Krach in der CDU in Sachsen-Anhalt - „Wie weit soll denn die Toleranz mit der AfD noch gehen?“

Weil der Vize-Chef der CDU-Fraktion in Sachsen-Anhalt laut über eine von der AfD tolerierte Minderheitsregierung nachgedacht hat, ist sein Parteikollege aus dem gemeinsamen Büro ausgezogen. Es ist derselbe Wahlkreis, der den Ex-Neonazi Robert Möritz protegiert hatte. Aber wem ist damit geholfen?

Bis hierhin und nicht weiter: In Sachsen-Anhalt protestieren Bürger gegen die AfD / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

So erreichen Sie Antje Hildebrandt:

Anzeige

Herr de Vries, Sie sind aus der Bürogemeinschaft mit Ihrem Parteikollegen Lars-Jörn Zimmer ausgezogen, nachdem der gesagt hat, er schließe eine von der AfD tolerierte Minderheitsregierung nicht aus. Ist das wirklich der Grund? 
Ja, wobei das der berühmte Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen brachte. Lars-Jörn Zimmer hat sich seit der letzten Landtagswahl immer weiter nach rechts bewegt. Ich glaube, er meint, blau rechts überholen zu müssen, um attraktiv zu sein. Das ist ein Grundfehler. 

Vor einem halben Jahr hat Zimmer seine Positionen zur AfD schon einmal in der Denkschrift festgehalten. Darin fordert er, die „CDU müsse das Nationale mit dem Sozialen“ versöhnen. Die  Bundespartei hat sich davon vehement distanziert. Warum haben Sie nicht schon damals die Möbelpacker gerufen? 
Schon damals habe ich ihm gesagt, dass das der falsche Weg sei. Das werden wir ja sehen, hat er gesagt. Auch sein Agieren mit dem anderen stellvertretenden CDU-Fraktionschef Ulrich Thomas und das unter Federführung des ehemaligen Finanzministers André Schröder verfasste Grundlagenpapier zur CDU Sachsen-Anhalt fand ich äußerst grenzwertig. Für mich war der Rechtsruck, der sich darin geäußert hat, viel zu massiv. Auch sein Verhalten auf dem kleinen CDU-Parteitag in Sachsen-Anhalt hat mir nicht gefallen. 

Was ist passiert?
Da hat er ein Schild hochgehalten, auf dem stand: „Merz!“ Darauf habe ich ihn auch angesprochen: „Muss das sein? Unsere Bundesvorsitzende heißt Kramp-Karrenbauer.“ Ich habe ihm also mehrmals Signale gegeben, dass ich diese Art des Umgangs mit der AfD und mit unserer Partei nicht mittragen kann. Und als er jetzt noch so offen mit der AfD kokettiert hat, da musste ich ein deutliches  Zeichen setzen. 

Warum?
Wir teilen uns in Bitterfeld ein Büro, er hat das rechte Fenster, ich das linke. Wir haben das gleiche CDU-Logo und das gleiche Layout. Seine Besucher und meine Besucher benutzen denselben Eingang. Ich will nicht, dass die Frage aufkommt: Ticken die auch gleich? Gedanklich leben wir schon lange in verschiedenen Welten. Ich habe gesagt: Jetzt will ich mich auch räumlich trennen, damit die Wähler wissen, dass ich einen anderen Kurs fahre. 

Kees de Vries / dpa

Hätte sonst die Gefahr bestanden, dass die Wähler Sie in seine Nähe gerückt hätten?
Weiß ich nicht. Ich wollte, dass diese Frage erst gar nicht aufkommt.  

Aber wem ist jetzt damit geholfen? 
In erster Linie den Menschen in meinem Wahlkreis Anhalt, die jetzt ganz klar einschätzen können, wie ich mich positioniere. Gleichzeitig möchte ich mich weiter im Spiegel angucken können. 

Muss man es in einer Demokratie nicht aushalten, dass es verschiedene Strömungen in einer Partei gibt und andere CDU-Mitglieder anders denken als man selbst?  
Ja. 

Aber deswegen braucht man doch nicht auszuziehen,
Ich hab das lange genug mitgetragen. Ich glaube, es war in Sachsen-Anhalt an der Zeit, dass da mal eine klare Linie gezogen wurde. Lars-Jörn Zimmer ist ja nicht irgendwer. Er ist der stellvertretende Chef der CDU-Fraktion in Sachsen-Anhalt. Wenn jemand so mit einer Zusammenarbeit mit der AfD kokettiert, geht das zu weit. Ich musste ein Zeichen setzen. Und das hat ja auch funktioniert. 

Woran machen Sie das fest?
Zahlreiche Rückmeldungen zeigen mir, dass meine Botschaft angekommen ist. 

Welche Reaktionen haben Sie denn bekommen?
Nur positive. Der Tenor der Posts in den sozialen Netzwerken, per Mail und anderswo war immer derselbe: „Glückwunsch! Haltung kann man nicht lernen. Haltung hat man.“

Gab es gar keine Kritik? 
Doch, aber nur in einer Email. Darin stand, dass ich, wenn ich in der DDR gelebt hätte, nicht so denken würde. Diesen Standpunkt akzeptiere ich. 

Hätte es keinen anderen Weg gegeben, Ihr Unbehagen über die Äußerungen von Herrn Zimmer zu artikulieren?
Nein, in Sachsen-Anhalt ist mehr passiert in der letzten Zeit. Irgendwann muss man die Bremse ziehen und sagen: „Bis hierhin – und nicht weiter!“ Wie weit soll denn die Toleranz mit der AfD noch gehen? Bis zu einer Zusammenarbeit? Hier gilt es, klare Kante zu zeigen. 

Ihre Kenia-Koalition ist alles andere als stabil. Und nächstes Jahr wird auch in Sachsen-Anhalt ein neuer Landtag gewählt. Liegt es da nicht nahe, darüber nachzudenken, welche anderen Koalitionen möglich wären? Bei der Landtagswahl 2016 wurde die AfD mit 24,3 Prozent immerhin zweitstärkste Fraktion, nach der CDU. 
Das stimmt. Aber soll ich jetzt Gespräche eingehen mit Menschen, die einen Björn Höcke tolerieren? Tut mir leid. Das geht mir einfach viel zu weit. 

Ist nicht genau diese Haltung die Ursache dafür, dass sich CDU mit ihren Unvereinbarkeitsbeschlüssen über Koalitionen mit Rechts und Links in Thüringen in eine Sackgasse manövriert hat?
Das sehe ich nicht so. 

Die AfD ist nur deshalb so stark geworden, weil sich Wähler von der CDU nicht mehr vertreten fühlen. Haben Sie sich schon mal gefragt, woran das eigentlich liegt? 
Diese Frage stellen wir uns ständig. Wie kommt es, dass sich so viele Menschen blenden lassen? 

Und, was glauben Sie, warum?
Ich habe auf diese Frage keine Antwort. Oder können Sie mir sagen, warum hunderttausende sozial schwächere Wähler eine Partei wählen, die die Sozialstandards abbauen will. Warum die vergessen haben, wer unser Land groß gemacht hat. Ich war noch nicht in Deutschland, als die Mauer gefallen ist. Ich lebe erst seit 1992 hier. Aber ich weiß noch, wie es damals aussah. Und ich sehe, wie es jetzt aussieht. Deshalb verstehe ich nicht, warum so viele Menschen so unzufrieden sind. 

Sachsen-Anhalts CDU gilt als rechts. Es gibt hier nicht nur weitverbreitete Sympathien für die AfD, sondern auch für ehemalige Neonazis wie Robert Möritz. Wird die Auseinandersetzung darüber, wie man mit der Partei und Rechtsextremisten umgehen sollte, offen ausgetragen? 
Ja. Der Fall Möritz ist in meinem Wahlkreis passiert, da hat mein Kreisvorstand einen Fehler gemacht. Es war nicht richtig, sich geschlossen hinter Herrn Möritz zu stellen. Ich war bei der Sitzung leider nicht dabei. 

Und deswegen wollten Sie jetzt nachträglich ein Zeichen setzen?
Nein, das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Es gab im Wahlkreis einige empörte Aufschreie darüber, dass sich der Vorstand hinter einen ehemaligen Neonazi gestellt hat. Aber die Mehrheit hat geschwiegen. 

Ist das nicht das Grundproblem in der Auseinandersetzung mit der AfD – die schweigende Mehrheit?
Ja, das ist das Hauptproblem. Aber es ist auch meine Hauptsicherheit. Ich bin fest davon überzeugt, dass die meisten Menschen meine Haltung in diesem Fall unterstützen. Ich erwarte nicht, dass sie jetzt kommen und sagen: „Es ist gut, dass du dem Zimmer einen Denkzettel verpasst hast." Aber es ist meine Aufgabe als Abgeordneter, eine rote Linie zu ziehen.  

Wo die Brandmauer zur AfD verläuft, hat gerade die Ministerpräsidentenwahl in Thüringen gezeigt. Nach einer Umfrage fanden 58 Prozent der Deutschen, dass der liberale Thomas Kemmerichs die Wahl mit den Stimmen der CDU, FDP und AfD nicht hätte annehmen dürfen.
Auch in Sachsen-Anhalt habe ich erlebt, dass führende Köpfe in der CDU jetzt eine rote Linie ziehen. Das zeigt mir, dass wir aus Thüringen gelernt haben. Und das freut mich. 

Heißt das, das „Erdbeben von Erfurt“ hat Sie erst ermutigt, die Möbelpacker zu rufen?
Nein, das hat damit nichts zu tun. 

Gerade im Osten hat die Forderung der Bundeskanzlerin, die Ministerpräsidentenwahl „rückgängig zu machen“, viele Wähler empört. Die AfD kann jetzt weiter ihren Opfermythos pflegen. Leisten sie dieser Empörung mit Ihrem Auszug aus dem gemeinsamen Wahlbüro mit Herrn Zimmer jetzt nicht noch Vorschub?
Nein, das glaube ich nicht. Dafür bin ich eine zu kleine Nummer. Worüber reden wir denn hier? Doch nur über einen Büroraum, aus dem ich ausgezogen bin. Lassen Sie uns die Sache also nicht größer machen, als sie ist. 

Die Fragen stellte Antje Hildebrandt. 

Anzeige