Corona-Krise - Dieses Lob ist gar zu billig

Politiker loben die Bevölkerung und ihre angebliche Disziplin in Sachen Ausgangsbeschränkungen während der Corona-Krise. Doch so viel Abstand ist da gar nicht zu sehen in den Parks, auf den Grünflächen, den Straßen. Macht sich die Regierung etwas vor?

Trotz Ausgangsbeschränkungen sind in den Straßen und Parks viele Menschen unterwegs / dpa
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Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Die typische Corona-Rede besteht aus drei Grundzutaten. Sie lassen sich in jedem Home-Office dieser Republik bequem zusammenstellen. Als da wären: Lob, Mahnung, Zuversicht. Nur das Mischungsverhältnis variiert. Bei Angela Merkel dominiert die Mahnung, bei Armin Laschet die Zuversicht, Markus Söder verfährt nach dem rhetorischen Reinheitsgebot und hält sich an das strenge Drittelmaß. Lob aber muss zwingend adressiert werden. Es gilt – in den Worten des Bundeswirtschaftsministers – der „Disziplin von 80 Millionen Bürgerinnen und Bürgern“.

Applaus allen Deutschen, Applaus! Seltsamerweise wird dieses Lob, je öfter es ausgesprochen wird, desto fahler und billiger. Statt neuer Normalität ist alte Lässigkeit zurück. Nicht Disziplin waltet in Deutschlands Städten mehr und mehr, sondern der große Schlendrian. Natürlich kann man darin einen Fortschritt der „Menschlichkeit in unserem Land“ sehen, die am 19. April ebenfalls Peter Altmaier würdigte.

Alles beim Alten

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Die Deutschen sind eben doch kein Volk von staatsgläubigen Stubenhockern, sie lassen sich nicht einsperren, sie lieben ihre Freiheit, sie brauchen Gemeinschaft. Nur eben war und ist das politische Lob ganz anders gemeint. Die etwa auch vom saarländischen Ministerpräsidenten Tobias Hans gerühmte „Disziplin, die wir uns auferlegt haben“, ist weitgehend perdu, die großen „Anstrengungen der Saarländerinnen und Saarländer“ liegen hinter uns – zumindest dann, wenn man dorthin schaut, wohin den Blick zu wenden Tobias Hans in seiner Pressekonferenz am 16. April riet, in den „öffentlichen Raum“.

Dieser wird in den Städten auf fast gewohnte Weise genutzt. Man schlendert in Gruppen und genießt die Sonne, man trifft seine Kumpels, man verlegt das Leben nach draußen. Das einzige, was sich wirklich erkennbar geändert hat, sind die Zugangsbeschränkungen in den Geschäften und die Maskendichte auf den Straßen. Hand aufs Herz: Wie sollte es auch anders sein?

Was beherrschbar ist, kann noch beherrschbarer sein

Tobias Hans sprach am 16. April dasselbe Zauberwort aus wie kurz danach der Bundesgesundheitsminister: „beherrschbar“. „Wir“, so Hans, seien „bei der Eindämmung der Pandemie doch sehr erfolgreich“ gewesen, man erkenne nun, dass „das Infektionsgeschehen auch beherrschbar ist“. Jens Spahn legte am 17. April nach: „Der Ausbruch ist - Stand heute - wieder beherrschbar und beherrschbarer geworden.“

Eine seltsame Aussage: Dass etwas beherrschbar ist, besagt nur, dass man es beherrschen kann; irgendwann, möglicherweise. Abgesehen von allerschlimmsten Katastrophen, etwa einem Flugzeugabsturz bei komplettem Ausfall der Triebwerke, sind die meisten Situationen theoretisch beherrschbar. Weshalb es auch keine Steigerungsform gibt. Was beherrschbar ist, kann nicht bald noch beherrschbarer sein. Entweder man kann es oder man kann es nicht beherrschen. Da gibt es kein Drittes.

Gibt es sie, die „verantwortungsvolle Normalität“?

Doch der Geist war aus der Flasche. Lockerungskönig Armin Laschet beruft sich für seine „verantwortungsvolle Normalität“ in lobender Absicht auf die Disziplin der Bevölkerung, die „Abstand und Schutz“ zum „Maßstab unseres Alltags“ gemacht habe. Auch Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der FDP kritisierte bei „Anne Will“ überzeugend die „Einschränkung sehr vieler Freiheitsrechte“ und lobte zugleich, „so vernünftig, so diszipliniert“ hätten sich „die Bürgerinnen und Bürger“ gezeigt.

Schaut man auf aktuelle Bilder aus Berlin, München, Hamburg, Stuttgart, Dortmund, muss man indes sagen: Pustekuchen. So viel Abstand ist da nicht zu sehen in den Parks, auf den Grünflächen, den Straßen. Die Politiker loben unverdrossen, was es in Dorf und Kleinstadt gewiss gibt, selten aber in Ballungszentren, diesen viral so kritischen Kernbereichen des „öffentlichen Raums“.

Der ungesunde Überhang der Exekutive

So arbeitet das permanente Lob einer potemkinschen Republik zu: Die Dienstanweisung von gestern wird als Erfolg von heute verkauft, um das Morgen leichter nach eigenem Gusto gestalten zu können. Ob derzeit drakonische Kontaktverbote angemessen wären, kann ich nicht beurteilen. Auch unter Wissenschaftlern gehen die Meinungen auseinander.

Den Weg in einen „Corona-Staat“ mit reduzierten Grundrechten möchte ich nicht antreten. Die Frage nach einem buchstäblich ungesunden Überhang der Exekutive halte ich für nicht trivial. All das aber hat nichts mit den rhetorischen Strategien so vieler Corona-Redner zu tun. Wo man lobt, was den Test der Realität nicht besteht, wo man dankt für Leistungen, die nicht im behaupteten Maß erbracht werden, da öffnet sich der Abgrund des Unernsts.

Krisen aber brauchen Realismus in der Darstellung, um auf realistische Weise gelöst werden zu können. Daran hapert es. Im Übrigen sollte ein Volk, der Souverän der Verfassung, sich zu denen, denen es Macht auf Zeit verliehen hat, nicht dauerhaft in ein Verhältnis von Lob und Dankbarkeit setzen lassen. Wer gut regiert, erhält in der Wahl seinen Lohn, nirgendwo sonst.

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