CDU-Parteivorsitz - Röttgen muss es machen

Er gilt als chancenlos beim Rennen um den Parteivorsitz. Trotzdem wäre die CDU gut beraten, wenn sie Norbert Röttgen zu ihrem neuen Chef küren würde – und nicht Armin Laschet oder Friedrich Merz. Denn Röttgen hat bewiesen, dass er Wahlen verlieren kann. Genau das macht ihn so attraktiv.

Norbert Röttgen vor dem Konrad-Adenauer-Haus in Berlin / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

So erreichen Sie Alexander Marguier:

Anzeige

Laut Umfragen stehen die Unionsparteien seit Wochen stabil zwischen 35 und 38 Prozent. Und damit um bis zu fünf Prozentpunkte über dem Ergebnis der zurückliegenden Bundestagswahl vom 24. September 2017 (32,9 Prozent). Das ist gewiss erfreulich für CDU und CSU, wenngleich diese guten Werte zu erheblichem Teil Folge der Corona-Krise sind. Dass die SPD als dritte Regierungspartei nicht ebenso von dieser Ausnahmesituation profitieren kann, ist ein anderes Thema.

Fakt ist: Die Union schwimmt auf einer Welle des Wohlwollens, was nicht zuletzt auch der allgemeinen Beliebtheit Angela Merkels geschuldet ist. Die Bundeskanzlerin erreicht Zustimmungswerte von 72 Prozent und hält damit den Spitzenplatz unter deutschen Politikern. Auch CSU-Chef Markus Söder liegt seit Corona ganz weit oben im Ranking.

Sonntagsfrage ist irrelevant

Das Problem: Merkel wird bei der nächsten Bundestagswahl nicht mehr kandidieren, und diese simple Tatsache findet bisher schlicht und ergreifend keinen Niederschlag in der berühmten Sonntagsfrage. Die lautet ja auch „Wen würden Sie wählen, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre?“ Und eben nicht: „Wem werden Sie im Herbst nächsten Jahres Ihre Stimme geben?“ 

Wie soll die Antwort darauf auch lauten, wo doch außer bei der SPD noch völlig unklar ist, wer die beiden anderen Volksparteien ins Rennen führen wird? Dass es bei den Grünen entweder auf Annalena Baerbock oder auf Robert Habeck als Kanzlerkandidaten hinausläuft, ist zwar so gut wie sicher – macht aber letztlich keinen großen Unterschied. Denn beide stehen politisch für den gleichen Kurs und bilden als Personen den linksbürgerlichen Wohlfühl-Mainstream ab.

Schall und Rauch

Von dieser komfortablen Situation ist hingegen die CDU so weit entfernt wie nie. Zwei Monate vor der Wahl zum neuen Parteivorsitzenden ist noch immer völlig unklar, welchem der drei zur Verfügung stehenden Männer die Mehrheit der Delegierten ihre Stimme geben wird. Die Christdemokraten sind, man kann es nicht anders sagen, der derzeit größte Unsicherheitsfaktor in der deutschen Politik.

Deswegen sind ihre guten Umfragewerte nichts als Schall und Rauch. Den Parteifunktionären ist das sehr wohl bewusst, weswegen die Nervosität von Tag zu Tag zunimmt. Anders lautende Beteuerungen nach dem Motto, man werde sich schon noch rechtzeitig vor der nächsten Bundestagswahl zurecht ruckeln, bilden eher ein Wunschdenken ab als die harte Realität. Und die ist wirklich hart.

CDU vor Richtungsentscheidung

Denn die CDU steht vor einer Richtungsentscheidung, die sie zu zerreißen droht. Die Partei ist ihrem Wesen und ihrer Geschichte nach immer eine politische Sammlungsbewegung gewesen und keine programmatische Organisation wie die SPD. Angela Merkel hat diese Eigenschaft in einer Art und Weise auf die Spitze getrieben, die viele traditionelle Unions-Wähler zumindest befremdet, wenn nicht vor den Kopf gestoßen oder sogar zur AfD getrieben hat.

Die meisten Funktionäre aber haben das Spiel mitgespielt, weil Merkels opportunistische Beliebigkeitspolitik (manche nennen es Sozialdemokratisierung oder Vergrünung) eben lange Zeit gut funktioniert hat und entsprechende Posten und Mandate versprach. Was man nach rechts verlor, konnte oft genug nach links kompensiert werden. Dass diese Rechnung irgendwann nicht mehr aufging, zeigte sich auch in Merkels alles andere als freiwilligem Verzicht auf den Parteivorsitz – und in den (bis vor Corona) immer schlechteren CDU-Ergebnissen.

Epochenwechsel für die Partei

Demnächst beginnt also für die Christdemokraten eine neue Epoche, nachdem der erste Versuch eines Schichtwechsels unter Annegret Kramp-Karrenbauer kläglich gescheitert ist. Und wie schon vor der Wahl der Saarländerin an die Spitze der CDU im Dezember 2018, ist die Partei weiterhin tief gespalten. Wobei weder Friedrich Merz noch Armin Laschet daran etwas werden ändern können, wenn sie demnächst Kramp-Karrenbauers Nachfolge antreten.

Für die einen ist Laschet trotz seiner Meriten als nordrhein-westfälischer Ministerpräsident eine Art Merkel 2.0, die Gegenseite sieht in Merz einen rachsüchtigen, kalten Neoliberalen, der das Merkel‘sche Erbe (worin auch immer es bestehen mag) zu verspielen droht. Man kann von solchen klischeehaften Zuschreibungen halten, was man will. Aber sie entsprechen eben der Wahrnehmung von Wählern mit oder ohne CDU-Mitgliedsausweis.

Laschet zieht nicht

Insbesondere ostdeutsche CDU-Bundestagsabgeordnete beteuern immer wieder, dass Armin Laschet in ihren Wahlkreisen überhaupt keine Begeisterung auslöst, im Gegenteil: Veranstaltungen mit dem NRW-Landesvater blieben praktisch ohne Besucher, wohingegen Friedrich Merz die Hallen füllen würde. Aber auch in westlichen Bundesländern, insbesondere in Baden-Württemberg, blickt man teilweise mit Entsetzen auf die mangelnde Strahlkraft des Aacheners. 

Friedrich Merz wiederum verfügt über das gesicherte Potential, genau jene Wähler abzustoßen, die Merkels postmoderne Lifestyle-Politik – von Migration bis Atomkraft – attraktiv genug fanden, um einmal alle vier Jahre ihr Kreuz bei der CDU zu machen. Was eine von Merz geführte CDU am links-grünen Rand verlieren würde, könnte sie unmöglich durch den Versuch wettmachen, einstige Unions-Wähler von der AfD zurückzugewinnen – zumal der Sauerländer nicht umhin käme, mit Blick auf mögliche Koalitionen vorsorglich auf Schmusekurs mit den Grünen zu gehen. Kurzum: Weder Laschet noch Merz verfügen auch nur annähernd über die notwendige Bindekraft, um den aktuellen Umfragen-Höhenflug ihrer Partei fortzusetzen.

Mit Merz zum Machtverlust

Das allergrößte Problem dabei: Sowohl Friedrich Merz wie auch Armin Laschet streben die Kanzlerschaft an. Für beide ist der CDU-Vorsitz lediglich eine Etappe auf dem Weg ins Kanzleramt – und keinem von beiden könnte oder wollte sich die CSU mit einem Veto in den Weg stellen. Wäre mit einem Kanzlerkandidaten Laschet für die Union bestenfalls noch ein Ergebnis im unteren 30-Prozent-Bereich bei der nächsten Bundestagswahl drin, droht mit einem Kanzlerkandidaten Merz sogar der Verlust des höchsten Regierungsamts. Das sind übrigens keine wilden Spekulationen, sondern auch aus Sicht des Konrad-Adenauer-Hauses ernsthafte Szenarien.

Und genau deswegen wären die Delegierten des CDU-Parteitags am 4. Dezember in Stuttgart gut beraten, jenen der drei Kandidaten zu wählen, der bisher als komplett chancenlos gilt. Nämlich Norbert Röttgen. Röttgen hat nicht nur erkennen lassen, dass er durchaus bereit wäre, auf eine Kanzlerkandidatur zu verzichten. Er hat auch eindrucksvoll bewiesen, dass er Wahlen verlieren kann (als CDU-Spitzenkandidat in NRW anno 2012). Und es ist ihm zuzutrauen, dass ihm das auch ein zweites Mal gelingt.

Mit anderen Worten: Ein CDU-Chef namens Norbert Röttgen wäre zwar kein Zugpferd für die nächste Bundestagswahl – dafür aber der ideale Interimsvorsitzende, bis in nicht allzu ferner Zukunft jüngere Nachwuchskräfte wie Jens Spahn oder Michael Kretschmer aus Sachsen den Kommandostand in der CDU übernehmen.

Röttgen als Druckmittel

Eines ist jedenfalls sicher: Die CSU würde Norbert Röttgen als gemeinsamen Kanzlerkandidaten der Union keinesfalls akzeptieren – da stehen auch für die Bayern zu viele Mandate im fernen Berlin auf dem Spiel. Eine Wahl Röttgens zum Parteichef wäre für die CDU also nicht nur die wohl eleganteste Möglichkeit, um sich eine erkennbar notwendige Verschnaufpause zu verschaffen. Es wäre auch das ultimative Druckmittel, um Markus Söder dazu zu bringen, die Kanzlerkandidatur zu übernehmen – ob er will oder nicht. Und ein besseres Ergebnis als Merz oder Laschet ist dem Machtpolitiker von der CSU allemal zuzutrauen. Sogar in der Zeit nach Corona.
 

Anzeige