Corona-Vierteljahresbilanz - Das Virus als Meister Propper

Zwölf Wochen nach Ausbruch der Pandemie hat das neuartige Coronavirus die Welt auf den Kopf gestellt - und dabei eine Art Inventur durchgeführt. Fünf Bereiche, die sich dauerhaft ändern könnten, auch wenn das Virus wieder weg ist.

Nie wieder wie vorher? Corona bremst die Kreuzfahrt aus/dpa
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Ein Vierteljahr ist es nun her, dass das neuartige Coronavirus seinen Sturmlauf über den Globus begann. Zunächst einmal hat die Pandemie die Welt zum Stillstand gebracht. Jetzt aber wird erkennbar, dass das Virus in fast allen Bereichen des Lebens beschleunigend, reinigend und augenöffnend gewirkt hat.  Eine große Inventur ist in Folge des Virus in der ganze Welt im Gange. Eine große Reinungaktion. Das Virus als Meister Propper. Eine vorläufige Bilanz in fünf Punkten. 

1. Internationale Politik: Shutdown der Blender und Breitbeinigen

Das Virus hat gnadenlos offen gelegt, welche Regierungen imstande sind, einer solchen Herausforderung erfolgreich die Stirn zu bieten und welche nicht. Dabei spielt offenbar weniger die Staatsform eine Rolle, weil sowohl liberalen Demokratien als auch auoritäree Regime erfolgreiche Zwischenbilanz vorlegen können. Als entscheidender hat sich die wirtschaftliche und poltische Stabilität erwiesen, die tatsächliche Kraft eines Landes. Und nicht die vorgeschützte und vorgetäuschte von breitbeinigen Staats- und Regierungschefs.

Namentlich sind  Russlands Präsident Wlamdir Putin, US-Präsident Donald Trump, der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro und der britische Premier Boris Johnson vom Coronavirus in den Shutdown (präziser: Shut Up) geschickt worden. In just diesen Ländern ist die Misere am größten, ist es bis heute nicht gelungen, dem Virus Einhalt zu gebieten, sterben die meisten Menschen daran. Das Ergebnis ist gnadenlos und lässt sich durch nichts verkleinern und übertünchen, auch und gerade nicht nicht durch starke Worte. Der brasilianische Präsident ist dermaßen enttarnt als Totalausfall, dass er die offiziellen Corona-Zahlen nicht mehr weiter veröffentlichen lässt. Das letzte verzweifelte Mittel, sein Totalversagen zu vertuschen. 

2. Partielles Ende des Mikado in der Innenpolitik

Wer sich die Einzelheiten des 130-Miliarden-Pakets für die Binnenkonjunktur auf der Suche nach einem Muster anschaut, erkennt schnell eines: Vor allem sind die Dinge beschlossen worden, bei denen man seit Jahren Mikado spielt. Wer sich zuerst bewegt, hat verloren, also bewegt sich keiner, Wohl wissend, dass da eines Tages Bewegung reinkommen muss. Die Kosten der Unterkunft für Hartz-IV-Empfänger etwa, bei Fachleuten unter dem Kürzel KdU seit Jahren ein Klassiker – und eine Hängepartie.

Spätestens mit der Flüchtlingskrise hatte sich auf diesem Gebiet gezeigt, dass der Bund mit Merkels Flüchtlingspolitik ein Problem geschaffen hatte, das die untergeordneten Gebietskörperschaften bis hin zu den Kommunen auszubaden hatten. 75 Prozent dieser Kosten übernimmt fortan der Bund. Und das ist auch nur gerecht. Dem Verursacherprinzip ist hier zu seinem Recht verholfen worden. 

Ein Stück weit gilt das auch für die Reduzierung der Strompreise um den EEG-Zuschlag. Bisher hat der Bund seine gewaltige (manche würden sagen: überhastete und undurchdachte) Energiewende einfach von den Endkunden bezahlen lassen. Ausgenommen waren nur bestimmte und nicht immer nach logisch nachvollziehbaren Kriterien, darunter teilbefreite Industriebranchen. Jetzt müssen die Kosten der EEG-Umlage vom allgemeinen Haushalt übernommen werden, was zwar am Eden auch auf das Geld der Steuerzahler hinausläuft., aber so wenigstens dem Wettstreit um die Haushaltsaufstellung ausgesetzt ist und nicht sakrosankt wie bisher über die direkte Zwangsumlage. 

Der Automatismus, die Branchen zu stützen, die bislang als systemisch erachtet wurden, wurde das erste Mal aufgegeben. Die viel zu lange politisch gehätschelte Verbrenner-Auto-Industrie hat zum ersten Mal einen Korb bekommen in ihrem Begehren, über Kaufprämien oder Abwrackprämien des Staates ein Geschenk zum Boost ihres Geschäftsmodells zu bekommen, in dem sie sich jahrzehntelang eingerichtet hatten. Von der Senkung der Mehrwertsteuer könnten nun, wenigstens theoretisch, Kühlschrankhersteller ebenso profitieren wie Autobauer.   

3. Neue Dynamik in Europa - ein Neuanfang mit offenem Ende

Das wirklich Bedeutende an dem 750-Milliarden-Euro-Rettungsplan der Europäischen Union ist gar nicht seine astronomische Summe. Sondern das, was damit einhergeht. Der Anfang eines gemeineinsamen Haushaltes. Wenn für dieses Geld erstmal gemeinsam Schulden aufgenommen werden, dann ist das ein erster Schritt hin zu einem gemeinsamen Haushalt. Nicht zusätzlich zu nationalen Haushalten, aus denen ein Teil in den gemeinsamen Haushalt fließt – und von dort vor allem in die Landwirtschaft, gewissermaßen das europäische Pendant der Autoindustrie in Deutschland.

Die Suche danach, wie dieses Geld auch gemeinsam wieder eingetrieben werden kann, hat schon begonnen: Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager hat ihren Stier, die steuervermeidenden Mega-Digitalunternehmen, schon wieder ins Visier genommen: zu Recht. Und auch der gut begründbaren europäischen, besser noch: globalen Finanztransaktionssteuer könnte auf diesem Wege eine aussichtsreichere Zukunft beschert worden sein. 


4. Kreative Zerstörung in der Wirtschaft 

Die deutsche Autoindustrie muss es schmerzhaft lernen, was es heißt, eine Umwälzung der Antriebstechnologie verschlafen zu haben. Die kreative Zerstörung eines Joseph Schumpeter (die dieser immer positiv konnotiert hatte) trifft derzeit auch Branchen, in denen die Gigantomanie seltsame Auswüchse zeigte. Schiffe so groß wie eine ganze Hochhaussiedlung wurden in den vergangenen Jahre in Werften gebaut, deren Zufahrten immer enger wurden – und die doch immer weiter ausgebaggert wurden, um diese schwimmenden Städte Richtung offene See bugsieren zu können.

Nun erlebt die Meyer-Werft in Papenburg zum ersten Mal, was es heißt, auf einem dieser Milliarden-Pötte sitzen zu bleiben. Und damit in existenzielle Nöte zu geraten. Vielleicht wäre es aber natürlich für das Unternehmen der Meyer-Werft schlimm, wenn die Kreuzfahrt gar nicht mehr in dem Maße zurückkäme, wie sie sich entwickelt hatte. Weil ihre Nachteile für die meisten im krassem Gegensatz zum Luxus der Wenigen an Bord stehen? 

5.  Das eigene Verhalten – Ende der Besinnungslosigkeit  

Was nahtlos zum vorläufig letzten Punkt führt: Dem eigenen Verhalten. Der Künstler Neo Rauch hat vor wenigen Tagen bei einer Veranstaltung in Aschersleben gesagt, er und seine Frau hätten „den von Terminen gesäuberten Kalender als Erleichterung empfunden“. Als „schönen Schwebezustand, der leider irgendwann wieder von uns genommen werden wird." Dieser Schwebezustand sei der konzentrierten Arbeit durchaus zuträglich gewesen. Ein weltweit gefragter Künstler mit einem enormen Vermögen ist natürlich in einer anderen Situation als ein Arbeitnehmer, der coronabedingt um seinen Arbeitsplatz bangen muss.

Dennoch kann mit einiger Sicherheit jeder nachvollziehen, was Rauch mit seinen Worten zum Ausdruck bringt. Die Konzentration aufs Wesentliche. Weniger Besinnungslosigkeit. Inventur im eigenen Terminkalender. Was kürzlich bei einem der wieder zaghaft beginnenden Geschäftsmittagessen ein Gesprächspartner offenbarte, der vor Corona bis zu 300 Flüge im Jahr absolvierte. Mindestens ein Drittel davon, sagt er heute, seien im Lichte der Corona-Erfahrung überflüssig gewesen. Er machte dabei nicht den Eindruck, demnächst wieder in den alten Modus zurückfallen zu wollen. 
     

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