CDU-Abgeordneter über Infektionsschutzgesetz - „Der Unmut über dieses Gesetz ist groß“

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Jens Koeppen wird gegen die geplante Änderung des Infektionsschutzgesetzes stimmen. Im Interview spricht er über die Stimmung in der Unionsfraktion – und verteidigt die Demonstrationen gegen das Gesetz.

Demonstration gegen das geplante Infektionsschutzgesetz der Bundesregierung in Berlin am 21. April / dpa
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Autoreninfo

Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Jens Koeppen, geboren 1962 in Zeitz, ist seit 2005 CDU-Abgeordneter im Bundestag für den Wahlkreis Uckermark II. Er ist innerhalb der Unionsfraktion Vorsitzender der Landesgruppe Brandenburg.

Herr Koeppen, Sie werden heute im Bundestag gegen die Änderung des Infektionsschutzgesetzes stimmen. Warum?

Mit dieser bundeseinheitlichen Regelung sollen den Ländern per Gesetz Zuständigkeiten entzogen werden. Das halte ich für falsch. Vor allem halte ich es angesichts der Entwicklung der Pandemie nicht für notwendig. Die Gesellschaft ist zu müde, um noch weitere Verschärfungen hinzunehmen. Vor allem ist die Wirksamkeit des Lockdowns nicht gegeben.

Der CDU-Abgeordnete Jens Koeppen

Sie sind ja Mitglied der Regierungsfraktion von CDU und CSU. Es gibt dort ja auch andere Kritiker dieser Gesetzesänderung. Warum ist es Ihnen nicht gelungen, dort Einfluss zu nehmen?

Wir haben in den vergangenen Tagen intensiv um Verbesserungen gerungen. Das geht mir aber nicht weit genug. Zum Beispiel gab es bei den Ausgangssperren Verbesserungen. Aber für mich gehören Ausgangssperren nicht in eine freie, liberale Gesellschaft. Sie widersprechen ja auch den Erkenntnissen: Immer mehr Experten sagen, dass die Gefahr einer Ansteckung innerhalb von Räumen weit größer ist als draußen. Wir müssten also das Gegenteil machen: Wir müssten die Leute rauslocken an die frische, gesunde Luft. Es gibt genügend Hygiene-Konzepte – das haben wir in Parks, im Theater oder in der Gastronomie bewiesen – die belegen, dass eine Ausgangssperre nicht das Mittel ist, das wir wählen sollten.

Auch die FDP fordert ja, die Ausgangssperren aus dem Gesetz zu streichen. Würden Sie dem Gesetz zustimmen, wenn das passiert?

Nein. Denn ich kritisiere ja auch, dass wir mit diesem Gesetz nur auf die Inzidenzwerte von 100 schauen. Diese Inzidenzwerte, das sagen immer mehr Experten, sind aber nicht der alleinige Indikator für die Krankheitslast in der Gesellschaft. Es ist ja klar: Wenn wir millionenfach testen, bekommen wir ganz andere Zahlen als im vergangenen Frühjahr. Und ein positiver Test ist auch nicht gleichzusetzen mit einer schweren Erkrankung. Wir brauchen also andere Indikatoren. Dass wir so sehr auf diesen Wert setzen, ist nicht verhältnismäßig bezüglich der massiven Grundrechtseinschränkungen.

Wir sind seit sechs Monaten im Lockdown, bekommen die Zahlen aber nicht in die politisch gewünschte Richtung. Das ganze Leben ist runtergefahren. Jetzt wollen wir darauf mit einem verschärften bundesweiten Lockdown antworten. Ich sage aber: Der Staat kann nicht vor allen Gefahren schützen. Wir müssen lockern, wir müssen zur Normalität zurückkehren, aber gleichzeitig an die Vernunft der Menschen appellieren. Aber zu einer nationalen Bettruhe aufzurufen, weil wir uns vor allen möglichen Gefahren schützen wollen, das wird nicht funktionieren.

Wie viele Mitglieder der Regierungsfraktionen werden heute gegen dieses Gesetz stimmen?

Ich habe in den vergangenen Tagen sehr viele Gespräche geführt. Der Unmut über dieses Gesetz ist groß. Aber es wird viele geben, die dem Gesetz zustimmen, aber dazu eine persönliche Erklärung abgeben werden.

Was bedeutet das?

Eine persönliche Erklärung bedeutet: Ich stimme zwar zu, weil ich möchte, dass das Gesetz auf den Weg gebracht wird, aber ich finde die eine oder andere Maßnahme nicht in Ordnung. Diese Möglichkeit gibt es nach Paragraph 31 der Geschäftsordnung. Mir persönlich genügt das aber nicht. Man muss mal ein Zeichen setzen. Diese Wegnahme der Länderkompetenzen und die Grundrechtseinschränkung, ohne die Wirksamkeit der Maßnahmen ausreichend geprüft zu haben – das reicht für mich nicht aus. Es ist auch verfassungsrechtlich bedenklich. Man weiß auch nicht, wie es mit dem Vollzug sein wird: Ist für den Vollzug eines Bundesgesetzes nun die Bundespolizei oder die Landespolizei zuständig, oder sind es die Ordnungsämter? Das ist alles nicht geklärt.

Die CDU/CSU-Fraktionsführung hat gestern Druck gemacht, um die Abgeordneten heute zur Zustimmung zum Gesetz zu bewegen. Wie viele werden sich dem Druck widersetzen?

Das kann ich nicht sagen. Ich appelliere nur an die Vernunft, ein Gesetz gut zu machen. Und das hier ist kein gutes Gesetz. Als Druck würde ich das im übrigen nicht bezeichnen: Die Fraktionsführung hat an uns appelliert, aber es gibt ja keinen Fraktionszwang. Wir Abgeordnete sind den Wählern in unseren Wahlkreisen verpflichtet. Wenn ich das meinen Wählern im Nordosten Deutschlands nicht mehr erklären kann, halte ich es für gegeben, dagegen zu stimmen. Auch den bisherigen Infektionsschutzgesetzen habe ich nicht zugestimmt.

Führt denn der Frust der Söder-Anhänger in der Unionsfraktion auch dazu, dass einige aus Groll heute gegen dieses Gesetz stimmen werden?

Das fände ich äußerst unklug. Das muss natürlich völlig voneinander getrennt werden. Ein fachlicher Fall wie ein Gesetz hat mit einer Personalentscheidung nichts zu tun. Das habe ich auch in meinen 15 Jahren im Bundestag noch nicht erlebt.

Wie beurteilen Sie denn die Demonstrationen vor dem Reichstag?

Wenn wir unsere Verfassung ernstnehmen, dann gibt es das Demonstrationsrecht. Und wenn die Auflagen eingehalten werden, dann ist es selbstverständlich, dass die Menschen ihren Unmut äußern können. Ich finde es auch richtig, dass die Menschen sich das hier in Berlin anschauen können – und es ist falsch, den gesamten Deutschen Bundestag und die umliegenden Gebäude abzuriegeln. Ich warne davor, dass jeder, der hier demonstriert, in eine politisch ungewollte Ecke gestellt wird. Damit tun wir uns keinen Gefallen. Das sind keine Verschwörungstheoretiker, sondern sehr oft Menschen, die Sorge haben: Was wird mit meinem Lebenswerk, mit meiner Gaststätte, was ist mit Kunst und Kultur? Ich nehme das sehr ernst. Ich habe 28 Jahre in einem System gelebt, in dem man seine Meinung nicht äußern durfte. Und deshalb bin ich dafür, dass jeder unter Einhaltung der entsprechenden Regeln seine Meinung äußern soll.

Die Fragen stellte Moritz Gathmann

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