Bürgerschaftswahl in der Hansestadt - Hamburg bleibt rot

Peter Tschentscher bleibt wohl Erster Bürgermeister von Hamburg - die Wähler haben der SPD zusammen mit den Grünen eine deutliche Mehrheit verschafft. Die CDU fällt laut den ersten Prognosen ins Bodenlose, die FDP muss um ihren Verbleib in der Bürgerschaft bangen. 

Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher wird mit satter rot-grüner Mehrheit weiterregieren können / dpa
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Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Die erste und einzige Landtagswahl des Jahres 2020 bringt die lang und bang ersehnte gute Nachricht für die Sozialdemokraten: Trotz eines Minus von 7 Prozent gegenüber 2015 wird die SPD mit etwa 38 Prozent der Stimmen klar stärkste Partei in der Hamburger Bürgerschaft. Der amtierende Erste Bürgermeister der Hansestadt Peter Tschentscher wird wohl weiterregieren, gemeinsam mit den Grünen, die mit rund 25 Prozent ihr Ergebnis von 2015 verdoppeln konnten.

Das reicht für eine satte Mehrheit im Hamburger Parlament. Das Ergebnis zeigt: Die SPD kann noch Wahlen gewinnen, und zwar insbesondere dort, wo die Partei jegliche Wahlkampfunterstützung durch die neuen Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans dankend ablehnt. Im parteiinternen Richtungsstreit zwischen den beiden Vorsitzenden und Vizekanzler Olaf Scholz gibt das Hamburger Ergebnis dem letzteren Rückenwind: Bis zum Wechsel nach Berlin im März 2018 war Scholz Erster Bürgermeister in Hamburg, sein Nachfolger Peter Tschentscher hat die Wahl mit der Fortsetzung von Scholz’ pragmatisch-mittigen Kurs gewonnen

Katastrophe für die CDU

Die Grünen, die mit ihrer Spitzenkandidatin Katharina Fegebank, im derzeitigen Senat Wissenschaftssenatorin, gerne die SPD als stärkste Kraft verdrängt hätten, mögen sich über das gute Ergebnis freuen. Der heutige Abend zeigt aber auch: Selbst in einer weltoffenen und vom grünen Zeitgeist begeisterten Stadt wie Hamburg stoßen die Grünen bei 25 Prozent an die Decke des Möglichen. Die Unterschiede in den Wahlprogrammen von Grünen und SPD waren minimal, aber bei der Frage, von wem sie regiert werden wollen, entschied sich die Mehrheit der Hamburger eben doch für das bewährte Rot. 

Für die CDU ist der Ausgang der Wahl eine Katastrophe. Zwar hatte angesichts der Popularität des rot-grünen Senats niemand ernsthaft mit einem Regierungswechsel gerechnet. Aber dass die Volkspartei CDU knapp an einem einstelligen Ergebnis vorbeischrammt, ist mehr als ein Denkzettel. Nur zur Erinnerung: Vor 16 Jahren holte die CDU mit Ole von Beust in der Hansestadt mit 47,2 Prozent die absolute Mehrheit. Von 2001 bis 2011 regierte die CDU in Hamburg. 

Thüringen als Todesstoß

Das unterirdische Abschneiden der Volkspartei CDU hat seine Wurzeln einerseits in der Auswahl des Spitzenkandidaten: Marcus Weinberg, seit 15 Jahren Bundestagsabgeordneter, war nur ein Notnagel, weil zwei andere Kandidaten krankheitsbedingt abgesagt hatten. In Hamburg war er nur wenig bekannt, als Vertreter des liberalen CDU-Flügels fehlte ihm zugleich ein klares Profil, mit dem er sich von Rot-Grün abgrenzen konnte. Die Umfragewerte lagen deshalb schon in den letzten Monaten selten über 15 Prozent. Der desolate Zustand der Bundes-CDU nach dem Thüringen-Desaster und Annegret Kramp-Karrenbauers Rücktritt als Parteivorsitzende gaben der CDU in Hamburg nun den Todesstoß.

Das gleiche gilt für die FDP: Die Partei, die 2015 noch stolze 7,4 Prozent bekam,  wird vom Wähler abgestraft und könnte wie schon 2004 und 2008 den Einzug in die Bürgerschaft verpassen - auch das eine Folge der Thüringer Ereignisse, wo sich ihr dortiger Landeschef Thomas Kemmerich mithilfe von AfD-Stimmen zum Ministerpräsident wählen ließ. 

Linke überraschen

Einen Rückschlag könnte die Hamburger Wahl auch für die AfD bringen: Die Partei war zuletzt in allen 16 Landesparlamenten der Bundesrepublik vertreten. Von 6,1 Prozent bei der Wahl 2015 könnte sie dieses Mal unter die 5-Prozent-Hürde rutschen. Vor einem Jahr lag die AfD in Umfragen noch bei etwa zehn Prozent. Im traditionell weltoffenen Hamburg hilft der AfD auch das Bemühen wenig, sich von Björn Höcke und seinem Flügel zu distanzieren. 

Überraschend gut ist dagegen das Abschneiden der Linken: Sie können mit 9,5 Prozent ihr Ergebnis von 2015 sogar verbessern und ziehen zum vierten Mal in die Hamburger Bürgerschaft ein - und das, obwohl sie mit dem 18-jährigen Tom Radtke einen wahrhaftigen politischen Borderliner auf Platz 20 ihrer Liste haben. Der Polit-Novize postet auf Twitter seit Wochen krudes Zeug. Zur Krönung veröffentlichte er am Samstag ein Bild, das ihn gemeinsam mit Aktivisten der völkischen Identitären Bewegung in der Gedenkstätte für den von den Nazis im KZ ermordeten Kommunistenführer Ernst Thälmann. 

Die deutliche Distanzierung der Hamburger Linken von Radtke und die Ankündigung, dass er selbst bei einer Wahl nicht der Fraktion angehören werde, scheinen gewirkt zu haben: Wer in Hamburg Protest gegen Rot-Grün ausdrücken wollte, machte heute sein Kreuz bei den Linken.

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