Cicero im September - Der Tag, der Deutschland veränderte

Am 4. September 2015 erteilte Angela Merkel den in Ungarn gestrandeten Flüchtlingen die Einreiseerlaubnis. Eine Entscheidung, die ihr erst Bewunderung einbrachte und sie dann den Rückhalt in der Bevölkerung und in ihrer Partei kostete

Die Grenzöffnung wirkte wie ein Marschbefehl / Illustration: Lesley Anne Cornish
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Am Anfang war das Wort, und dem Wort folgte die Tat. In der Bundespressekonferenz vom 31. August vergangenen Jahres schwor Kanzlerin Angela Merkel mit ihrem „Wir schaffen das!“ die Bevölkerung darauf ein, dass mit der Flüchtlingsbewegung übers Mittelmeer Gewaltiges auf Deutschland zukommt. Vier Tage später machte Merkel den 4. September 2015 zu einem historischen Datum. Im Alleingang beschloss sie, nach Telefonaten mit dem österreichischen Bundeskanzler Werner Faymann, einen Flüchtlingstross von 20.000 Menschen von Ungarn über Österreich nach Deutschland zu lassen. Und es kamen mehr. Merkels Ansage wirkte in der Folge wie ein Marschbefehl.

Diese Aktion vor einem Jahr ist die umstrittenste ihrer Amtszeit. Sie hat ihr erst Respekt und Bewunderung gebracht und die Kanzlerin dann eine Menge Rückhalt in der Bevölkerung und in ihrer Partei gekostet. Cicero hat Merkels Entscheidung von Anbeginn kritisiert. Nicht, weil wir gegen Flüchtlinge sind oder glauben, Deutschland könne sich vom globalen Geschehen abkoppeln. Cicero ist weltoffen, plural und schaut ohne Angst mit freiem Blick auf die Welt. Sondern, weil dieser Alleingang in Deutschland für einige Zeit zum Kontrollverlust des Staates geführt hat, an dessen Folgen das Land bis heute laboriert. Und weil der Alleingang die EU gespalten hat.

Ein Riss geht durch Deutschland

Den ergreifenden Szenen vom Münchner Hauptbahnhof folgten jene von Köln, Ansbach und Würzburg. Die Entscheidung Merkels hat aus der Bundesrepublik ein anderes Land gemacht. Sie hat Deutschland entzweit, gesellschaftlich, politisch. Der Riss geht quer durch alle politischen Lager, durch Familien, durch Freundeskreise. Die Parteienlandschaft ist zerklüftet, die AfD zu einem ungeahnten Aufstieg gekommen.

Der Schweizer Autor und Fotograf Rudolph Jula arbeitete in jenen Tagen an einem Fotoprojekt, in dem er den Exodus aus Syrien auf ergreifende Weise dokumentierte. So war er hautnah Zeuge der Ereignisse. Für Cicero hat er sich an jene Tage zurückerinnert und spiegelt seine Eindrücke von damals an der Lage heute. Für Jula steht im Zentrum des Alleingangs der deutsche Idealismus – eine Kraft, die in seinen Augen stets das Gute will und dabei oft das Böse schafft.

Darüber hinaus schildern Flüchtlinge, Helfer, ein Landrat aus Passau, eine Kioskfrau von der österreichischen Grenze, die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer und der Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo ihre Eindrücke und Lehren aus diesem Jahr.

 

 

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