CDU nach der Kauder-Abwahl - „Ich halte einen Betriebsunfall nicht für ausgeschlossen“

Die Abwahl von Volker Kauder hat sogar Insider überrascht. Ralph Brinkhaus soll jetzt die Alleingänge der Kanzlerin stoppen, sagt der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter im Interview. Doch auch er werde den Bruch der Großen Koalition nicht verhindern können

„Wenn man es kritisch ausdrücken will, kann man sagen, die Kanzlerin ist ganz hübsch autoritär“ / picture alliance
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Heinrich Oberreuter ist Politikwissenschaftler und langjähriges CSU-Mitglied. Er lehrte 30 Jahre an der Universität Passau und leitete die Akademie für Politische Bildung in Tutzing. Er ist Direktor des Instituts für Journalistenausbildung der Passauer Neue Presse  e.V. 

Herr Oberreuter, die CDU/CSU-Fraktion hat ihren Chef Volker Kauder nach 13 Jahren abgewählt. Sein Nachfolger heißt Ralph Brinkhaus. Hat Sie das Ergebnis überrascht?
Ja, natürlich. Im Vorfeld wurde zwar ein mageres Ergebnis für Volker Kauder erwartet. Das Risiko des Scheiterns hat aber niemand ins Auge gefasst. Umso interessanter ist es jetzt, zu überlegen, wie das passieren konnte – und das ausgerechnet vor den Landtagswahlen in Hessen und Bayern. 

Was ist Ihre Interpretation?
Der rigide Führungspakt zwischen Kanzlerin Merkel und Volker Kauder wird schon lange kritisiert. Der Fraktionsvorsitzende hat eigentlich eine Mittlerfunktion, das heißt, er muss einerseits die Beteiligung der Fraktionsmitglieder an der politischen Führungslinie der Kanzlerin zum Ausdruck bringen und andererseits die Regierungsführung der Kanzlerin sichern. Diese Ambivalenz war nicht mehr sichtbar und fühlbar. Der Fraktionsvorsitzende hat sein Amt im Wesentlichen so geführt, dass er der Kanzlerin den Rücken freigehalten hat. Die parlamentarische Mitbestimmung wurde dadurch reduziert. 

So gesehen war dieser Aufstand dann am Ende doch keine Überraschung?
Nein, man hat ihn herbeigewünscht. Aber der Zeitpunkt ist überraschend. 

Die Bundeskanzlerin spricht von einer „kleinen Palastrevolution“ gegen sie. Ist das nicht tiefgestapelt?
Was soll die Kanzlerin anderes sagen? Sie kann das Wort „kleine“ weglassen. Es ist eine Revolution gegen die Marginalisierung der politischen Mitbestimmungssehnsüchte der Fraktion. Der Frust darüber ist nicht neu. Den kennen wir, seit die Kanzlerin 2010 den Euro-Rettungsschirm über Griechenland aufgespannt hat. Damals gab es mehrere Dutzend offener Protestbriefe von Abgeordneten. Die Abwahl von Volker Kauder drückt nicht nur Unbehagen aus. Sie ist auch ein Warnsignal. Methodisch entzieht sie den beiden Führungsfiguren das Vertrauen in die Art und Weise des Umgangs mit der parlamentarischen Basis. 

Entzieht man der Kanzlerin damit nicht auch das politische Vertrauen insgesamt?
Nein, aber die Aussage ist sehr deutlich: Vertrauen stützt sich auf Kommunikation. Und diese Kommunikation ist defizitär. Es ist auch ein Einstellungsproblem. Merkel hat gesagt, sie will, dass die Fraktion auch künftig Erfolg hat. Der Politikwissenschaftler muss über eine solche Formulierung schmunzeln. 

Warum?
Die Fraktion ist doch die Basis für ihr Regierungsamt. Die Basis schließt mit ihr einen Pakt für die Amtszeit. Wenn die Fraktion keinen Erfolg hat, hat die Kanzlerin auch keinen. Ihre Idee, sie könne ohne die Fraktion Erfolg haben, kann man –  positiv betrachtet – als Ausdruck eines präsidialen Amtsverständnisses betrachten. Wenn man es kritisch ausdrücken will, kann man sagen, sie ist ganz hübsch autoritär. 

Es liegt ja eigentlich in der Natur der Wahl, dass mindestens zwei Bewerber zur Auswahl stehen. Was sagt es über den Zustand der CDU/CSU-Fraktion aus, dass es jahrelang gar keinen Mitbewerber für dieses Amt gab?
Auch in den besten Demokratien gibt es an den entscheidenden Schnittstellen des Machtgefüges durchaus gute Gründe dafür, die pluralen Kräfte einer politischen Gruppierung zusammenzuführen und auch personell einen Kompromiss zu finden. In jeder Parlamentsfraktion gibt es unterschiedliche Positionen. Der Fraktionschef muss diese Positionen zusammenhalten. Insofern ist es nicht ganz verkehrt, im Vorfeld zu klären, wer für fähig gehalten wird, solche Kompromisse zu finden – und einen Kandidaten zu finden, der von allen als Repräsentant einer konsensuellen Lösung akzeptiert wird. Das hängt immer von der jeweiligen Situation ab. Das letzte Mal, dass die CDU/CSU mehrere Kandidaten zur Auswahl hatte, war 1973. Damals hatte sich Karl Carstens gegen zwei Mitbewerber durchgesetzt, weil er die neutralste Lösung war – ein Beamten-Typ, keiner, der sich politisch positionierte.  

Wer hat denn Herrn Brinkhaus unterstützt? Nach außen sah es ja aus, als wäre der wie Kai aus der Kiste gehüpft. Oder hatten Sie seinen Namen vorher schon mal gehört?
Nein, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Herr Brinkhaus eines Morgens in den Spiegel geschaut und gesagt hat: „Ich mach das jetzt.“ Er hat sich mit Sicherheit mit dem einen oder anderen Fraktionskollegen beraten und insbesondere auch mit seiner Landesgruppe in Nordrhein-Westfalen. Er hat nicht unbedingt offene Unterstützung durch die bekannten Kanzlerinnen-Kritiker gesucht. Aber dass es eine einsame Entscheidung war, daran sollte jemand nicht glauben, der nur ein Viertel politischen Verstand besitzt. Das wiederum ist ein Indiz dafür, dass es in der Fraktion schon lange gegrummelt hat.  

Mit seiner Wahl hat Herr Brinkhaus die Macht der Kanzlerin beschädigt. Trotzdem hat er versichert, es passe kein Blatt zwischen die Fraktion und die Kanzlerin. Wer soll ihm das nach dem ganzen Theater noch glauben? 
Natürlich muss es zwischen der Regierungschefin und dem Fraktionschef ein hervorragendes Arbeitsverhältnis geben. Das muss aber nicht konfliktfrei sein. Man muss sich dazu nur mal anschauen, wie Konrad Adenauer und Heinrich von Brentano in der Gründungszeit der Republik regiert haben, als sich die Fraktion zum Teil auch gegen den Regierungschef gestellt hat. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass in einer Bundestagsfraktion nicht Softeis geschleckt wird, sondern dass da verschiedene Interessen aufeinander knallen. Sie müssen aber in konsensuelle Lösungen eingewoben werden. Auch wenn funktional kein Blatt zwischen beide passt, heißt das nicht, dass es nicht unterschiedliche Positionen gibt. 

Ist die Abwahl Kauders auch eine Klatsche für Horst Seehofer?
Ja, die Niederlage trifft die Kanzlerin und den Bundesinnenminister gleichermaßen. Schließlich hat er ja den alten Fraktionsvorsitzenden mit nominiert. Horst Seehofer hat sich ja auch im bayerischen Landtag dadurch „ausgezeichnet“, dass er auf die Mitbestimmung der Fraktion keinen besonderen Wert gelegt hat. Mit der Co-Nominierung Kauders hat er gezeigt: Wir brauchen jemanden, der uns den Rücken freihält – und nicht einen, der uns gelegentlich zur Auseinandersetzung zwingt. 

Von CSU-Fraktionsmitgliedern hört man, die Abwahl Kauders sei so etwas wie ein „Betriebsunfall“ gewesen. Eigentlich hätten viele mit ihrer Stimme für Brinkhaus Merkel und Kauder nur einen Denkzettel verpassen wollen. 
Das halte ich nicht für ausgeschlossen. Die Prognose war ja: Kauder wird mit 60 Prozent der Stimmen wiedergewählt. Insofern haben sich viele wohl verführen lassen, gegen Kauder zu stimmen – in dem sicheren Gefühl, es reiche ja doch für ihn. Vielleicht waren das ein paar Dutzend zu viel. Die sollen sich jetzt an die eigene Nase fassen. Man muss so eine Wahl doch ernst nehmen. 

Ist das jetzt endgültig – der oft schon oft beschworene – Anfang vom Ende der Ära Merkel?
Das Ende der Ära Merkel können wir mit dem Ende der Koalition festmachen. Die Frage ist, wie lange diese Koalition noch hält. 

Ihre Prognose?
Sie hält diese Legislaturperiode nicht durch. In der SPD spitzt sich der Konflikt zu. Viele drängen jetzt schon auf den Bruch der Koalition. Das wird auch die Konfliktbereiten in der CDU/CSU-Fraktion ermutigen, sich aus der Deckung zu trauen – und damit das Ende der Ära Merkel beschleunigen.

Ist es nach den Krisen der vergangenen Wochen nicht erstaunlich, dass die Kanzlerin überhaupt noch im Amt ist?
Na ja, sie hat ja schon einige Notmaßnahmen ergreifen müssen. Sie hat die praktische Führung der Partei in die Hände ihrer neuen Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer gelegt. Sie hat ihren politischen Gegner Jens Spahn als Gesundheitsminister ins Kabinett eingebunden. Die Wahl von Ralph Brinkhaus ist also nicht das erste Signal für einen Autoritätsverlust der Kanzlerin. Es ist aber ein ganz nachhaltiges. 

FDP-Chef Christian Lindner hat gefordert, Merkel müsse jetzt die Vertrauensfrage stellen, um den Weg für Neuwahlen freizumachen. Ist das realistisch? 
Ich halte diese Forderung für ziemlich naiv. Dann könnte die Kanzlerin ja gleich zurücktreten. 

Was glauben Sie: Wie würde das Ergebnis der Vertrauensfrage denn momentan ausfallen?
Sogar die SPD und die CSU würden der Kanzlerin das Vertrauen aussprechen, weil ihnen eine Neuwahl gerade ungelegen käme. Das geht an der Systempraxis vorbei. 

Klebt die Kanzlerin an ihrem Sessel? 
Vielleicht ist das ein Problem des Amtsverständnisses. Wenn jemand darüber nachdenkt, ob er diesen Job trotz verheerender Wahlergebnisse nochmal macht, kann man nicht davon reden, dass er am Sessel klebt. 

Warum nicht?
Es war eine bewusste Entscheidung. Es zeigt ja, dass derjenige bereit ist, Führung und Verantwortung zu übernehmen. 

Aber mit genau dieser Art der Führung hat die Kanzlerin der AfD den Weg bereitet, einer Partei, die nicht müde wird, Zweifel an ihrer Verfassungstreue zu nähren. Ist das verantwortungsvoll? 
Nein, diese Art der Regierungsführung kann man nicht gerade als verantwortungsvoll bezeichnen. Auf der anderen Seite hat die Kanzlerin aber auch eine Verantwortung in der Welt- und Europa-Politik. 

Die Kanzlerin ist also davon überzeugt, dass sie das Richtige tut?
Davon sollten Politiker immer überzeugt sein. Doch ein derart einsames Verantwortungsgefühl wächst umso mehr, je mehr sie nur noch wie Merkel auf ihr so genanntes Girls Camp hören und die Verbindung zum normalen Leben verlieren. So verliert man auch das Gespür für Warnsignale. 

Für diesen Realitätsverlust spricht, dass die Kanzlerin allen Ernstes geglaubt hat, die Causa Maaßen damit befrieden zu können, indem sie den ehemaligen Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz zum Staatssekretär im Bundesinnenministerium befördert. 
Ihr Eingeständnis, dass sie das falsch eingeschätzt hat, verrät ihre Distanz zum Alltagsleben – und zum politischen Leben auf den Stufen unter ihr. 

Und ein neuer Fraktionschef kann sie jetzt erden? 
Sie muss sich erden lassen, wenn sie noch eine vergnügliche Restamtszeit haben will. Die Mehrheit des Parlaments hat diese Regierungschefin gewählt. Sie ist nicht nur dem Volk, sie ist auch dieser Mehrheit verantwortlich. Diese Mehrheit muss eine Chance haben, eingebunden zu werden. 

Wieviel Zeit geben Sie der Regierung denn noch?
Schwer zu sagen. Wenn Sie die Maaßen-Krise nicht bewältigt hätte, hätte ich gesagt: ein paar Tage noch. Jetzt schließe ich nicht aus, dass sich die Existenzfrage in ein paar Monaten wieder stellt. 

Spätestens zum nächsten Wahlparteitag der CDU im Dezember?
Zum Beispiel. Obendrein gibt es so etwas wie eine Sollbruchstelle: Nach zwei Jahren will die Koalition eine Bilanz ihrer Erfolge und Misserfolge ziehen. Und spätestens dann wird der SPD nichts anderes übrig bleiben, als es krachen zu lassen. 

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