CDU - Sachsen probt den Richtungswechsel

Nirgendwo war der Absturz der CDU bei der Bundestagswahl so dramatisch wie in Sachsen. Nun soll von einer Konfererenz in Dresden ein Neustart für die dortige Partei ausgehen. Werden die Signale auch in Berlin gehört?

Besprechung des Generationenwechsels: Michael Kretschmer (rechts) soll Stanislaw Tillich als Ministerpräsident ablösen / picture alliance
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Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Nach dem großen Knall der Bundestagswahl gibt es nun immerhin Platz. So kann man die Lage der sächsischen CDU beschreiben. Platz für einen Neustart, Platz dafür, Fehler zu benennen und zu korrigieren. Bevor es immer weiter nach unten geht. So jedenfalls wird die „Konferenz der Verantwortungsträger der Sächsischen Union“ im gediegenen Dresdner 4-Sterne-Hotel „Art’otel“ im Voraus angekündigt.

In der sächsischen CDU gärt es. Der Saal ist bis auf den letzten Sitz gefüllt, einige Besucher müssen stehen. Reporter und Fernsehteams stellen sich mit ihren Kameras auf. Mehr als 200 Funktionäre – Landtags- und Bundestagsabgeordnete sowie Kommunalpolitiker – sind zur Krisensitzung erschienen, um über das Wahldebakel und die notwendigen Konsequenzen zu reden.

In Sachsen ist der Absturz am dramatischsten

In Sachsen ist der bundesweite Absturz der CDU am deutlichsten sichtbar. Die AfD ist bei den Wahlen mit 27 Prozent knapp vor der CDU (26,9 Prozent) gelandet. 16 Prozentpunkte haben die Christdemokraten im Vergleich zu 2013 verloren und sind nun nicht einmal mehr stärkste Kraft im Freistaat.

Weil der Absturz der CDU hier am dramatischsten ist, gab es hier auch Konsequenzen. Vor einer Woche hat Stanislaw Tillich seinen Rücktritt als Ministerpräsident und CDU-Landeschef angekündigt. Er will Platz für „neue und frische Kraft“ machen. Der 16 Jahre jüngere Michael Kretschmer soll sein Nachfolger werden. Doch passiert hier gerade noch mehr? Wird der Dresdener Umbruch sich auch auf Berlin auswirken?

Der Ruf nach Erneuerung und frischer Kraft ist längst auch dort zu hören. Hinter vorgehaltener Hand zwar, aber doch deutlich. Die Partei sei – vor allem in der Flüchtlingskrise – gesellschaftspolitisch zu weit nach links gerückt, heißt es in den eigenen Reihen, wodurch die AfD sie rechts überholen konnte. Und dann schauen einige in den Süden, auf den österreichischen Superstar der Konservativen, den 31-jährigen Sebastian Kurz. Und werden neidisch.

Frischer Wind – auch für Berlin?

In Dresden, im neonhell beleuchteten Konferenzraum des Art‘otel, ergreift zuerst der scheidende Ministerpräsident das Wort. Ein „weiter so“ dürfe es auf keinen Fall geben, sagt Stanislaw Tillich gleich. Man müsse zeigen, dass man verstanden habe, nun gelte es die richtigen Schlüsse aus den Fehlern der Vergangenheit zu ziehen, um das Vertrauen der Wähler zurückzugewinnen. Ihm selbst fehle dazu die Kraft, ein Generationenwechsel an der Spitze soll frischen Wind bringen. Er erwähnt Berlin nicht explizit, nicht die Kanzlerin, nicht ihren Namen. Aber wohl jeder hier weiß, dass er auch nicht nur von Sachsen spricht.

Bei seinem designierten Nachfolger werden die fein austarierten Spitzen gegen Berlin noch eine Spur schärfer. Die Bundestagswahl sei eindeutig eine „Abstimmung über die Flüchtlingspolitik“ gewesen, sagt Michael Kretschmer. Auf Bundesebene seien Fehler nicht eingesehen worden, dabei hätte doch schon die bloße Einsicht viel bewirken können.

Schnell wird klar: Die Veranstaltung im Art’otel soll eine Probe für den Richtungswechsel sein. Weg von der postulierten Alternativlosigkeit, vom trägen Konsens, von inhaltsleeren Floskeln. Und: Auf die Probleme vor Ort kommt es an, sie sollen nicht mehr verschwiegen werden. Lehrermangel, Rechtsextremismus, steigende Kriminalitätsrate, auch durch Flüchtlinge. Probleme, die auch in anderen Bundesländern beklagt werden.

Unmut über Berliner Arroganz

Auf der Bühne sind drei Fahnen aufgestellt: Europa, Deutschland, Sachsen. Von den Leinwänden rechts und links des Podiums prangt in großen Lettern das „Miteinander“ hervor. Es müsse wieder eine lebhafte Debatte ohne Denunzierungen herrschen, sagt Tillich, die CDU sei „keine zentralistische Partei.“ Auch Kretschmer beschwört die Gemeinschaftlichkeit und betont fast schon flehend, dass es keine „One-Man-Show“ geben darf. Oder meint er „One-Woman-Show“?

Vor der anschließenden Diskussionsrunde werden die Reporter gebeten, ihre Kameras und Aufnahmegeräte auszuschalten – die Gäste sollen in einer „möglichst offenen Gesprächsatmosphäre“ frei und umgehemmt reden können. Das lassen sie sich nicht zwei Mal sagen. Sie reden sich in Rage, über sächsische, aber auch über deutsche Probleme. Über die Kanzlerin und ihre Arroganz, als sie trotz schwacher Umfrageergebnisse sagte, sie wüsste nicht, was sie an ihrer Politik ändern solle. Über ihren Generalsekretär Peter Tauber, der diejenigen, die Merkels Kurs in der Flüchtlingskrise nicht unterstützen wollten, als „Arschlöcher“ bezeichnete. Über die bevormundende Herablassung, die aus dem Bundestag komme, gegenüber den Menschen auf dem Land generell und denen in Sachsen im Speziellen.

Am deutlichsten wird Holger Reuter, Vorsitzender des Stadtverbandes Freiberg. Reuter – große Statur, schmale Brille – betritt bestimmt die Bühne, schnappt sich das Mikro und legt los. Die Leute hätten in der Wahlkabine auf die Politik der etablierten Parteien reagiert, „aber viele fürchten sich noch immer davor, die letzte Konsequenz auszusprechen“, sagt er – und fordert unverhohlen den Rücktritt der Kanzlerin. Sie sei für das Wahlergebnis verantwortlich. Ein leises Raunen geht durch die Menge, aber nur ein paar Leute klatschen. Doch auch die anderen Redner sind sich darin einig, dass es einen Kurswechsel geben muss – wenngleich die meisten nicht über unverbindliche Aufbruchsparolen hinausgehen.

Für de Maizière ist alles alternativlos 

Dann, nach 20 Minuten, kommt der Bundesinnenminister auf die Bühne. Mit Thomas de Maizière geht gleich das Tempo verloren. Das Flüchtlingsthema sei zentral, räumt er ein, doch sein ausgedehnter Vortrag bewegt sich meist im Ungefähren. Überall sieht de Maizière Alternativlosigkeiten: Der Rücktritt von Tillich? Alternativlos. Die Berufung von Kretschmer, der es nicht geschafft hat, sein Direktmandat für den Bundestag zu verteidigen? Alternativlos. Jamaika? Alternativlos. „Wollt ihr nochmal wählen oder was?“, ruft der Innenminister. Man müsse auch vor der eigenen Tür kehren und nicht nur den Bund beschuldigen. Nach 15 Minuten wird das Publikum unruhig und beginnt zu tuscheln, der Moderator unterbricht de Maizière. Schlussapplaus, Abgang. Er muss los, aus persönlichen Gründen.

„Es reicht nicht, wenn de Maiziére kommt und mal ein bisschen was sagt“, sagt anschließend ein Mann mittleren Alters, der sich als Geschäftsführer eines Krankenhauses vorstellt. Er mahnt eindringlich vor den Landtagswahlen 2019: „In zwei Jahren geht uns die AfD durch die Decke!“ Gerade das Thema „innere Sicherheit“ dürfe die CDU nicht länger halbherzig behandeln,das sei doch ihr zentrales Thema gewesen. Die CDU müsse sich auch klar gegen den Familiennachzug positionieren. Die Aussage, es käme im Schnitt nur ein Nachzügler pro Flüchtling, sei unglaubwürdig.

Rückkehr zur Basis

Danach geht es wieder vornehmlich um Sachsen. Um die Vernachlässigung des ländlichen Raums, um den Lehrermangel. Einer von den Verbliebenen, Mitglied der Jungen Union, sagt, eine mäßig qualifizierte Aushilfskraft bekomme in Sachsen genauso viel Gehalt wie ein qualifizierter Lehrer. „In den nächsten Jahren werden 200 Schulleiterplätze frei, ohne dass wir qualifizierte Leute haben.“ Man müsse damit rechnen, dass es dann „richtig bergab geht“.

Wie viel Sachsen steckt in Deutschland? In Dresden gibt es darauf keine klare Antwort. Es geht um explizit sächsische Probleme als Resultat einer Bundespolitik, die regionale Verhältnisse vernachlässigt hat. Aber auch um bundesweite Probleme als Resultat einer Vernachlässigung regionaler Verhältnisse. Klar ist: Der Aufbruch der sächsischen CDU ist kein Aufstand. Aber viele hier hoffen auf eine Rückkehr. Eine Rückkehr zur Basis, zu den Kommunen, zur Landbevölkerung. Und sie hoffen, dass auch Berlin dort Alternativen entdeckt.

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