Corona und Prostitution - „Es ist eine grausame Situation entstanden“

Das Coronavirus macht auch vor dem ältesten Gewerbe der Welt nicht Halt. Hier musste ebenfalls der Betrieb eingestellt werden. Die wirtschaftlichen Konsequenzen sind nicht nur für die Bordelle verheerend, erklärt die Geschäftsführerin des „Geizhaus“ in Hamburg.

Die Coronakrise trifft auch das Rotlichtmilieu / picture alliance
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Autoreninfo

Rixa Rieß hat Germanistik und VWL an der Universität Mannheim studiert und hospitiert derzeit in der Redaktion von CICERO.

 

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Isabella Neumann leitet seit 2009 das „Geizhaus“ im Hamburger Stadtteil Barmbek. Ihre Gewerbefläche beträgt 800 Quadratmeter und beherbergt mehr als zwanzig Räumlichkeiten. Damit gehört ihr Bordell zu einem der größeren in Deutschland. Da sie selbst lange Zeit als Sexarbeiterin tätig war, kennt sie das Milieu von seinen besten und schlechtesten Seiten.

Frau Neumann, wie beeinflussen die Auflagen zur Einschränkung des öffentlichen Lebens in Hamburg Ihren Betriebsalltag?
Schon vor der Schließung hatten wir heftige Einbußen. Es sind ganz wenig Kunden gekommen. Das haben wir letzte Woche schon voll gemerkt. Am Sonntag war dann gar nichts mehr los.

Haben Sie vor der Schließung schon Schutzmaßnahmen eingeleitet?
Wir haben tatsächlich mit Masken die Gäste empfangen und Fieber gemessen. Alle mussten sich die Hände desinfizieren. Der ein oder andere hat sich beschwert, aber die meisten haben sich totgelacht. Am Sonntag haben wir dann erfahren, dass wir offiziell ab Montag schließen müssen. Voraussichtlich geht das bis zum 30. April.

Haben Sie jemals schon mal schließen müssen? Können Sie sich an solche Maßnahmen erinnern?
Nein, sowas hatten wir noch nicht. Sowas haben wir noch nie erlebt. Wir waren beim Steuerberater, um zu klären, ob wir Kredite bekommen und ob die Stadt uns hilft. Das ist alles noch in der Planung. Wir wissen noch nicht genau, was los ist. Ich gehe davon aus, dass viele Betriebe das nicht überleben werden.

Wie sieht es mit der Nachfrage aus? Bekommen Sie schon Beschwerden von Ihren Kunden?
Ich habe am Sonntag und am Montag sehr viele Nachrichten und Anrufe bekommen von Gästen, aber auch von Frauen, die schon länger bei uns arbeiten. So viele wie noch nie. Sie wollten alle wissen, ob wir jetzt schließen. Ein Gast hat mir heute geschrieben: „Wo soll ich die nächsten sechs Wochen denn hin, wenn ihr jetzt schließt?“ Über sowas freut man sich natürlich auch.

Wie lange können Sie sich ohne Kundschaft halten? Gibt es eine Art der Solidarität unter den Bordellbetreibern oder steht jeder für sich allein?
Die Mädchen machen vermehrt Hotel- und Privatbesuche. Für uns wäre das keine Option: Das muss organisiert werden, jemand muss sie fahren. Eigentlich besteht kein Kontakt zu anderen Läden, nein. Viele werden nicht überleben, viele haben keine Rücklagen. Wir gucken mal.

Wie gehts es Ihren Mitarbeiterinnen?
Die melden sich immer bei mir, ob ich mir was neues hab' einfallen lassen. Ob sie vielleicht irgendwie anders was machen können. Es ist ja existenzbedrohend – die Mädchen haben ja nichts. Das darf man nicht vergessen. Sie arbeiten, um zu überleben. Gerade diejenigen, die aus Bulgarien und Rumänien kommen, können nicht nach Hause. Sie werden nicht über die Grenze gelassen. Sie müssen hierbleiben. Manche haben eine Bleibe gefunden, bei Freunden oder Familie. Aber was ist mit Mädchen, die irgendwo im Hotel gewohnt haben und jetzt kein Geld mehr haben? Es gibt Obdachloseneinrichtungen – aber auch die sind natürlich überlaufen. Es ist wirklich eine ganz grausame Situation entstanden.

Und wie halten sich Ihre Mitarbeiterinnen über Wasser?
Ich nehme an, dass viele versuchen werden, irgendwie an der Straße zu arbeiten, um an Kundschaft zu kommen. Das finde ich eigentlich gar nicht gut. Es ist gefährlich. Und mit diesem Virus ist nicht zu spaßen. Man sollte nicht sein Leben oder das von anderen aufs Spiel setzten. Da würde ich jetzt die Füße still halten und überlegen, welchen Weg man einschlägt. Aber sie werden sich auf jeden Fall etwas suchen, wo man noch arbeiten kann. Es gibt immer schwarze Schafe die noch aufhaben. Da werden sie hingehen, so viel ist sicher.

Was können Sie Gutes aus der Zeit ziehen?
Ich bin ganz zufrieden, dass es so gekommen ist und mal aus dem Geschäft rauskomme und mal was anderes zu machen. Es ist jetzt alles lahm und still. Da haben wir alle Zeit nachzudenken: Was haben wir mit unserem Leben gemacht? Was haben wir falsch gemacht und in welche Richtung gehen wir? Ich habe schon letztes Jahr zu meinem Mann gesagt, dass ich in unserem Gewerbe neue Wege gehen will. Das Internet bietet da so viele Möglichkeiten, die die Mädchen nicht mehr zwingen, anschaffen zu gehen. Das wäre ein gute Entwicklung. Es ist eine ganz andere Welt, die man erstmal verstehen muss. Ich habe selber 13 Jahre als Sexarbeiterin gearbeitet und weiß was die Mädchen denken. Deswegen will ich was ändern und was Neues aufbauen.

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