Christine Lambrecht - Bedingt einsatzbereit

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht fremdelt mit Militär und Materie und findet ihre Rolle nicht. Ausgerechnet sie muss die vernachlässigte Bundeswehr auf Vordermann bringen. Dafür darf sie jetzt auch noch ganz viel Geld ausgeben.

Christine Lambrecht wollte eigentlich nicht Verteidigungsministerin werden / Hermann Bredehorst
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Holger Möhle ist verteidigungspolitischer Experte beim  Bonner General-Anzeiger.

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Christine Lambrecht hat bald ziemlich viel Geld. 100 Milliarden Euro zusätzlich, wer würde sich da nicht freuen. Doch bei der neuen Bundesverteidigungsministerin herrscht Alarmstimmung. Eigentlich ungewollt ins Amt gekommen, steht sie nun im Fokus wie kaum ein anderes Kabinettsmitglied. Es herrscht Krieg in Europa, und Lambrecht muss zusehen, dass die Bundeswehr nicht darin verwickelt wird. Und zugleich muss ausgerechnet sie die vernachlässigte deutsche Armee jetzt auf Vordermann bringen. 

Viel Geld, viel Ärger. Vorwärtsverteidigung wäre jetzt die richtige Taktik. Doch die Abteilung Attacke ist nicht Lambrechts Naturell. Neben der Truppe muss die Verteidigungsministerin auch sich selbst aufrüsten. Für ihren Kampf in einem Amt, das wegen seiner Fallstricke und dem ausgeprägten Eigenleben der Militärs als eines der kompliziertesten Häuser gilt. Olaf Scholz aber berief eine absolute Novizin. Lambrecht ist nun Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt, kurz: Ibuk. 

Ungewollt im Verteidigungsministerium

Ihre größte Front verläuft zunächst im eigenen Haus. Hohe Offiziere beklagen, die Ministerin lasse sich nur ungern militärisch beraten, setze vor allem auf ihr ziviles Team von Sozialdemokraten. Frustriert müssen Generäle erleben, wie Lambrecht auf dem Flur grußlos an ihnen vorbeigeht. Ein kompliziertes Haus – mit einer Ministerin, die sich noch herantastet. 

Und dann hat sie auch noch Ärger mit der Generalität. Der Marine­inspekteur musste nach umstrittenen Putin-­Äußerungen seinen Posten räumen, der Heeresinspekteur beschwert sich öffentlich über die Mangelausrüstung. Außerdem gibt es noch Medienberichte über einen angeblichen Machtkampf mit Generalinspekteur Eberhard Zorn. Lambrecht wolle Zorn entmachten, heißt es. „Quatsch“, lautet der Konter aus ihrem Haus. Auch der Vier-Sterne-General weist die Gerüchte mit Nachdruck zurück. Er arbeite „sehr vertrauensvoll“ mit der Ministerin zusammen. 

Die heute 56-jährige SPD-Politikerin war eine Überraschungskandidatin. Mit der Inspektion von Kasernen, der Reform des verstaubten Beschaffungswesens der Bundeswehr und der Verstärkung der Nato-Ostflanke konnte man die Juristin bislang nicht in Verbindung bringen. Die gebürtige Mannheimerin verdiente sich fleißig und loyal den Posten der Ersten Parlamentarischen Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion zwischen 2013 und 2017. Eine Managementaufgabe, bei der man sehr viele Themen gleichzeitig jonglieren muss. Lambrecht wurde danach Finanzstaatssekretärin und schließlich Bundesministerin der Justiz. Eigentlich der Job ihres Lebens. 

Teure Trendwende

Das Militärische ist nicht ihr Ding; die Ministerin fremdelt mit der Materie. Aber nun ist sie Chefin im Haus der unübersichtlichen Großprojekte, der Fallstricke, der fein gefächerten Interessen der Teilstreitkräfte. Eine Multi-Milliarden-Angelegenheit. Kaum ein Minister ist dort je ohne Schrammen wieder rausgekommen. Der einstige Amtsinhaber Peter Struck, auch ein Sozialdemokrat wie Lambrecht, war auch kein geborener Mann des Militärs. Struck war ein Ungedienter, weißer Jahrgang – aber in der Truppe eben sehr beliebt. Ein Soldatenminister. Er ließ sich auf den Balkan fliegen und sang dort als Blues Brother mit Sonnenbrille den Harry-Belafonte-­Song „Matilda, Matilda“. Die Truppe jubelte ihrem Minister zu. Für Lambrecht ist das sicher nicht das richtige Rezept, aber dass sie bei der Truppe Emotionen auslöst – derzeit kaum vorstellbar.

Lambrecht, die eine in großen Teilen frustrierte Truppe vorfindet und diese motivieren müsste, dürfte jetzt allenfalls in die Karten spielen, dass sie viel Geld verteilen kann. Vielleicht hilft ihr das, in die Vorwärtsbewegung zu kommen. Wenn sie auftritt, wirken ihre Aussagen aber noch wie eingeübt. „Die Alliierten im Bündnis können sich zu 100 Prozent auf Deutschland verlassen“, hatte sie zuletzt mehrfach betont. Deutschland liefert nun, was es kann und sich politisch zutraut. Die Ukraine bekommt Militärhilfe. 1000 Panzerabwehrwaffen, 500 „Stinger“-Raketen, 2700 Flug­abwehrraketen vom Typ „Strela“ aus ehemaligen NVA-Beständen und – endlich – 5000 Helme. 

Als Chefin einer Truppe, in der es vorne und hinten an notwendigem Gerät, Material und Munition fehlt, wäre eine Mutmacherin gefragt. Von der unter Vorvorgängerin Ursula von der Leyen (CDU) angekündigten „Trendwende“ in allen Bereichen der Truppe ist bislang wenig zu sehen. Bis 2027 soll eine voll einsatztaugliche Division stehen. Bei der derzeitigen Materiallage bestenfalls Zukunftsmusik. Auch Lambrecht bräuchte bald etwas in eigener Sache: eine Trendwende.

 

Dieser Text stammt aus der April-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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