CSU - Ein ungarisches Krokodil und dobrindtsche Duftmarken

Bei ihrer Klausurtagung vor den Koalitionsgesprächen provoziert die CSU bewusst. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán und Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sollen das konservative Profil der Partei schärfen. Letzterer aber schießt manchmal am Ziel vorbei

Seehofer, Orbán, Dobrindt: Klare Rollenverteilung im Polittheater / picture alliance
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Wenn im Kasperletheater das Krokodil von hinten auf die Bühne schleicht, fangen die Kinder im Publikum an zu schreien: „Pass auf, Kasperle!“ Natürlich geht die Sache am Ende immer gut aus, das böse Krokodil bekommt vom munteren Kasper ordentlich mit der Klatsche aufs schuppige Haupt und trollt sich. Viktor Orbán darf heuer wieder beim jährlichen Neujahrstreffen der CSU-Landesgruppe und damit schon beinahe traditionell die Rolle des Krokodils übernehmen – nur mit dem kleinen Unterschied, dass Ungarns Ministerpräsident dort nicht als ungebetenes Reptil auftaucht, sondern als geladener Gast. Was dem Angstgeschrei in den medialen Rängen jedoch keinen Abbruch tut, im Gegenteil: Wer den Namen „Orbán“ niederschreibt, tut dies regelkonform mit dem Adjektiv „rechtspopulistisch“, zumindest aber firmiert er hierzulande als „umstritten“.

Orbán und Dobrindt: Sprachrohre der Konservativen

Dass Viktor Orbán in Ungarn selbst, wo er mit deutlicher Mehrheit regiert, weniger umstritten ist als etwa in der Bundesrepublik, tut dem Reiz-Reaktionsschema keinen Abbruch: Mit seiner Rolle als Krokodil im deutschen Polittheater hat er sich längst abgefunden; wie es scheint, sogar gern. Seine Ausflüge ins Bayerische sind denn auch nicht inhaltlicher Art, sondern ein symbolischer Akt. „Seht her“, will die versammelte Bundestags-CSU der Öffentlichkeit und insbesondere den professionellen Meinungsbildnern vermitteln, „das Krokodil jagt uns keine Angst ein, wir haben es sogar lieb!“ Während erstere, also die große Öffentlichkeit, dies überwiegend gelassen zur Kenntnis nimmt, schäumen letztere, also die Medien, regelmäßig über. Quod erat demonstrandum.

Denn die CSU sieht sich nach dem Totalausfall ihrer Schwesterpartei mehr denn je als Sprachrohr derer, die Landesgruppenchef Alexander Dobrindt soeben in einer kühnen Generalisierung unter die schweigende bürgerlich-konservative Mehrheit subsumiert hat. Sein Beitrag für Die Welt entspricht übrigens ziemlich exakt dem, was auch Orbán propagiert: christlicher Glaube, der Einzelne und seine Würde, Heimat und Vaterland, Europa und Abendland, Freiheit der Bürger, Sicherheit und Wohlstandsaufbruch lauten (in dieser Reihenfolge) die Schlagworte in Dobrindts Manifest für eine „bürgerlich-konservative Wende“. Dass er in diesem Zusammenhang auch den historisch kontaminierten Begriff der „konservativen Revolution“ bemüht, mag der Unachtsamkeit geschuldet oder als Provokation gemeint sein. Fakt ist: Von chauvinistischem Nationalismus ist das Thesenpapier weit entfernt.

Es ist davon auszugehen, dass hier ein künftiger CSU-Vorsitzender (mutmaßlich in Absprache mit dem designierten bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder) eine klare Duftmarke setzen wollte. Nämlich dergestalt, dass man sich der „linken Meinungsvorherrschaft“ (O-Ton Dobrindt) klarer als zuvor entgegenstellen werde. Der Rekurs auf Achtundsechzig als Grundübel und bis heute einflussreiche linke „Elitenbewegung“ wirkt in diesem Zusammenhang zwar etwas einseitig und bemüht. Doch braucht es auch keine sozialwissenschaftliche Expertise, um Dobrindts Befund nachempfinden zu können, demzufolge „der Kampf um das bessere Argument“ ersetzt wurde durch „den unverrückbaren Glauben an die eigene moralische Überlegenheit“. Der durch und durch irrationale Umgang mit der jüngsten Massenmigration in vielen Medien und bei auf mediale Zustimmung fixierten Spitzenpolitikern war da nur das bisher extremste Beispiel.

Ist die Mehrheit wirklich bürgerlich?

Dennoch ist Dobrindts scharfer Meinungsbeitrag zumindest an einer Stelle mit Vorsicht zu genießen. Dort nämlich, wo er die Trennlinie zieht zwischen „bürgerlich“ und „links“. Denn entgegen dem allgemeinen Sprachgebrauch ist keineswegs jeder Anhänger von SPD, Grünen und nicht einmal der Linkspartei von antibürgerlichen Affekten durchdrungen oder wünscht sich „Etatismus“ und „Verbotismus“, um Dobrindts Szenario des Grauens zu zitieren. Solche Zuschreibungen vertiefen lediglich ideologische Gräben und sind auch kein Ausdruck eines Ringens um das von ihm gepriesene „bessere Argument“.

Aber davon einmal abgesehen: Wenn der CSU-Landesgruppenchef schreibt: „Deutschland ist ein bürgerliches Land. Die Mehrheit der Menschen in unserem Land lebt und denkt bürgerlich. Es gibt keine linke Republik und keine linke Mehrheit in Deutschland. Das hat nicht zuletzt die Bundestagswahl 2017 wieder ganz klar gezeigt“, dann hat er formal zwar Recht. Gleichzeitig gemeindet er aber die AfD praktisch pauschal ins „bürgerliche“ Lager ein (ohne diese Partei kommen CDU, CSU und FDP jedenfalls nur auf 43,6 Prozent). Nun mögen sich weite Teile der AfD-Klientel tatsächlich aus dem Reservoir enttäuschter Unions-Konservativer speisen. Aber auch die jüngste Invektive eines AfD-Bundestagsabgeordneten gegenüber dem Sohn von Boris Becker („Halbneger“) zeigt einmal mehr das aggressiv-rassistische Potential dieser Partei. Mit Bürgerlichkeit ist es da nicht weit her.

Weder Prenzlauer Berg noch Bayern

Dass Dobrindt keine Sympathie für solche Einlassungen hegt, steht außer Frage und geht auch deutlich aus seinem Beitrag hervor. Trotzdem wirkt sein bürgerliches Manifest an einigen Stellen etwas arg kleingeistig und ausgrenzend. „Deutschland ist nicht Prenzlauer Berg“, heißt es etwa gleich im ersten Satz über den wahrscheinlich wohlhabendsten Familienkiez in ganz Berlin mit der höchsten Bugaboo-Kinderwagendichte in ganz Deutschland. Ob da wirklich nur Verbotsfetischisten und autonome Steinewerfer wohnen? Wer wie Dobrindt die meiste Zeit in der Hauptstadt verbringt, sollte es eigentlich besser wissen. Jedenfalls besteht die Bundesrepublik auch nicht nur aus Bayern. Das Bürgertum tut es übrigens auch nicht.

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