Dannenröder Forst - Grüner wird's nicht

Die Proteste um den Dannenröder Forst und die Autobahn A49 offenbaren, wie die Grünen zunehmend zwischen die Fronten ihrer Realpolitik in den Ländern und ihrer Wunschpolitik auf Bundesebene geraten. So erwächst zunehmend Konkurrenz aus dem eigenen Lager. Am Ende könnten Abspaltungen drohen.

Grüner Pragmatismus: Fällarbeiten im Dannenröder Forst / dpa
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Autoreninfo

Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Lange ist es gut gelaufen für die Grünen. Obwohl sie inzwischen in elf von 16 Bundesländern mitregieren, werden sie bundesweit noch immer vor allem als Oppositionspartei wahrgenommen. Ein nicht zu unterschätzender Vorteil, denn Oppositionsparteien können ihr Wählerpotenzial gemeinhin besser als Regierungsparteien damit ausschöpfen, mit ihnen würde alles anders, wenn sie denn nur endlich regieren würden. Die Träume vieler Wähler zerplatzen dann meist in den ersten Koalitionsverhandlungen, spätestens aber dann, wenn sogenannte Realpolitik gemacht werden muss und ein gewisser pragmatischer Alltag aus Kompromissen eingekehrt ist.

Wie gesagt, in 11 von 16 Bundesländern ist der grüne Alltag inzwischen diese Art von Realität. Das sieht man etwa am bislang einzigen grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. Der muss dort in einer Koalition mit der CDU sowohl die Folgen der Migrationskrise, des Strukturwandels in der Automobilindustrie und nicht zuletzt die Umsetzung des Bahnprojekts Stuttgart 21 verantworten. Kein Wunder, liegt er mit der Bundesspitze immer wieder über Kreuz.

Das Fundament beginnt zu bröckeln

Dennoch haben es die beiden Bundesvorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck bislang durchaus bemerkenswert gut geschafft, diese Form des Zwiespalts aus oppositionellen Zukunftsversprechen und regierungsverantwortlichen Alltagsschwächen zuzukleistern. Anders als einst der Realo-Grüne Cem Özdemir und die Fundi-Grüne Simone Peter, schafft es die heutige Doppelspitze weitgehend mit einer Stimme zu sprechen. Doch diese Baerbock-Habeck'sche Fugendichtmasse trocknet inzwischen vor sich hin und bekommt Risse.

Je weiter sich die grüne Partei ins Zentrum des politischen Spektrums aufmacht, einige sprechen von den Grünen als neuer, die SPD ablösende Volkspartei, desto größer wird die Gefahr, dass das Fundament zu bröckeln beginnt. Denn wer etwa fundamental für Klimaschutz eintritt, muss bei den Grünen immer öfter feststellen, dass auch eine Regierungsbeteiligung, wie etwa im Bundesland Hessen, nicht davor schützen kann, eine Bundesautobahn durch den Dannenröder Forst zu bauen.

Die Summe seismischer Aktivitäten

Die Wahrheit mag zwar sein, dass es eigentlich in der Verantwortung des Noch-Verkehrsministers Andreas Scheuer (CSU) liegt, dass der „Danni“ mutmaßlich eben nicht bleibt. Aber für die politischen Gegner der Grünen ist es ein willkommener Abstauber, wenn die Bundespartei munter twittert, die A49 dürfe nicht gebaut werden, während 2014 die hessischen Grünen gemeinsam mit der CDU den dringlichen Antrag in den Landtag einbrachten, die Fertigstellung der A49 zu beschließen. So kam es dann auch. Es war eine Zeit vor dem Hambacher Forst, vor Fridays for Future und vor Carola Rackete und Extinction Rebellion. Doch solche realpolitischen Zwänge sind der öffentlichen Debatte egal. Gnadenlos hängen bleibt wohl bei vielen: Die Grünen, sie predigen Wasser, aber trinken Wein.

Und das verfängt nicht nur bei den Gegnern, sondern inzwischen auch bei immer mehr Unterstützern. Noch ist das kein flächendeckender Trend. Aber an vielen Orten in Deutschland bilden sich derzeit neue, grüne Parteien. In Berlin etwa ist das die Partei radikal:klima. Die neue Partei für Klimaschutz will bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr antreten und will erklärtermaßen der neue Stachel im Fleisch der Grünen sein. Die beiden Realos Habeck und Baerbock haben die Fundis in der Partei so weit befriedet, dass sie sich eine neue Basis für ihren Kampf suchen. Bei der Oberbürgermeisterwahl in Düsseldorf etwa trat die 23 Jahre alte Celine Coldewe von der Klimaliste Düsseldorf an. Sie erreichte dabei zwar nur eigentlich nicht nennenswerte 0,39 Prozent. Aber es ist die Summe solcher leichten seismischen Aktivitäten, die zu den inzwischen sichtbaren Rissen führt.

Der Frankfurter Ableger von Fridays for Future twitterte zu den Wald-Protesten im Dannenröder Forst in mehrfacher Wiederholung: „Die Grünen sind keine ökologische Partei“.

Der grüne Bundestagsabgeordnete Wolfgang Strengmann-Kuhn versuchte die Risse schnell zu kitten mit den Worten: „Wir können das gerne mal ausführlich vor Ort diskutieren. Entweder irgendwann in Frankfurt oder nächsten Sonntag im #Danni“ . Der grüne Generalsekretär Michael Kellner machte sich schnell auf zum „Danni“, ließ sich fotografieren und twitterte: „Es braucht einen sofortigen Stopp“. Der Schlüssel dazu liege aber auf Bundesebene im Verkehrsministerium.

Wütend aber verbreitete das Bündnis Wald statt Asphalt ein Video, das zeigt wie Einsatzkräfte der Polizei Wald-Demonstranten mit Schlagstock-Hieben versuchte in Schach zu halten:

Werben um die Aktivisten

Andi Scheuer und die CDU/CSU dürften sich ins Fäustchen lachen. Der CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak jedenfalls twitterte genüsslich: Die lebensfremden Spinnereien von Habeck, Baerbock und Co. würden nichts anderes bedeuten als das Abkoppeln der Menschen im ländlichen Raum. „Wir brauchen Planungsbeschleunigung statt grüner Baustopps für Straßen und Autobahnen.“ Dazu schrieb er: „#Grüne #dagegenpartei“ . Luisa Neubauer und ihre Anhänger bemühten sich daraufhin die Scherben wieder zusammenzukehren. Der Tenor: Hey CDU, eigentlich seid ihr aber doch die viel schlimmere Dagegenpartei. Auch der SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil wollte die Gelegenheit nicht verstreichen lassen und warf den Grünen vor, „Mal so mal so-Opportunismus zu betreiben. Tatsächlich dürfte ein Grund für die im Verhältnis zu den Protesten im Hambacher Forst in Nordrhein-Westfalen geringere politische und öffentliche Aufmerksamkeit für „Danni bleibt“ eben darin begründet liegen, dass die Grünen in Hessen eben nicht oppositionell flankieren können.

Händeringend versucht die Partei deshalb, ihr Fundamental-Potenzial nicht von der Fahne gehen zu lassen, sich nicht vom Zeitgeist links überholen zu lassen. An vielen Orten hat man Aktivisten der Fridays-for-Future-Bewegung dazu gebracht, für die Grünen zu kandidieren. In Hamburg ist es der erst 19 Jahre alte Jakob Blasel, eines der bekannteren Gesichter der Jugendprotestbewegung. Luisa Neubauer, Grünen-Mitglied, wollte aber dieses Mal zumindest noch nicht. Vielleicht in vier Jahren. Die Grünen liefern sich hier einen Wettbewerb um die bessere Parteiheimat mit SPD und Linken, die ebenfalls um die FFF-Aktivisten werben.

Noch fehlen Momentum und Person

Diese Abspaltungserscheinungen aber müssen den Grünen auf lange Sicht nicht zwangsläufig schaden. Die Kunst wird vor allem darin bestehen, zahlenmäßig mehr neue Wähler aus anderen gesellschaftlichen Schichten zu erschließen, als alte Freunde zu verlieren. Der Preis, den eine mögliche grüne Volkspartei zahlen könnte, wäre dann eine ernstzunehmende Abspaltung oder Neugründung jenseits von ihr. Die Frage wäre dann, wie koalitionsfähig eine solche Absplitterung wäre. Doch dafür fehlt derzeit noch das Momentum und auch eine Person. Es dürfte freilich auch kein grüner Oskar Lafontaine sein, der im jahrzehntelangen Unfrieden geht. Aber eine Figur, die bräuchte es. Es gibt Grüne, die davon träumen.

Klar ist, was die Bundeskanzlerin Angela Merkel neben ihrer CDU mit ihren politischen Entscheidungen (Atomausstieg, Eurokrise, Abschaffung der Wehrpflicht, Migrationskrise) über Jahre allmählich mit der AfD erschaffen hat, ist bei den Grünen, auch mangels bundespolitischer Regierungsverantwortung, bislang ausgeblieben. Aber diese Momente dürften kommen, erst recht, wenn nicht mehr nur in Ländern, sondern auch im Bund regiert werden sollte. Womöglich kommen diese Momente dann noch während oder nach Corona, wenn klar wird, dass es handfeste wirtschaftlich tragfähige Konzepte braucht und nicht nur gut erzählte Träume einer grünen besseren Welt. Klar jedoch dürfte für eine grüne Volkspartei sein: Grüner wird's nicht.

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