Rechte Randale in Chemnitz - Woher kommt nur dieser Hass?

Nach dem Tod eines 35-Jährigen in Chemnitz ziehen Rechtsradikale randalierend durch die Stadt. Ermöglicht wurde dies durch einen schwachen Staat und Sachsen-Bashing. Die Politiker hätten das Eskalationspotenzial kennen müssen. Diesen Gastbeitrag von Antje Hermenau lasen Sie im August besonders häufig

Die Demonstrationen in Chemnitz gehen weiter / picture alliance
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Autoreninfo

Antje Hermenau ist Unternehmerin und Koordinatorin des Landeswirtschaftssenats des BVMW in Sachsen. Sie war bis 2015 Mitglied der Grünen und saß für diese bis 2004 im Bundestag, später führte sie Grünen-Fraktion im sächsischen Landtag.

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So wie ein Funke einen Waldbrand auslösen kann, reicht ein Gerücht in den sozialen Medien, um einen Straßenprotest auszulösen. Sofort werden alle Vorurteile und Klischees bedient, in Gerüchteküchen hochgekocht und mit einem vehementen „Jetzt reicht’s!“ herausgebrüllt, welches den Adrenalinspiegel steigen lässt. Das ist vor allem in Fällen so, in denen es um Körperverletzungen geht. Insbesondere Messerstechereien, die sich – mit Beteiligung von Zuwanderern oder ohne – zu einem Symbol entwickelt haben.

Individuelle Ohnmachtsgefühle, amtliche Realitäts- und Verantwortungsverweigerungen, wüste Beschimpfungen und Drohungen aus allen politischen Richtungen und über Jahre angestautes „Reingefressenes“ bilden die explosive Mischung, die uns noch über Jahre nicht nur in Ostdeutschland begleiten wird.

Schädliche Ferndiagnosen

Die 2020er Jahre werden hart werden, weil die Auseinandersetzungen in der Gesellschaft hart werden. Kaum einer kann das in einfachen Worten erklären, aber viele fühlen es. Und die archaischen Verhaltensweisen, die einige Migranten kulturell mitbringen, werden von einem wachsenden Teil der hiesigen Bürger übernommen, weil sie selbst den Staat für handlungsunfähig halten. Wenn der Polizei von einer Reihe von Zugewanderten kein Respekt entgegen gebracht wird, warum sollen sie sich dann selbst noch fügen? Demokratie ist eine freiwillige Veranstaltung. Der Staat muss sich allgemeinen Respekt verschaffen oder er verliert an Rückhalt in der Gesellschaft. 

Ferndiagnosen aus dem Westen über ungebildete oder benachteiligte Ostdeutsche oder einen „failed state“ Freistaat Sachsen sind so hilflos wie schädlich. Damit kann man sich anderswo in Deutschland vielleicht noch ein bisschen länger der Illusion hingeben, nach Veilchen zu duften, aber die Realität sieht anders aus. In Sachsen wurde das früher damit zusammengefasst, dass der Staatsratsvorsitzende die Gardine zuzog und vorgab, der Zug führe noch. Alter Witz. Die Hooligans und die Rechtsradikalen trauten sich derart am Sonntag in Chemnitz auf die Straße, weil sie wissen, dass sehr viel mehr Menschen ihre Einschätzung teilen, dass der Staat zu schwach, das System erodiert und die Politik handlungsunfähig ist.

Kein Vertrauen in den Staat

Darüber täuschen auch keine Lichterketten oder Netzwerk-Empörungskampagnen von der anderen politischen Seite hinweg. Spüren sie diese stille Unterstützung, machen sie sich zum selbsternannten Sprachrohr und glauben sich auf der richtigen Seite. Das dann folgende übliche Sachsen-Bashing bestärkt sowohl sie als auch die Stillen nur. 

Die Frage, ob der Staat überhaupt noch materielle und innerstaatliche Sicherheit gewährleisten kann, steht im Raum wie der sprichwörtliche Elefant – nicht nur im Osten. Kann der Staat nicht mehr den Eindruck vermitteln, auch in schwierigen Situationen handlungsfähig zu sein, wird er nicht mehr ernst genommen. Der Autoritätsverlust ist schwerwiegend. Die Geschäftsgrundlage für ein freiwilliges Einfügen in die Demokratie scheint für immer mehr Bürger offenbar zu entfallen. Sie nehmen das lieber selbst in die Hand, weil sie es dem Staat nicht mehr zutrauen, dass er diese Probleme lösen kann. Die einen verduften mit ihren Bankkonten in die Schweiz, die anderen laufen als gewaltbereite Demonstranten durch die Straßen. 

Wo war die Anteilnahme?

Machen wir es konkret: Zu Kundgebungen wurde im Laufe des Sonntags über soziale Netzwerke aufgerufen und am darauf folgenden Montag. Geheim war das nicht. Die Veranstalter des Stadtfestes sahen aber bis zum Sonntag Mittag keinerlei Anlass, das Stadtfest abzubrechen. Als die Polizei deutlich machte, dass auch jenseits der Chemnitzer Stadtgrenzen Fußballfans und Hooligans mobilisiert wurden, forderte sie Verstärkung aus Leipzig und Dresden an. Das Stadtfest wurde mit der fadenscheinigen Notlüge vorzeitig beendet, man breche aus Pietätsgründen ab.

Die Bürgermeisterin beschwerte sich, dass sich Menschen „einfach so“ versammeln und das Stadtfest „zum Abbruch bringen“. Hätte sie nicht selbst darauf kommen können, dass es sich nicht miteinander verträgt, ein Stadtfest weiter zu feiern, wenn jemand zuvor in der Nacht in derselben Stadt unter ungeklärten Umständen und gewaltsam zu Tode gekommen ist, was nicht aller Tage vorkommt? War ihr das unwichtig? Wo war ihre Anteilnahme? Warum hat sie nicht die regionalen Parteichefs, insbesondere auch der AfD, am frühen Morgen zu einer Beratung einberufen und die Lage zu einer gemeinsamen Angelegenheit gemacht? Vielleicht, weil das bundesweite Gezeter groß gewesen wäre, wenn sie mit jemandem von der AfD geredet hätte?

Durchhalteparolen statt Antworten

Sie wird sich diese Fragen gefallen lassen müssen. Sie weiß, dass die AfD sich dieser Themen nicht gerade politisch unauffällig angenommen hat. Sie hätte also wissen müssen, dass es Eskalationspotenzial gibt. Und sie weiß aus Erfahrung, wie schnell das Sachsen-Bashing mit genau denselben unheilvollen Vorverurteilungen und Pauschalisierungen durch Ferndiagnostiker einsetzen wird, weil so mancher den durch dieses Verhalten vorgehaltenen Spiegel nicht erträgt. Mit gruppenbezogenen, pauschalen Fernurteilen besorgen die öffentlichen Basher das politische Geschäft der AfD.

Am Ende geht es darum, dass im östlichen Mitteleuropa eine Globalisierung und Europäisierung, wie sie in den vergangenen Jahrzehnten in West-Europa lief, auf Dauer nicht mitgetragen wird. Der Einstiegsvertrag war in die soziale Marktwirtschaft aufgenommen zu werden, mit harter Leistung auch hartes Geld zu verdienen und sich etwas leisten zu können, sowie dem Gefängnis des sowjetischen Kommunismus zu entkommen.

Inzwischen ist jedem klar, dass der deutsche Sozialstaat die marktliberale Globalisierung und die für alle offenen Grenzen so nicht überleben kann. Die Leute spüren das. Sie bekommen keine Antworten, sondern Durchhalteparolen. Aus ihrer Sicht werden andere, die nichts für diesen Staat getan haben, „bevorzugt“ – und das auch noch mit dem fadenscheinigen Argument „Fachkräfte“. Fachkräfte saßen zuhauf im Osten in der Arbeitslosigkeit. Das hat sich erst nach 25 Jahren geändert.

Ruhe statt Hilflosigkeit

Als im Süden Europas in den vergangen zwei Jahrzehnten Arbeitslosigkeit und wirtschaftlicher Zusammenbruch an die Vorgänge im östlichen Mitteleuropa in den neunziger Jahren heran reichten, wurde ein zweierlei Maß offenbar, mit denen innerhalb Europas gemessen wurde. Das hat viele, die sich damals durchgebissen haben, verbittert.

Das heilt man nicht mit inflationären moralischen Beschimpfungen. Die sind diesen Menschen inzwischen völlig egal und damit wirkungslos. Sie drücken in ihren Augen nur die Hilflosigkeit der Schimpfer aus. Bei aller berechtigter Kritik, lasst die sächsischen Behörden ihres Amtes walten und sich wieder den Respekt bei der eigenen Bevölkerung verschaffen. Ansonsten bleibt es dabei, dass lediglich die eigene Hilflosigkeit gegenüber dem großen Ganzen auf die hiesigen Bürger und Verantwortlichen projiziert wird.

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