Lockdown-Folgeschäden - Wenn selbst die Seele zumacht

In den letzten Wochen häufen sich Studien, die eine immense Zunahme psychischer Folgeschäden durch die Lockdown-Maßnahmen belegen. Am drastischsten sind die Zahlen bei Kindern und Jugendlichen. Ein Alarmsignal für die Politik.

Patientin in der Psychotherapie / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

So erreichen Sie Ralf Hanselle:

Anzeige

So wie für Dachdecker alle Probleme wie Nägel aussehen, so vermuten Corona-Experten hinter vielem, was derzeit im großen Erdenrund geschieht, oftmals gefährliche Viren am Werk. Als Beweis für diese These nehme man eine Äußerung von Arzt und Gesundheitsökonom Karl Lauterbach (SPD). Während der Bundespressekonferenz vom vergangenen Freitag sagte dieser, angesprochen auf die Gefährlichkeit des sogenannten Long-Covid-Syndroms: „Auf lange Sicht ist Long Covid mit einer hohen Sterblichkeit verbunden, da das Syndrom mit einem hohen Depressionsrisiko und mit Suizidalität einhergeht.“

Die Aussage ist gewiss richtig. Laut einer jüngst veröffentlichten Studie des Northwestern Memorial Hospitals in Chicago etwa sind neben Müdigkeit und Kurzatmigkeit oftmals auch neurologische Schäden bei Long Covid zu erwarten, darunter eine Beeinträchtigung des Kurzzeitgedächtnisses oder der Konzentrationsfähigkeit, ebenso aber auch Symptome, die einer depressiven Verstimmung gleichen können.

Depressionen durch den Lockdown

Hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung aber sind die hier beschriebenen Phänomene extrem seltene Ereignisse. Geht man davon aus, dass das Syndrom bei etwa zehn Prozent der Covid-Genesenen auftritt und von diesen wiederum nur wenige Depressive-Symptome entwickeln werden, dann handelt es sich um eine zu vernachlässigende Größe. Ganz anders indes sieht das mittlerweile bei jenen depressiven Verstimmungen aus, über die derzeit immer mehr Menschen aufgrund der Lockdown-Maßnahmen klagen. Das jüngst veröffentlichte „Deutschland Barometer Depression“ der Deutschen Stiftung Depressionshilfe etwa hat diesbezüglich alarmierende Zahlen publiziert. Bei einer Befragung von 5.135 Personen zwischen 18 und 69 Jahren aus einem repräsentativen Online-Panel gaben demnach 71 Prozent der Befragten an, die aktuelle Situation als bedrückend zu erleben. Während des ersten Lockdowns vor einem Jahr waren es zwölf Prozent weniger. Viele machten sich jetzt vermehrt Sorgen um die berufliche Zukunft, und die familiären Belastungen nähmen zu. 

Bei Menschen, die ohnehin bereits an Depressionen litten, gaben 44 Prozent der Befragten an, dass sich ihre Symptomatik in den letzten sechs Monaten durch die Corona-Maßnahmen verschlechtert habe – und das zum Teil drastisch. Acht Prozent aus dieser Gruppe gaben jetzt vermehrte Suizidgedanken oder suizidale Impulse an. Den allermeisten fehlten die sozialen Kontakte, gut zwei Drittel der Vorbelasteten verbrächten immer mehr Zeit im Bett. Kein Wunder, dass es da der Studie zufolge auch zu immer mehr Rückfällen bei ohnehin vorbelasteten Menschen käme.

64 Prozent aller Kinder sind psychisch überfordert

Noch alarmierender indes ist eine aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung, die dezidiert nach dem psychischen Wohlbefinden von Jugendlichen und jungen Erwachsenen während des Lockdowns fragt. Die Zahlen sollten jeden wachrütteln, der in der aktuellen Situation nicht nur nach dem Schutz der Alten und gesundheitlich Vorbelasteten fragt: Von über 7.000 jungen Menschen zwischen 15 bis 30 Jahren gaben 61 Prozent an, sich teilweise oder dauerhaft einsam zu fühlen. 64 Prozent fühlten sich teilweise oder vollkommen psychisch belastet, und 69 Prozent würden der Studie der renommierten Kinder- und Jugendforscherin Sabine Andresen von der Universität Frankfurt a.M. zufolge von Zukunftsängsten geplagt.

Die Zahlen sind auch deshalb so besorgniserregend, weil die psychischen Folgeschäden durch den Lockdown geradezu exponentiell anzusteigen scheinen. Noch im Januar hatte die mittlerweile oft zitierte COPSY-Studie der Universitätskliniken Hamburg Eppendorf unter Leitung der Gesundheitswissenschaftlerin Ulrike Ravens-Sieberer ergeben, dass immerhin jedes dritte Kind zehn Monate nach Beginn der Pandemie unter psychischen Auffälligkeiten leide. Das war schon damals eine deutliche Zunahme gegenüber der ersten Studie zu diesem Thema aus dem Sommer 2020. Es gäbe den Kindern und Jugendlichen zufolge jetzt auch mehr Streit in den Familien, vermehrte schulische Probleme und ein schlechteres Verhältnis zu den Freunden. Laut der Hamburger Untersuchung fühlten sich vier von fünf befragten Kindern durch die Corona-Pandemie belastet.

Generation Lockdown

Cicero hat diese beunruhigenden Ergebnisse der COPSY-Studie zum Anlass genommen, in der gestern erschienene April-Ausgabe das Wohlbefinden der Kinder und Jugendlichen während der Pandemie genauer unter die Lupe zu nehmen. „Generation Lockdown. Wie Corona unseren Kindern die Zukunft nimmt“, lautet das Thema der Titel-Reportage, die zahlreiche Studien, Beobachtungen und Prognosen zusammenfasst. Die nun veröffentlichten neuen Daten belegen, dass der besorgniserregende Trend anhält.

Er ist in weiten Teilen Ergebnis einer Politik, die sämtliche Bereiche der Gesellschaft einzig noch durch das Brennglas der Virologie zu fokussieren versucht. Denn natürlich sind Depressionen aufgrund des Long-Covid-Syndroms besorgniserregend, weit schlimmer indes ist eine Gesellschaft, die schon heute mehrheitlich am Rande ihrer psychischen Belastungsfähigkeit steht. Karl Lauterbach hat recht: Depressionen können sich zu einer Erkrankung entwickeln, die eine hohe Sterblichkeit nach sich zieht. Im Sommer werden die Suizid-Zahlen für das Jahr 2020 vorgelegt. Nicht nur Deutschlands heimlicher Schatten-Gesundheitsminister sollte gewarnt sein.

Anzeige