Hetzjagd-Video aus Chemnitz - Rehabilitiert ein Ehepaar Hans-Georg Maaßen?

Zehn Wochen nachdem Daniel H. getötet wurde, hat Angela Merkel Chemnitz besucht. Zeitgleich erscheint ein Bericht, der die Glaubwürdigkeit des „Hetzjagd“-Videos infrage stellt, das Hans-Georg Maaßen das Amt kostete. Der meistgelesene Text im November 2018 von Antje Hildebrandt

„Trauermarsch “in Chemnitz nach dem Tod von Daniel H: Friedliche Demonstration oder Hetzjagd? / picture alliance
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Es ist eines der am häufigsten geklickten Videos der vergangenen Monate. Dabei ist es nur 19 Sekunden lang. Es zeigt einen schwarz gekleideten Mann, der zwei ausländisch aussehende Männer verfolgt. Dieses Video hat die Bundesregierung an den Rand eines Koalitionsbruchs gebracht und den Chef des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, das Amt gekostet. Schließlich hatte Maaßen in einem Interview mit der Bildzeitung erhebliche Zweifel an der Echtheit des Videos geäußert und die Medien dafür kritisiert, dass sie das Video verbreitet hätten, ohne die Quelle zu prüfen. Eine Initiative namens „Antifa Zeckenbiss“ hatte das Handy-Video nach eigener Darstellung in einer Gruppe der Nachrichten-App Telegram mit dem Namen „Bewegwas Deutschland“ entdeckt und daraufhin auf Twitter verbreitet. Wer es gedreht hat, war nicht bekannt. 

Das Ehepaar aus dem Video?

Jetzt will der Journalist Holger Douglas die Urheber des Videos gefunden haben. Es soll sich um ein Ehepaar aus Chemnitz handeln, er 38, sie 35, beide Angestellte. Wenn es stimmt, was die Beiden in einem Bericht beschreiben, der heute auf der Internetseite des Monatsmagazins Tichys Einblick erschienen ist, dann erscheinen die Unruhen in Chemnitz nach dem Mord an dem 32-jährigen Daniel H. zwar nicht in einem völlig neuen Licht. Es würde Hans-Georg Maaßen aber zumindest teilweise rehabilitieren. Denn das Video, das von den Medien unter anderem als Beleg dafür gewertet wurde, dass es in Chemnitz am Rande des Trauermarsches für den erstochenen Daniel H. „Hetzjagden“ auf Menschen gegeben habe, die ausländisch aussehen, hat nach den Worten der Urheber eine Vorgeschichte. 

Glaubt man dem Ehepaar aus dem Bericht von Douglas, dann ist dem Video „eine böse Provokation gegenüber uns Trauernden“ vorausgegangen. Zwei junge Migranten, die an einer Bushaltestelle standen, wären „aggressiv auf uns zugekommen und haben uns angepöbelt“, so berichtet es die Frau, die namentlich nicht genannt werden wollte und im Bericht Kathrin B. heißt. Einer habe „Verpisst Euch!“ gerufen.

Dann sei es zu einem körperlichen Kontakt mit den beiden Männern gekommen. Einem ihrer Freunde sei „der Inhalt eines Bierbechers über seine Kleidung und wohl auch ins Gesicht geschüttet“ worden. Erst jetzt hätte sie erschrocken ihr Handy aus der Tasche geholt und die Szenerie zu filmen begonnen. „Jetzt kracht’s“, hätte sie gedacht. Eine Frauenstimme ist auf dem Video zu hören. „Hase, Du bleibst hier!“ Kathrin B. sagt, sie habe befürchtet, dass auch ihr Mann in Richtung der beiden Provokateure loslaufen würde. 

Roland Tichy bestätigt Bericht

Doch wie glaubwürdig sind diese Aussagen? Till Eckert, der die angeblich Verfolgten aus dem Video aufgespürt hat und mit ihnen gesprochen hat für Ze.tt, das Jugendportal von Zeit Online, bezweifelt die Aussagen. Er sagte gegenüber Cicero, dass sich kaum beweisen lasse, dass der Vorgang sich so abgespielt habe, wie von dem Ehepaar berichtet. Roland Tichy, der Herausgeber von Tichys Einblick hält dagegen. Er sagte Cicero, dass er keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Eheleute habe. Er selbst sei bei dem Treffen mit ihnen dabei gewesen. Aus Angst vor Rache-Akten aus der Antifa-Szene hätten sie darum gebeten, anonym zu bleiben. Im nächsten Schritt würden sie ihre Aussagen aber eidesstattlich bei der Polizei abgeben, sagt Tichy. 

Natürlich sei es kein Zufall, dass man die Geschichte ausgerechnet an dem Tag veröffentlicht habe, an dem die Kanzlerin Chemnitz besucht habe, zehn Wochen nach dem gewaltsamen Tod von Daniel H., stellt Tichy klar. Doch es bleiben Fragezeichen. Wie wollen die Urheber ihre Vorgeschichte beweisen? Wie ist das Video aus der geschlossenen Whatsapp-Gruppe, in die Kathrin B. es gestellt haben will, in die Gruppe des Messenger-Dienstes Telegram gekommen, in die Gruppe „Bewegwas Deutschland“? Und warum haben sich die Eheleute nicht an ein Medium mit einer größeren Resonanz gewandt, wie zum Beispiel die Bild-Zeitung, die ja auch Hans-Georg Maaßen eingeschaltet hatte?

In der Pressestelle des  Bundesinnenministeriums hieß es dazu, der Bericht sei in einigen Punkten fragwürdig. Bewerten könne man ihn aber erst, wenn man sich mit der Polizei in Chemnitz über den neuesten Stand der Ermittlungen ausgetauscht habe. Die Ermittlungen zum Fall Daniel H. sollen bis Januar abgeschlossen werden. Bei der zuständigen Generalstaatsanwaltschaft in Dresden war am Freitag niemand für eine Stellungnahme zu erreichen. 

Der Autor der Geschichte, Holger Douglas, ist bisher vorwiegend als Wissenschaftsjournalist und Buchautor („Die Diesel-Lüge“) in Erscheinung getreten. Laut Roland Tichy habe er, Tichy, ihm einen erfahrenen ZDF-Reporter an die Seite gestellt. Das umstrittene Video sei nur ein Puzzlestein in der Geschichte über den den gewaltsamen Tod von Daniel H. Das Duo recherchiere auch im Umfeld der mutmaßlichen Täter, eines Syrers und eines Irakers. Die Täter kämen aus dem Umfeld der kurdischen Arbeiterpartei PKK, glaubt Tichy zu wissen. Ein Buch zu dem Thema sei geplant.  

Nicht der einzige Beweis für „Hetzjagden“ 

Die Autoren werten diese Geschichte als Beweis dafür, was auch Hans-Georg Maaßen behauptet hatte. Dass es nämlich entgegen anderslautender Berichte keine „Hetzjagden“ auf Menschen mit Migrationshintergrund in Chemnitz gegeben habe. 

Dabei gilt das 19-Sekunden-Video nicht als der einzige Beweis. Bei der Chemnitzer Polizei gingen am 26 und 27. August laufend Strafanzeigen wegen Körperverletzung, Landfriedensbruch und dem Tragen verfassungswidriger Symbole ein – gegen rechte wie gegen linke Gewalttäter. In 120 Fällen wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet. Noch schwerer wiegen die Polizei-Protokolle, die Reporter des ZDF-Magazins Frontal 21 veröffentlicht haben. Sie belegen, dass nach Demos der AfD und der rechten Bewegung „Pro Chemnitz“ Dutzende rechter Gewalttäter durch die Stadt marodierten. 10 bis 15 von hätten das jüdische Restaurant „Schalom" mit Steinen und Flaschen angegriffen. Das Fazit der Reporter ist eindeutig: Es habe eine „intensiven Bedrohungslage“ gegeben.

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