Coronavirus-Krise - Alle Macht für die Behörden

Das Gesundheitsministerium bekommt enorme Kompetenzen im Kampf gegen Corona, Kritiker sehen allerdings Verstöße gegen das Grundgesetz. Plötzlich ist möglich, was noch vor einer Woche angeblich unmöglich war. Vertrauen schafft das nicht.

Gesetzesnovelle im Eilverfahren: Der Bundesrat beschließt am 27.03.2020 mehr Befugnisse für die Behörden im Kampf gegen Epidemien / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Ist das extrem hohe Tempo, mit dem der Gesetzgeber auf die Corona-Krise reagiert, erschreckend? Erschreckend, weil hier möglicherweise im Eifer des Gefechts auch massiv in die Grundrechte eingegriffen wird? Oder ist die schnelle Reaktion in Form der Novelle des Infektionsschutzgesetzes beruhigend, weil die Bürgerinnen und Bürger erleben, dass langwierige parlamentarische Prozesse zur Not auch auf ein paar wenige Tage verkürzt werden können? Diese Frage treibt derzeit nicht nur Juristen um – sondern alle, die sich im Zeichen von Corona außer um die Gesundheit auch um die Zukunft des liberalen Rechtsstaats sorgen. Eine Antwort darauf wird es frühestens geben können, wenn diese Krise vorerst überwunden ist. Und selbst dann werden Zweifel bleiben.

Gesetzesnovelle im Eilverfahren

Nachdem der Bundestag bereits am Mittwoch im Eilverfahren eine weitreichende Neufassung des Infektionsschutzgesetzes verabschiedet hatte, passierte der umfangreiche Maßnahmenkatalog an diesem Freitag auch den Bundesrat. Damit wurde zum einen eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ festgestellt. Zum anderen erhielt der Bund zusätzliche Kompetenzen zur Bekämpfung von Epidemien – und zwar in erheblichem Umfang. Die seit Ausbruch der Corona-Krise uneinheitliche und unkoordinierte Vorgehensweise der einzelnen Bundesländer, welche in solchen Fragen eigentlich weitreichende Entscheidungsbefugnisse haben, hatte nur allzu deutlich gezeigt, wie groß der Handlungsbedarf war. Mit der Gesetzesnovelle ist aus dem Bundesgesundheitsministerium nun eine Behörde mit fast unumschränkten Befugnissen geworden.

Im Fall, dass das Parlament also eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ feststellt, darf das Spahn-Ministerium künftig eigenmächtig unter anderem:

- Personen, die nach Deutschland einreisen wollen oder eingereist sind und die „wahrscheinlich einem erhöhten Infektionsrisiko für bestimmte bedrohliche übertragbare Krankheiten ausgesetzt waren“, dazu verpflichten, ihre Identität, Reiseroute und Kontaktdaten preiszugeben sowie eine Impf- oder Prophylaxebescheinigung vorzulegen oder sich ärztlich untersuchen zu lassen.

- Eisenbahnen, Busunternehmen, Schiffslinien und Fluggesellschaften dazu verpflichten, die Beförderungen aus bestimmten Staaten nach Deutschland zu unterlassen und den Behörden Passagierlisten zur Verfügung zu stellen.

- Außerdem erhält das Bundesgesundheitsministerium die Befugnis, per Verordnung Maßnahmen zur Sicherstellung der Versorgung mit Arznei-, Heilmitteln, mit Medizinprodukten, Produkten zur Desinfektion und Labordiagnostik zu treffen.

- Nicht zuletzt dürfen die zuständigen Behörden „Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige“ dazu verpflichten, „den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen“ – also eine Ausgangssperre verhängen.

Massive Eingriffe

Die Eingriffe sind also ersichtlich massiv. Kritiker sprechen sogar davon, das novellierte Infektionsschutzgesetz unterminiere bisher für selbstverständlich gehaltene rechtsstaatliche Prinzipien – und das Parlament entledige sich auf diese Weise seiner ureigenen Gesetzgebungspflicht. Tatsächlich sind viele Argumente gegen die Gesetzesnovelle juristisch stichhaltig, das Bundesverfassungsgericht müsste sie im Lichte seiner bisherigen Rechtsprechung wohl kassieren. Doch genau das ist der springende Punkt: Eine neue Situation (wie jetzt mit Corona) kann auch bei Gerichten zu einer Neujustierung des Verhältnismäßigkeitsbegriffs führen. Mit anderen Worten: Nichts ist mehr so, wie es einmal war. Und deswegen ist es auch sehr unwahrscheinlich, dass die Karlsruher Richter die jetzt beschlossenen Ergänzungen des Infektionsschutzgesetzes in Bausch und Bogen zurückweisen würden. Eher ist mit der einen oder anderen Korrektur an der einen oder anderen Stelle zu rechnen. Wenn es denn überhaupt zu einer Verfassungsklage kommt.

Politik im Schweinsgalopp

Es ist offensichtlich und nachvollziehbar, dass die Gesundheitsbehörden die Politik dazu gedrängt haben, ihren Handlungsspielraum zu erweitern. Denn wer in einer Situation, wie wir sie jetzt erleben, Verantwortung übernehmen muss, will sich dabei nicht auch noch auf rechtlich dünnem Eis bewegen. Es geht immerhin um Leben und Tod. Unangenehm ist nur, dass es erst einer realen Krise bedarf, um die juristische Grundlagen für deren (hoffentlich) effiziente Bekämpfung zu treffen. Wie jetzt im Schweinsgalopp über verfassungsrechtliche Bedenken hinweggeritten wird, das kann nämlich schon Fragen dazu aufwerfen, ob Politik nicht auch unter normalen Bedingungen in der Lage sein müsste, Vorsorge zu treffen – nicht nur beim Mundschutz, sondern eben auch bei den Gesetzen. Dass es auch in Deutschland irgendwann zu einer „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ kommen würde, war absehbar, entsprechende Szenarien waren hinlänglich bekannt. Doch erst seit einer knappen Woche ist plötzlich so vieles möglich, was vor zwei Wochen angeblich noch unmöglich war.

In der Krise schlage die „Stunde der Exekutive“, heißt es jetzt wieder allenthalben. Das mag so sein. Aber es sollte nicht heißen, das heute alles richtig ist, was gestern noch für falsch erklärt wurde. Und zwar von der Exekutive höchstpersönlich.

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