Coronakrise in der Politik - Nutzen wir die Zwangspause, die das Virus uns bietet

Soll es einfach wieder so werden wie vor der Pandemie, wenn diese hinter uns liegt? Zurück ins Hamsterrad, zurück zum alten System? Oder haben wir nicht jetzt die Gelegenheit, eine gerechtere Gesellschaft zu formen?

Was für Lehren kann man aus der Krise ziehen? /dpa
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Autoreninfo

Dr. Jens Hirt ist Speaker und Autor. Er unterrichtet an Universitäten (HMKW, Sigmund-Freud-PrivatUniversität, Fresenius) und gibt Trainings in der Wirtschaft. Zu seinen Spezialgebieten zählen Medien-, Gesellschafts- und Kommunikationswissenschaften. Er hat an der Humboldt-Universität promoviert. 

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Jens Hirt ist Speaker und Autor. Er unterrichtet an Universitäten (HMKW, Sigmund-Freud-PrivatUniversität, Fresenius) und gibt Trainings in der Wirtschaft. Zu seinen Spezialgebieten zählen Medien-, Gesellschafts- und Kommunikationswissenschaften, sowie multisensorische und kognitive Kommunikation.

In einem Cartoon stehen zwei Hamster nebeneinander. Der Große deutet auf das Hamsterrad und sagt zum Kleinen: „Eines Tages wird das Alles einmal Dir gehören!“ Wie ist es mit uns? Uns hat ein Virus aus dem Hamsterrad geworfen und wir können den Weg zurück nicht erwarten. Doch worin liegt der eigentliche Witz des Cartoons?

Offensichtlich darin, dass es nicht sonderlich erstrebenswert ist, ein Leben im Hamsterrad zu erben. Aber auch im stoischen Fatalismus des großen Hamsters, der so tut, als gäbe es keine Alternative, als diesen einen Lebensweg. Sollten wir diesen Corona-Moment, der uns zwingt von außen auf unser bisheriges Leben zu blicken, nicht besser zu nutzen wissen?

Die Bremse der Angst

Anscheinend nicht, denn nur die Angst hält uns vom Sturm ins alte Leben zurück. Doch anstatt die Minuten zu zählen, sollten wir über das „Wie“ nachdenken. Die Vorstellungen darüber, wie wir aus der Corona-Krise hervorgehen werden, sind unterschiedlich. Gemeinsam ist ihnen nur das Deterministische. Manche sehen das neue Miteinander und die gegenseitige Rücksichtnahme. Sie sind in der Krise entstanden und werden uns bleiben.

Das respektvolle „wir“ wird zur neuen Kulturerfahrung. Andere erwarten eine bleibende Omnipräsenz staatlicher Ordnungskräfte, digitale Überwachung, gegenseitige Bevormundung und natürlich die Kriegsgewinnler in den teuren Anzügen. Doch ob wir in eine zwangsläufig bessere oder schlechtere Welt zurückgehen werden, hängt auch von uns ab. Nicht das fatalistische „Wird es gut ausgehen?“ sondern das handlungsmächtige „Wie werden wir damit umgehen?“ ist jetzt zu fragen.

Die Demokratie auf dem Prüfstand

Für eine Antwort lohnt sich unser Blick auf die Demokratie. Hier gab es jüngst zwei völlig gegensätzliche Tendenzen. Die gesättigte Konsensdemokratie und die außerparlamentarische Zivilgesellschaft. In der Konsensdemokratie haben sich der parlamentarische Diskurs, die systemtragenden Medien und die gesellschaftliche Mitte komfortabel zur Ruhe gesetzt. Früher wurde wild gestritten.

Der Kampf gegen Wiederaufrüstung, Überwachung und Umweltverschmutzung fand immer auch in den Institutionen statt. Die Demokratie stritt und quälte sich, sie raufte sich zusammen, sie lebte. Auch nach der Wiedervereinigung gab es große gesellschaftliche Themen mit unmittelbarer parteipolitischer Wirkung, wie die Frage zu den Beteiligungen am Jugoslawien- oder am Golfkrieg.

Die Frage nach dem „Wie“

Wir hatten eine Demokratie entwickelt, die zwar nicht perfekt, aber doch vorbildlich war, denn sie fand aus dem Diskurs heraus zu Lösungen. In den großen Krisen der letzten Jahre zeigte sich ein anderes Bild: das Bild der Alternativlosigkeit. Es war alternativlos Griechenland zu retten, die Banken zu retten, die Geflüchteten aufzunehmen und nun, die Gesellschaft vor dem Virus in Sicherheit zu bringen.

Tatsächlich war all das notwendig. Nur ist unter dem Primat all der großen Notwendigkeiten das „Wie“, die Art und Weise, zu einer unsichtbaren Größe geworden. Vielleicht hätte man Süd-Europa auch retten können, ohne sein Gesundheitssystem kaputt zu sparen. Vielleicht das Bankensystem, ohne dabei die Verursacher der Finanzkrise zu deren größten Profiteuren zu machen. Vielleicht hätten wir den Geflüchteten helfen können, ohne die Gesellschaft und Europa zu polarisieren.

Eine Diskursverweigerung

Wir wissen es nicht. Unsere Institutionen haben diesen Diskurs verweigert und die meisten Bürger nahmen es so hin. Das ähnelt eher einer Herrschaft durch Platons Philosophenkönige, als unserer Demokratie. In Platons Ideal-Staat herrscht eine speziell ausgebildete Elite. Oben und unten sind hierarchisch getrennt.

Die „Arbeiter“ haben sich diszipliniert und fügsam um ihre Aufgaben zu kümmern. Die Herrschaft übernehmen die „Regierenden“. Ähnlich unseren Berufspolitikern wurden sie speziell auf diese Aufgabe vorbereitet. Sie sind der Souverän. In unserer Demokratie ist die Bevölkerung aber Souverän und Staat. Durch die Akzeptanz der nicht erklärungsbedürftigen Alternativlosigkeiten könnte man auch auf die These kommen, uns liege das 2400 Jahre alte Modell Platons näher als unsere Grundgesetzdemokratie?

Corona trifft auf politische Polarisierung

Die Weigerung der Politik, Themen zu diskutieren und Alternativen anzubieten (Willensbildungsfunktion), hatte allerdings auch einen positiven Effekt: die außerparlamentarische Zivilgesellschaft. Bewegungen gegen TTIP, ACTA und Klimawandel lebten Demokratie. Man war im kantschen Sinne unbequem durch Mündigkeit. Wie schon nach den verkrusteten fünfziger Jahren, zeigten die Bürger, dass sie ihr Grundrecht auf Widerstand nach Artikel 20 Absatz 4 durchaus wahrzunehmen wissen.

Bevor das System zu träge wird, rettet die Straße die Demokratie. Dumm nur, dass ein Nebeneffekt außerparlamentarischer Opposition, wie schon in den sechziger Jahren, eine zunehmende Vergiftung der gesellschaftlichen Atmosphäre ist. Die linken und die rechten Pole des politischen Spektrums sind dabei überproportional präsent. In einer solchen Situation schlug Corona zwischen uns.

Die Alternativlosigkeit in der Krise

Das Fatale dabei: Da die Wenigsten von uns erfahrene Virologen sind, liegt die Alternativlosigkeit nun auf der Hand. Wer bei einem Löwenangriff auf einen Baum klettert sieht dabei weder würdevoll noch heldenhaft aus. Es bleibt nur die einzige Möglichkeit, wenn man noch bei klarem Verstand ist. Manchmal ist es vernünftig, panisch zu handeln. Problematisch wird es, wenn wir dieses Verhalten für würdevoll oder gar heldenhaft halten.

Disziplinierter Rückzug ins Eigenheim, gegenseitiges Überwachen und Maßregeln, strenges Befolgen von Regeln und ein unreflektiertes Vertrauen in die Obrigkeit. Das sind jene verschrobenen Künste, die es in der Welt als „deutsche Sekundärtugenden“ zu zweifelhafter Berühmtheit brachten.

Zwischen Disziplin und Ordnung

Ja, in Corona-Zeiten sind Ordnung und Disziplin gefragt. Wer es aber als heldenhaft empfindet, zu Hause zu bleiben oder Andere auf ihr Fehlverhalten hinzuweisen, lässt die alt- berüchtigten Sekundärtugenden nun als staatstragendes Verhalten erscheinen. Das sollte nicht unser Mitbringsel aus dieser Auszeit sein. Denn dann wäre Corona doppelt fatal: Als Abschluss einer Reihe uns als alternativlos verkaufter Entscheidungen sehen wir uns nun einer gegenüber, die es wirklich zu sein scheint. Corona droht die Akzeptanz der Alternativlosigkeit endgültig zu etablieren.

Und es macht jene Tugenden populär, die der öffentlichen Ordnung zuträglich, gelebter Demokratie aber abträglich sind. Zudem ist die Kanzlerin auch noch die perfekte Repräsentantin einer solchen Entwicklung. Sie ist die Philosophenkönigin, die Platon geliebt hätte. Ihre pragmatische und bescheidene Erscheinung hat nichts Bedrohliches.

Geschichte wiederholt sich nicht, ihre Muster schon

Wie Platons „Regierende“ hält sie lautes Nachdenken der Nicht-Zuständigen für übergriffige Diskussions-Orgien. Mittlerweile sind wir es gewohnt, in einem politischen Klima zu leben, in dem uns Entscheidungen nicht erklärt werden. Vielleicht ist das gut so, denn ist Unwissenheit, die mir das Leben erleichtert nicht besser als Weisheiten, die es mir erschweren?

Dummerweise verliebte sich unsere Geschichte genau so ins Schreckliche. Der Wille eigene Entscheidungen in die Hände politischer Über-Figuren zu geben, hat in Deutschland eine lange Tradition. Das endete manchmal bekanntermaßen fatal. Geschichte wiederholt sich nicht, ihre Muster allerdings schon. Die Tendenz zu Obrigkeitshörigkeit und Sekundärtugenden hat einen langen Atem.

Der Nutzen der Krise?

Der französische Historiker Fernand Braudel betrachtete Geschichte deshalb als longue durée. Im Tunnelblick lässt es sich nur auf Sicht fahren. Dabei bietet uns der Corona-Moment auch die Chance einer neuen Perspektive. Statt bloß auf die Erlaubnis zur Rückkehr ins Vorher zu warten, können wir jetzt gestalten. Wir sollten schlauer sein als der große Hamster.

Nutzen wir die Pause, die Vorbilder aus den Niedriglohnsektoren, die Nachbarschaftshilfe, die Rücksicht und den Respekt, um bei den nächsten großen Themen genau hinzusehen und den Diskurs zu wagen. Wie werden wir aus dem Lockdown hervorgehen? Als pathologischer Fall, der dieselben Fehler wiederholt? Oder als eine demokratischere und gerechtere Gesellschaft?

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