Cicero im November - Merkels letztes Gespann

Angela Merkel reagiert auf den dramatischen Absturz der Union bei der Bundestagswahl und den Nackenschlag in Niedersachsen ohne Selbstzweifel und spannt ungerührt die Pferde für eine Quadriga aus Grünen, CDU, CSU und FDP. Doch kann Jamaika halten? Dieser Frage widmet sich die aktuelle Cicero-Ausgabe

Mit Jamaika wird etwas zusammengespannt, das nicht zusammengehört / Illustration: Carolin Löbbert
Anzeige

Autoreninfo

Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

So erreichen Sie Christoph Schwennicke:

Anzeige

Zur hohen Kunst der Politik gehört es, sich auch in der schwersten Krise keine Schwäche anmerken zu lassen. Kaum jemand hat diese Lektion so verinnerlicht wie Angela Merkel. Sie ist nach außen komplett indolent, vollkommen schmerzfrei. 17 Jahre als CDU-Vorsitzende und zwölf Jahre als Kanzlerin haben ihr einen Panzer verpasst, den kaum noch etwas durchdringt. Ein dramatischer Absturz der Union bei der Bundestagswahl, ein zweiter Nackenschlag in Niedersachsen – und Merkel reagiert wie die Automatenmenschen in Westworld mit Yul Brynner. Ohne ersichtliche Regung. Und ohne jeden Selbstzweifel. Sie könne nicht erkennen, was sie hätte anders machen sollen, lässt sie das Volk wissen und spannt ungerührt die Pferde für die nächsten vier Jahre zusammen: eine Quadriga aus Grünen, CDU, CSU und FDP. Das vierte und letzte Gespann, das ihr nach Schwarz-Gelb und der Großen Koalition noch bleibt.  

Jamaika wird Realität, aber nicht klappen

Es braucht nicht viel politischen Weitblick, um ein paar Dinge zu prophezeien. Erstens: Jamaika wird höchstwahrscheinlich Realität. Zweitens: Jamaika wird aber nicht klappen. Das bunte Bündnis kommt, weil alle Beteiligten am Ende mehr Vorteile für sich darin sehen, diesen Ritt gemeinsam zu wagen. Für die grüne Özdemir-Eckardt-Generation ist es die letzte Chance auf die Macht. Deshalb sind die Grünen auch besonders erpicht darauf. Die FDP ziert sich ein wenig, aber sie will auch. Und die CSU weiß genau, dass sie bei ihren Landtagswahlen im nächsten Jahr nicht besser dasteht, wenn dieses Bündnis an ihr scheitert.

Es wird mit Jamaika aber deshalb nicht klappen, weil da etwas zusammengespannt wird, das nicht zusammengehört. Denn es ist das eine, sich lustvollen und vorfreudigen Fantasien über dieses illustre Bündnis im politischen ­Feuilleton hinzugeben. Deutlich komplizierter wird es allerdings, wenn in der politischen Praxis derart divergierende Kräfte in der Spur gehalten werden müssen. Ein Drittes ist es schließlich, der eigenen Partei ein Identitätsgefühl zu geben. Das aber geht der CDU mit jedem weiteren Jahr Merkel ein Stück mehr verloren. Gibt es eine Lehre aus alldem? Ein Panzer schützt. Aber zugleich geht mit ihm jegliches Gespür verloren.

Die November-Ausgabe des Cicero erhalten Sie ab Donnerstag am Kiosk oder in unserem Online-Shop. Die Titelgeschichte können Sie schon jetzt über Cicero Plus lesen. Wer dort einen Monatspass erwirbt, bekommt die komplette Ausgabe als E-Paper kostenlos dazu.

Außerdem in dieser Ausgabe:

- Eine Reportage von Petra Reski über die italienische Mafia und wie sie aus der Flüchtlingskrise ein Milliardengeschäft gemacht hat

Bastian Brauns über die Renaissance des Feilschens durch dynamische und personalisierte Preise in der Warenwelt

Der britische Autor Douglas Murray über Europas seltsamen Selbstmord

 

Anzeige