Corona und Recht - Die lautlose Abschaffung des Genesenenstatus

Der Genesenenstatus wurde vom Robert-Koch-Institut von sechs auf drei Monate halbiert, und einen PCR-Test soll nicht mehr jeder erhalten können, obwohl er weiterhin Voraussetzung für das Genesenenzertifikat ist. Warum beide Änderungen rechtswidrig sind, erklärt die Rechtsanwältin Jessica Hamed in ihrem Gastbeitrag.

Ab jetzt nur noch für ausgewählte Personenkreise: PCR-Tests
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Autoreninfo

Jessica Hamed ist Fachanwältin für Strafrecht und Dozentin an der Hochschule Mainz. Seit März 2020 vertritt sie bundesweit in verwaltungs- und strafrechtlichen „Coronaverfahren“ und veröffentlicht eine Vielzahl ihrer Schriftsätze.

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In den vergangenen Tagen hat die Nacht-und-Nebel-Aktion des Bundesgesundheitsministeriums im Hinblick auf die überraschende und zudem noch rückwirkend geltende Halbierung des Genesenenstatus sowie die Aberkennung der Einmal-Impfung mit dem Vakzin von Johnson & Johnson zu Recht für Furore gesorgt. Mangels Übergangsfrist und aufgrund der fragwürdigen Regelungstechnik, nach der nunmehr das Robert-Koch-Institut und das Paul-Ehrlich-Institut faktisch über tiefgehende Grundrechtseingriffe qua Festlegung entscheiden, wer den Status „genesen“ oder „vollständig geimpft“ zugesprochen oder entzogen bekommt, sind meines Erachtens beide Änderungen rechtswidrig. Ob die Gerichte das auch so sehen, werden wir bald erfahren, da wir beabsichtigen, diesbezüglich Gerichtsverfahren anzustrengen.  

Der überfallartige Ausschluss Millionen von Menschen aus dem gesellschaftlichen Leben ist mehr als nur ein Kommunikationsdesaster. Er ist eine rechtsstaatliche Bankrotterklärung, schließlich kann noch nicht einmal ein Parkverbot von heute auf morgen rechtswirksam errichtet werden. Darüber hinaus drängt sich der Verdacht auf, dass eine unliebsame, aber politisch gewollte Entscheidung unter dem Deckmantel der Wissenschaft der Bevölkerung als alternativlos verkauft werden soll. Reiner Haseloff sprach nachvollziehbarerweise von einer „Instrumentalisierung“ des RKI.

Karl Lauterbach hingegen versuchte, nach Tagen des ungewohnten Schweigens stoisch die Verkürzung des Genesenenstatus auf faktisch 62 Tage wissenschaftlich zu begründen und stellte sie im Ergebnis als genauso zwangsläufig wie die Schwerkraft dar. Er führte bei diesem grotesk anmutenden Versuch den Umstand an, dass sich auch Genesene bereits nach drei Monaten mit der Omikron-Variante infizieren könnten. Kein Wort verlor er allerdings darüber, dass sich auch diejenigen, die – nach der tagesaktuellen Definition – als geimpft gelten oder sogar geboostert sind, in hoher Zahl anstecken, wie beim RKI nachzulesen ist.

Die EU beschließt Genesenenstatus für sechs Monate

Folgte man dieser Argumentation, so wäre zumindest ein Gleichlauf von Impfung und Genesung zu erwarten gewesen, da nach Angaben des RKI bereits 15 Wochen nach der zweiten Impfung kein ausreichender Schutz mehr gegen die nun vorherrschende Omikron-Variante besteht. Außerdem empfiehlt die Stiko, auf die sich auch das RKI beruft, sowohl für Geimpfte als auch Genesene einen Booster bzw. eine Impfung nach mindestens drei Monaten. Fachlicherseits wird die äußerst – und zudem erst im Nachgang –  dürftig begründete Entscheidung des RKI stark von Experten wie Hendrik Streeck und Klaus Stöhr als nicht nachvollziehbar kritisiert.

Dieser offenkundige Skandal, der aufgrund des intransparenten Vorgehens und der vorgeschobenen wissenschaftlichen Begründung mehr Konsequenzen (wenigstens die Rückübertragung dieser wichtigen Entscheidungen auf die Bundesregierung)  hätte nach sich ziehen müssen, endete im Ergebnis lediglich mit einer öffentlichen Schelte durch die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten; in der Sache hingegen änderte sich – vorerst – nichts.

Vorerst deshalb, weil die EU gestern mit Zustimmung Deutschlands beschlossen hat, dass der Genesenenstatus europaweit für sechs Monate anerkannt werden soll. Während z.B. Österreich ohnehin für sechs Monate den Status anerkennt, hat die Schweiz erst vor kurzem aufgrund des nahenden EU-Zertifikats, welches eine Gültigkeit für die Impfung von neun Monaten vorsieht, beschlossen, die Geltungsdauer von einem  Jahr auf neun Monate zu kürzen. Damit weichen aktuell sowohl die Schweiz – das die Änderung ja gerade vornahm, um dem EU-Zertifikat zu entsprechen – als auch Deutschland erheblich von der EU-Regelung ab. Ob das ein Grund für Deutschland ist, die Regelung zu ändern, wird sich zeigen; erste Stimmen aus der CDU fordern eine entsprechende Änderung. So oder so stellt die überraschende Verkürzung des Genesenenstatus ein für einen Rechtsstaat unwürdiges Schauspiel dar. An dem Status hängt aktuell nämlich nichts Geringeres als die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben und für einige aufgrund der einrichtungsbezogenen Impfpflicht bald sogar der Zugang zu ihrem Arbeitsplatz.

Die Infektion stellt die vollständige Immunisierung dar

Die ohnehin schon zuvor nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung von Genesenen und Geimpften wurde durch die willkürliche Verkürzung weiter verschärft. Schließlich stellt die Infektion die vollständige Immunisierung dar und ist damit naturgemäß den hiesigen Vakzinen, die nur im Hinblick auf ein bestimmtes Virus-Bestandteil wirken, zumindest nicht unterlegen.

Es liegt auf der Hand, dass die hiesigen Regierenden –  zu Unrecht, wie man auch daran sieht, dass Genesene im Falle einer Reinfektion einen sehr guten Schutz vor einem schweren Verlauf haben – im Ergebnis nur Impfungen als Immunisierung ansehen und im Begriff sind, den Genesenenstatus gänzlich zur bloßen Makulatur verkommen zu lassen.

PCR-Tests weiterhin Voraussetzung für Genesenen-Zertifikat

Zu der absurd anmutenden Verkürzung des Genesenenstatus tritt nämlich der Mangel an PCR-Tests hinzu. Er führt dazu, dass bei den PCR-Tests nunmehr priorisiert wird und somit nicht mehr jeder ohne weiteres einen Test machen kann.

Voraussetzung für die Ausstellung eines Genesenenzertifikats ist aber weiterhin ein positiver PCR-Test; ein positiver Antigen-Schnelltest genügt nach Vorgaben des RKI nicht. Über dieses auf der Hand liegende Folgeproblem unterhielten sich die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten bei aller Empörung über die überraschende Verkürzung des Genesenenstatus und den Mangel an Tests allerdings nicht.

Die Schweiz steht vor einem ähnlichen Problem und akzeptiert aufgrund des Mangels an PCR-Tests und der aktuellen hohen Verbreitung des Virus ab dem 24.01.2022 auch Antigen-Schnelltests als Nachweis für ein Genesenenzertifikat.

Diesem Beispiel muss Deutschland zwingend folgen, sofern es weiter an 2G- und 3G-Regelungen festhalten möchte. Schließlich muss es Menschen möglich sein, überhaupt ein Genesenenzertifikat zu erlangen, andernfalls wird aus 2G still und heimlich 1G (geimpft).

Pandemie in den Köpfen beenden

Statt aber im Kleinklein der Regelungen über verschiedene Gesundheitsnachweise mit nicht nachvollziehbaren Gültigkeitsspannen für alltägliche Verrichtungen zu versinken, ist festzuhalten, dass spätestens jetzt der Moment gekommen ist, von diesem System, das sich schon deshalb, weil inzwischen klar ist, dass es keine dauerhafte und sterile Immunität geben wird, zu verabschieden und ein Leben mit dem Virus zu beginnen.

Soll gleichwohl, obwohl zahlreiche Länder den Übergang zur Endemie einläuten, an Zugangsbeschränkungen festgehalten werden, ist der einzig sinnvolle epidemiologische Weg offensichtlich der, alle zu testen. Überraschenderweise kam dieser Vorschlag – als Alternative zu einer diskutierten Impfpflicht – jüngst auch aus den Reihen der CDU. Wünschenswerter wäre freilich das Ende derartiger Zugangsbeschränkungen, aber davon ist Deutschland, wie man vor allem daran sieht, dass im Bundestag in der jetzigen Situation noch ernsthaft über eine Impfpflicht, für die es keine überzeugenden Argumente gibt, diskutiert wird, bedauerlicherweise noch weit entfernt. Anstatt immer kleinteiligere und abstrusere Maßnahmen zu ersinnen, täte die Politik gut darin, damit zu beginnen, die Pandemie in den Köpfen der Menschen zu beenden, ihnen die Angst zu nehmen und sie auf ein Leben in Eigenverantwortung vorzubereiten. 

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