, dass er spannender, lebensfroher und in einem tieferen Sinne liberaler ist als all die angestaubten Ideen, die die Linke mit sich herumschleppt. Der Konservatismus muss seine Aura des ewigen Verlierers durch eine positive Ästhetik ersetzen. Er muss – auch wenn es für Altkonservative absurd klingt – eine Utopie für unsere Gesellschaft entwickeln.

Anzeige