CDU-Vorsitz - Helge Braun schreibt einen Brief an die Basis

Dokumentation: Kanzleramtsminister Helge Braun bewirbt sich mit einem Aufruf zu mehr Diskussionen, weniger Streit und einer Schärfung des Profils um den Posten des Parteivorsitzenden – bleibt aber inhaltlich vage.

„Ich habe einen Plan“: Helge Braun bewirbt sich bei den Parteimitgliedern / dpa
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Im Rennen um den CDU-Vorsitz läuft die Bewerbungsfrist bald ab. Bis Mittwoch um 18 Uhr müssen die Kandidaten für die Nachfolge von Armin Laschet ihr Bewerbungsschreiben bei der CDU-Bundesgeschäftsstelle eingereicht haben. Erstmals soll eine Befragung der etwa 400.000 CDU-Mitglieder über den neuen Vorsitzenden entscheiden. Offiziell gewählt wird er dann am 21. Januar von den Delegierten des Parteitags in Hannover. Neben Friedrich Merz und Norbert Röttgen wirft auch Kanzleramtschef Helge Braun seinen Hut in den Ring. Der enge Vertraute der geschäftsführenden Bundeskanzlerin Angela Merkel gilt als das letzte Aufgebot des Merkel-Lagers, den konservativen Friedrich Merz als CDU-Vorsitzenden zu verhindern. Wir dokumentieren an dieser Stelle das Bewerbungsschreiben von Helge Braun an die CDU-Mitglieder, das der Cicero-Redaktion vorliegt.

Liebe Freundinnen und Freunde,

uns alle bedrückt das historisch schlechte Ergebnis bei der Bundestagswahl. Und uns ärgert die Art und Weise, wie wir verloren haben. Die Liste der Versäumnisse und Streitigkeiten ist lang. So können und dürfen wir nicht weitermachen! Wir möchten wieder stolz sein auf die Christlich Demokratische Union, die in ihrer Geschichte mit herausragenden Persönlichkeiten – unseren Kanzlern und unserer Kanzlerin – wie keine andere politische Kraft für Frieden, Freiheit, Wohlstand und sozialen Zusammenhalt in Deutschland gesorgt hat. Wir wollen wieder eine starke CDU, die in Deutschland gebraucht wird. Aber:

Um zu neuer Stärke zu kommen, brauchen wir einen grundlegenden Neuanfang. Das gilt für die inhaltliche Arbeit genauso wie für die Form unserer Zusammenarbeit und die Organisation unserer Partei. Mein CDU-Kreisverband hat mich heute als Kandidaten für den Vorsitz der CDU Deutschlands nominiert. Ich möchte mich mit aller Kraft und dem vollen Einsatz, den ich in den letzten Jahren für unser Land geleistet habe, in dieser schwierigen Zeit um unsere Partei kümmern. Ich will die CDU wieder stark machen und in Stil und Inhalt eine klare und unterscheidbare Alternative zur Ampelkoalition bieten. Mit Ihnen gemeinsam. Das sind meine Ziele:

Starke Opposition

Noch ist die Ampelregierung nicht im Amt, doch bereits jetzt zeigen sich erhebliche Spannungslinien bei Finanzen, Klimaschutz und der Pandemiebekämpfung. In der Situation in der sich unser Land befindet, muss die CDU sich deshalb konstruktiv einbringen und Missstände klar benennen. Wir haben die Corona-Pandemie noch nicht überwunden, Russland begegnet dem Westen mit hybrider Kriegsführung, eine sich ausweitende Inflation droht den Wert der Ersparnisse der Bürgerinnen und Bürger aufzufressen. Es gibt in Deutschland keine andere Partei, die sich so konsequent für die hart arbeitende Bevölkerung einsetzt, die die Westbindung lebt, und die Gesundheit, sowie innere und äußere Sicherheit und Freiheit verteidigt. Auf uns kommt es an, deshalb müssen wir schnell wieder stark werden.

Unser Profil schärfen

Wir haben als CDU in den letzten Jahren zu wenig diskutiert und nicht klar genug Position bezogen. Die Folge: Es war mitunter schwer, im Gespräch mit Wählerinnen und Wählern unsere Zukunftsvorstellungen zu erklären. Ich spüre eine große Sehnsucht, dass wir klarer definieren, was die Vorstellungen und Konzepte der CDU Deutschlands sind. Die Wahlergebnisse der letzten 16 Jahre haben uns drei Mal in eine große Koalition geführt. Erfolgreiche Kompromisse in der Regierung waren gut fürs Land – aber schlecht für die Wahrnehmung des Profils der Union. In der Opposition müssen wir die Zeit intensiv nutzen, um das inhaltliche Profil der CDU für unsere Mitglieder und die Wählerinnen und Wähler zu schärfen.

Deshalb sind jetzt folgende Dinge erforderlich:

„Positionsbestimmung“: Auf dem Parteitag am 20./21. Januar muss der neue Vorsitzende der CDU eine erste Positionsbestimmung für unsere Oppositionsarbeit gegenüber der Ampelkoalition vorlegen, die wir diskutieren und beschließen. Die CDU muss auf dieser Grundlage in den unmittelbar bevorstehenden Landtagswahlkämpfen im Saarland, Schleswig-Holstein, NRW und Niedersachsen auch zu bundespolitischen Fragen handlungs- und sprachfähig sein.

„Grundsatzprogramm“: Der unterbrochene Grundsatzprogrammprozess muss wieder aufgenommen werden. Es muss noch einmal die Möglichkeit zur breiten Diskussion und Klärung von Grundsatzfragen gegeben werden, bevor ein neues Grundsatzprogramm steht.

„Zukunftsagenda“: Die CDU muss zu den großen politischen Themen eine Zukunftsagenda erstellen, die konkrete und detailliert ausgearbeitete Konzepte vorsieht. Dabei müssen wir darauf achten, regionalspezifische Themen, die etwa Großstädte, ländliche Räume oder besondere ostdeutsche Interessen berühren, stärker aufzugreifen.

„Klärung“: Dort, wo es in der CDU besonders divergierende Positionen gibt, müssen wir diese im Interesse einer Profilstärkung klären. Solche Themen gibt es zum Beispiel zwischen Urheberrechts- und Digitalpolitik oder zwischen Ökologie und Ökonomie.

Die gemeinsame inhaltliche Arbeit muss im Ergebnis dazu führen, dass auch die Diskussionen über eine Links- oder Rechtsverschiebung der Union im Konsens beendet werden. Wir haben unterschiedliche Strömungen aber keine Lager. Die CDU ist eine Union. Und sie wird nur erfolgreich sein, wenn sie in der Mitte der Gesellschaft steht mit einem breiten Profil, das alle mitnimmt.

Organisatorisch wieder stark werden

Die CDU lebt durch ihre Mitglieder und muss wieder wachsen. Deshalb müssen wir Antworten geben auf die Frage: „Warum sollte ich CDU-Mitglied werden?“ Dabei geht es um die Angebote, die wir unseren Mitgliedern machen. Ich höre immer wieder: Es gibt zu wenig Raum und Beteiligungsmöglichkeiten für diejenigen, die auch die „große Politik“ diskutieren wollen und nicht nur kommunalpolitische Themen. Die Leute wollen von der Union eine mitgliederfreundliche Bereitstellung von bundespolitischen Informationen, die Schaffung von Beteiligungsmöglichkeiten und die Bereitstellung umfassender nutzerfreundlicher digitaler Lösungen für die Parteiarbeit, damit nicht überall vor Ort kostspielig eigene Lösungen gefunden werden müssen.

Deshalb sind jetzt folgende Dinge erforderlich: Die CDU muss schnell als Opposition kampagnenfähig werden. Schnelle Reaktionen, Faktenchecks und das Aufsetzen von kleinen und größeren Kampagnen nahezu in Echtzeit sind in Oppositionszeiten nicht nur Wahlkämpfen vorbehalten, sondern werden zur Daueraufgabe.

Die Leistungsfähigkeit unserer Parteizentrale muss verbessert werden. Wir müssen unsere Argumente klarer und besser aufbereitet für die Mitglieder und Unterstützer bereitstellen. Der Mitgliederservice muss verbessert werden. Eine entsprechende Organisationsreform erwarten zu Recht auch die Beschäftigten im Konrad-Adenauer-Haus.

Die Arbeit des Bundesvorstandes muss näher an die Mitglieder rücken. Deshalb halte ich es für richtig, dass am Abend nach jeder Bundesvorstandssitzung eines der führenden Vorstandsmitglieder in einer mitgliederoffenen digitalen Konferenz das Sitzungsergebnis erläutert und zur Diskussion stellt.

Die Mitglieder müssen mehr Möglichkeiten zur direkten Mitsprache an der inhaltlichen Arbeit erhalten. Das gilt sowohl für die Programmarbeit als auch für die ständige Begleitung der Bundespolitik durch fachlich interessierte Mitglieder. Die zahlreichen verschiedenen beruflichen und persönlichen Kompetenzen unserer Mitglieder können so besser genutzt werden.

Die Mitglieder in den Vorständen vor Ort und die Kreisgeschäftsstellen müssen von organisatorischer Arbeit und von technischen Umsetzungen entlastet werden. Unsere wertvollen ehrenamtlichen Kapazitäten und unsere Kreisgeschäftsstellen sollten für die politische Arbeit eingesetzt werden können. Seit Jahren gibt es dazu verschiedene Ansätze, die bisher leider noch nicht erfolgreich implementiert werden konnten. Deshalb müssen wir die digitale Kreisgeschäftsstelle schaffen, die einen benutzerfreundlichen digitalen Service anbietet.

Die Ebene der Kreisvorsitzenden muss gestärkt werden. Regelmäßige Kreisvorsitzendenkonferenzen als Bindeglied zwischen Basis und Bundespartei sind auch zukünftig notwendig und können durch eine Verankerung in der Satzung gestärkt werden.

Durch die zunehmende Personalisierung von Wahlkämpfen hängt unser Erfolg bei Wahlen immer mehr von überzeugenden Kandidaten ab. Deshalb müssen wir die Talente in unserer Partei früher entdecken und fördern.

Neue Formate der Parteiarbeit können auch zum Beispiel digitale Kollaborationsprojekte sein, oder auch die Einbindung Externer durch „open innovation“.

Die CDU muss in die Lage kommen, neue Entwicklungen in allen Bereichen früher als andere zu erkennen und zu bearbeiten. Dazu werden wir konsequent die Methoden der sogenannten strategischen Vorausschau nutzen. So wird der Innovationsprozess der Garant für unsere Volkspartei an der Spitze der Zukunftsbewegung.

Geschlossenheit und Haltung zeigen

Ich bin 49 Jahre alt und seit 31 Jahren Mitglied unserer Partei, war schon Kreis- und Bezirksvorsitzender der Jungen Union und bin inzwischen seit 18 Jahren Kreisvorsitzender und seit 14 Jahren Bezirksvorsitzender der CDU. Parteiarbeit macht mir Freude. In meinem Kreisverband und auch in der hessischen CDU ist die Haltung berühmt, nämlich der Zusammenhalt untereinander. Damit haben wir viele Herausforderungen gemeistert und arbeiten seit Jahrzehnten ohne Streit freundschaftlich zusammen. So macht Politik Spaß. Diesen Geist möchte ich gerne auch in unseren Gremien auf Bundesebene entwickeln. Wir müssen eine gemeinsame Haltung haben. Die Geschlossenheit und die Vertraulichkeit unserer Beratungen sind nicht nur für die Kommunikation nach außen von entscheidender Bedeutung, sondern auch für den inneren Zusammenhalt.

Das gilt auch für das Verhältnis zu unserer Schwesterpartei. Annegret Kramp-Karrenbauer hat es als Vorsitzende nach schwierigen Zeiten geschafft, CDU und CSU wieder zu versöhnen. Das Ringen um die Kanzlerkandidatur 2021 und deren Nachwirkungen haben alte Probleme wiederbelebt. Die Geschlossenheit von CDU und CSU ist aber entscheidend für unseren gemeinsamen Erfolg. Mehr noch: Weil die CSU viele enge Freunde auch in den Reihen der CDU hat, geht Streit zwischen CDU und CSU auch immer mitten durch die CDU. Mit einem ungetrübten Verhältnis zur Führung der CSU möchte ich diese wichtige Geschlossenheit wieder erreichen. Dazu zählt eine gemeinsame Vereinbarung, wie wir künftig unsere Kanzlerkandidaten nominieren.

Um es klar zu sagen: Wir haben nach dem Ergebnis der Mitgliederbefragung keinen einzigen Tag mehr Zeit für Streit oder neue offene Führungsfragen. Deshalb werde ich im Falle meiner Wahl als Vorsitzender nicht den Fraktionsvorsitz unserer Bundestagsfraktion anstreben.

Wir brauchen jetzt als CDU in der Opposition mit einer modernen Führungskultur verschiedene profilierte Persönlichkeiten, von denen die CDU gemeinsam repräsentiert wird. Dafür möchte ich als kooperativer Vorsitzender den Raum geben.

Liebe Mitglieder, in den vergangenen Jahren haben Sie mich als Ihren Kanzleramtsminister kennengelernt. An der Seite von Angela Merkel durfte ich viel lernen. Wir haben Krisen bewältigt und Deutschland gut regiert – und sind dabei immer geschlossen aufgetreten. Aus dieser Zeit bringe ich sehr viel Wissen in allen Politikfeldern mit, das ich in unseren inhaltlichen Erneuerungsprozess einbringen will.

Als Notarzt und Arzt im Bereich von Narkose, Notfall- und Intensivmedizin habe ich früh beruflich gelernt, mit Krisensituationen professionell umzugehen. Menschliches Miteinander ist mir wichtig. Und ich arbeite gerne im Team.
Ich möchte, dass wir alle bald wieder stolz und mit Freude am Infostand stehen. Mit klaren Antworten, mit denen wir alle Menschen in Deutschland erreichen. Ich habe einen Plan und ich bringe reichlich Erfahrung, Mut und Entschlossenheit mit. Deshalb freue ich mich auf die kommenden Jahre und bitte herzlich um Ihre Unterstützung und Ihr Vertrauen bei der Gestaltung unserer neuen CDU.

Ihr Helge Braun

 

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