Cicero im März - Die Götterdämmerung der Digitalisierung

Statt des versprochenen Demokratieschubs bringt die Digitalisierung übermächtige Big-Data-Konzerne mit sich, die unseren Alltag bestimmen. In unserer März-Ausgabe beleuchten wir sie genauer.

Cicero im März
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Als ich Mitte der neunziger Jahre noch als Student journalistisch zu arbeiten begann, lief vieles bereits digital. Meine Artikel für die örtliche Regionalzeitung verfasste ich am heimischen Computer, speicherte sie auf einer Diskette und trug das Ganze dann in die Redaktion. Am nächsten Morgen war das Ergebnis im Lokalteil nachzulesen.

Ich erinnere mich noch gut, wie eines Tages der Ressortleiter bei mir anrief und mich bat, über einen seltsamen Laden zu berichten, der vor kurzem gleich hier um die Ecke aufgemacht habe: ein sogenanntes Internetcafé. Dieses Café glich zwar eher einer Spelunke, in der ein leicht verwahrlost wirkender junger Mann auf ein paar Sperrmülltischen diverse Hardware abgestellt hatte. Aber seine Gäste schien das nicht im Geringsten zu stören: Sie starrten gebannt auf die Bildschirme vor ihnen und hatten die Welt um sich herum vergessen.

Leider weiß ich nicht mehr, wie meine Bestandsaufnahme des ersten Internetcafés in der Stadt Saarbrücken damals ausfiel, aber mit Sicherheit hielt ich diese Art digitale Flüsterkneipe für eine Skurrilität mit absehbarem Verfallsdatum. So kann man sich irren, denn Internetcafés schossen in den darauffolgenden Jahren wie Pilze aus dem Boden. Inzwischen braucht sie keiner mehr, weil jeder seinen eigenen Internetanschluss im Handy mit sich herumträgt.

Eigentlich eine tolle Sache

Damit haben wir immer und praktisch überall Zugang zu jeglicher Art von Information. Eigentlich ist das eine tolle Sache, und selbst die schärfsten Kritiker der durchdigitalisierten Welt wünschen sich wohl kaum in die staubigen Archive der analogen Vergangenheit zurück. Dennoch hat sich das Heilsversprechen der Pioniere des Digitalzeitalters nicht erfüllt: Anstatt eines Hightech-getriebenen Demokratisierungsschubs erleben wir heute eine erschreckende Vermachtung unseres Alltags durch ein paar wenige Big-Data-Konzerne.

„Die großen Onlineplattformen haben Datenmonopole erschaffen, für die bisher jedes Regelwerk, jeder Rechtsrahmen und jede Rechtsgeschichte fehlt“, sagt die IT-Managerin Marie-Luise Wolff. Mit ihr und vielen anderen Kennern der Tech-Szene haben Antje Hildebrandt und Ralf Hanselle bei ihren Recherchen für unsere Titelgeschichte gesprochen. Ihr Fazit: Es sei ein rachsüchtiger Gott, dem wir in Form der Digitalisierung während der zurückliegenden Jahrzehnte huldigten. Und der mit seinen süßen Versprechungen alles daransetzen wird, uns mehr und mehr zu unterwerfen.

Dieser Text stammt aus der März-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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