Coronavirus - Der Tod als Totschlagargument 

In der Corona-Krise wird klar: Zwischen dem modernen Menschen und den Auswüchsen des Mittelalters steht einzig und alleine der Rechtsstaat. Nur ist gerade der in Gefahr, auch aufgrund totalitärer Träume mancher Politiker.

Auch Jens Spahn verfolgt eine Agenda / dpa
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Autoreninfo

Gerhard Strate ist seit bald 40 Jahren als Rechtsanwalt tätig und gilt als einer der bekanntesten deutschen Strafverteidiger. Er vertrat unter anderem Monika Böttcher, resp. Monika Weimar und Gustel Mollath vor Gericht. Er publiziert in juristischen Fachmedien und ist seit 2007 Mitglied des Verfassungsrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer. Für sein wissenschaftliches und didaktisches Engagement wurde er 2003 von der Juristischen Fakultät der Universität Rostock mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet. Foto: picture alliance

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Die Furcht vor einer schweren, möglicherweise tödlichen Krankheit gehört zu den Urängsten des Menschen. In Zeiten grassierender Epidemien ist die Bereitschaft deshalb erheblich vergrößert, zivilisatorische Errungenschaften über Bord zu werfen und sich ausschließlich den Fragen des reinen Überlebens zu widmen.

Dass Angst hierbei der schlechteste aller Ratgeber ist, zeigen die oft irrationalen Ergebnisse dieser Vorgehensweise, wie wir sie mindestens seit dem Mittelalter kennen. So diente der Ausbruch der Pest als Anlass zur Ermordung und Vertreibung von Juden, denen man aufgrund der Brunnenvergifterlegende die Schuld an der verheerenden Krankheit zuschob.

Der Mensch des Mittelalters

Auch die ausufernde Verfolgung und Verbrennung angeblicher Hexen hat eine ihrer Wurzeln im sogenannten Schwarzen Tod, von welchem damalige Autoritäten wie Johannes Calvin glaubten, er sei durch „Zauberkünste“ ausgebreitet worden. Dass der eine oder andere Machtpolitiker die zeitgenössische Mischung aus Angst, Unwissenheit und Aberglauben ausnutzte, um alte Feindseligkeiten endlich in Mord und Totschlag umzumünzen, liegt auf der Hand.

Dem vorgeblichen Ziel, die verheerende Krankheit zu stoppen, kamen sie auf diese Weise aber keinen Schritt näher. Der Mensch als solcher hat sich seit dem Mittelalter kaum verändert, auch wenn er das gerne glauben möchte. So meldet Amnesty International eine aufgrund von Corona steigende weltweite Anzahl von Beleidigungen und Angriffen auf Personen, „denen eine chinesische Herkunft unterstellt wird“.

Deutliche Risse im Firnis der Zivilisation

Schleswig-Holsteiner Bürger wenden sich gegen Hamburger Zweitwohnungsbesitzer: „Ihr habt hier nichts zu suchen, haut ab!“, französische Staatsbürger werden an der deutschen Grenze mit Eiern beworfen. Für die russisch-orthodoxe Kirche ist Corona eine Strafe Gottes für menschliches Fehlverhalten, ebenso für die Islamisten, die in der Krankheit einen göttlichen Zorn gegen den „dekadenten Westen“ zu erkennen vermeinen und ihren Kämpfern demzufolge Immunität bescheinigen.

Schon kurz nach Ausbruch der Pandemie zeigen sich deutliche Risse im Firnis der Zivilisation und es wird klar: Zwischen dem modernen Menschen und den Auswüchsen des Mittelalters steht einzig und alleine der Rechtsstaat. Nur er kann verhindern, dass die Bekämpfung einer Epidemie schlimmere Folgen zeitigt als die Krankheit selbst.

Grundrecht gegen Gesundheit

Der rüde Umgang mit dieser kostbaren Errungenschaft, wie er sich nicht erst seit der Coronakrise auf politischer Ebene breitmacht, sollte uns deshalb mindestens ebenso stark beschäftigen wie die notwendige Eindämmung der Pandemie. Das Infektionsschutzgesetz war Mitte Februar nur einem kleinen Kreis von Eingeweihten bekannt. Dass es jemals zur Grundlage bundesweiter Einschränkungen von Grundrechten werden könnte, vermochte sich bis vor kurzem niemand vorzustellen.

Am 27. März 2020 beschloss der Bundestag eine weitreichende Verlagerung von originären Länderkompetenzen auf das Bundesministerium für Gesundheit. Die nach anderthalbstündiger Diskussion beschlossene Änderung des IfSG zentralisiert die Notstandsbefugnisse. Künftig stellt der Deutsche Bundestag „eine epidemische Lage von nationaler Tragweite fest“, verbunden mit einer umfassenden Verordnungsermächtigung an das Bundesministerium für Gesundheit (§ 5 IfSG).

Gesetze ohne Befristung

Die Beschlussfassung des Deutschen Bundestags über die „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ erfolgte – von der Öffentlichkeit nicht beachtet - noch unmittelbar vor Verabschiedung der Gesetzesänderungen (mit Stimmenthaltung der Linken und der AfD). Das Gesetz sieht keine Befristung der Feststellung über die „epidemischen Lage“ vor.

Der Bundestag hat die Feststellung wieder aufzuheben, „wenn die Voraussetzungen für ihre Feststellung nicht mehr gegeben sind.“ Das ist alles. Die Feststellungsermächtigung an den Bundestag und die Verordnungsermächtigung an das Bundesgesundheitsministerium sollen immerhin mit Wirkung zum 1. April 2021 entfallen. Diese vorläufige Jahresfrist kann nicht beruhigen angesichts der in dieser Zeit möglichen tiefgreifenden Grundrechtsbeschränkungen.

Verfassungswidrige Ermächtigung

Angesichts einer hysterischen Nachrichtenlage dürfte vielen Menschen auch entgangen sein, dass mit § 5 Abs. 2 Nr. 3 IfSG eine offenkundig verfassungswidrige Ermächtigung des Gesundheitsministeriums in Kraft gesetzt wurde, nach Gutdünken und ohne Zustimmung des Bundesrats per Rechtsverordnung über Ausnahmeregelungen zu befinden.

Obwohl Artikel 80 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes für derartige Fälle vorsieht, dass „Inhalt, Zweck und Ausmaß“ der Ermächtigung im Gesetz zu bestimmen seien, finden sich hierzu nur wenige allgemeine Festlegungen. Zum Ausmaß der möglichen Ausnahmen schweigt sich das Gesetz sogar komplett aus. Somit handelt es sich um einen Gutsherrenparagrafen, der dem Gesundheitsminister anheimstellt, die Zügel nach eigenem Willen zu lockern oder auch nicht.

Wunschliste der Amtsinhaber

Betrachten wir den jetzigen Amtsinhaber und seine lange Liste autoritärer Träume. Auf das Konto von Jens Spahn (CDU) geht bereits die Einführung der Masernzwangsimpfung. Sein Wunsch nach einer Automatisierung der Organspende in Fällen fehlenden Widerspruchs wurde erst im letzten Moment vom Bundestag gestoppt. Gegen die durch das Bundesverfassungsgericht angeordnete Liberalisierung der Sterbehilfe mauert er weiterhin und verweigert die Freigabe der nötigen Medikamente.

Noch auf seine Zeit als gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion geht Spahns Forderung zurück, die sogenannte „Pille danach“ weiterhin rezeptpflichtig halten zu wollen. Auf Twitter schrieb er damals: „Man muss es wohl immer wieder sagen: Das sind keine Smarties.“ Eine Tatsache, die richtig einzuschätzen Spahn, ganz autoritärer Kümmerer, den Frauen offenbar nicht zutraute.

Ein Zweck, der jedes Mittel heiligt

Heute hält der gelernte Bankkaufmann, der erhebliche Schwierigkeiten beim selbstständigen korrekten Aufsetzen einer medizinischen Schutzmaske hat und die Bevölkerung durch infantile Kampagnen der Marke „Waschen wie Walter“ veralbert, eine riesige Entscheidungsgewalt in den Händen.

Mit dem Tod als Totschlagsargument auf seiner Seite hält sich der Widerspruch in Grenzen: Die Bekämpfung der „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ ist ein Zweck, der jedes Mittel heiligt und autoritären Charakteren eine unbegrenzte Spielwiese bietet. Was von Bundeskanzlerin Merkel als „Öffnungsdiskussionsorgien“ abgetan wird, ist in Wahrheit eine demokratische Notwendigkeit, die den Rechtsstaat vor der weiteren Aushöhlung bewahrt.

Zynischer Umgang mit der Angst

Wie sehr Regierende angesichts von Corona in Versuchung kommen können, die allgemeine Angst als Lenkungsinstrument zu missbrauchen, zeigt eine Meldung des ORF, laut welcher die österreichische Regierung die Angst vor Corona bewusst verstärkt haben könnte. Ein internes Protokoll fasst die Aussage des österreichischen Bundeskanzlers folgendermaßen zusammen: „Kurz verdeutlicht, dass die Menschen vor einer Ansteckung Angst haben sollen bzw. Angst davor, dass Eltern/Großeltern sterben.Hingegen sei die Angst vor der Lebensmittelknappheit, Stromausfälle etc. der Bevölkerung zu nehmen.“

Ein zynisches Spiel auf der Klaviatur menschlicher Ängste, das symptomatisch ist für unsere postrationale Zeit. Machen wir uns klar, dass sämtliche heute getätigten wissenschaftlichen Aussagen zur Ausbreitung und Mortalität von Corona auf fragwürdigen Statistiken beruhen und sich jederzeit ändern können.

Grund zur Sorge?

Eine Krankheit, die laut Robert-Koch-Institut zu etwa 80 Prozent mild bis moderat verläuft und bereits während der Inkubationszeit ansteckend ist, ist der Logik nach bereits weitaus stärker verbreitet, als die Statistik uns glauben machen möchte. Wohl kaum jemand sucht wegen eines leichten Hustens den Arzt auf oder fordert wegen einer Halsentzündung gleich einen Coronatest.

Sein Fall geht also ein in den Pool der unentdeckten Infektionen, die nach einigen Tagen mit Hausmitteln auskuriert sind. Was aber bedeutet es für die Ermittlung der Sterblichkeitsrate, wenn all die leichten Fälle aus vorgenannten Gründen gar nicht in der Statistik auftauchen? Ist sie vielleicht sogar niedriger als die der saisonalen Grippe? – Wir wissen es nicht. Ist aufgrund von Corona Vorsicht angesagt? Besonders für Menschen mit Vorerkrankungen: bestimmt!

Die Suche nach dem Mittelweg

Sorgfalt ist jedoch auch im Rahmen der jährlichen Influenzaepidemie empfehlenswert: Die Grippewelle 2017/18 hat nach Schätzungen etwa 25.100 Menschen in Deutschland das Leben gekostet, ohne dass die hohe Sterblichkeitsrate einen Lockdown oder auch nur entsprechende Überlegungen nach sich gezogen hätte.

Suchen wir deshalb gemeinsam nach einem goldenen Mittelweg aus der Krise und lassen wir uns nicht zu reinen Objekten staatlichen Handelns degradieren, die sich mit Angstszenarien, Überwachungsapps und polizeilichen Drohnen über städtischen Parkanlagen in jede gewünschte Richtung dirigieren lassen. Widerstehen wir der Furcht, ohne individuell unvorsichtig zu werden, aber erteilen wir den Bevormundungen des Nannystaats eine Absage, ehe der Rechtsstaat Geschichte ist.

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