Bundeswehr in der Krise - „Dann sollten wir die Truppe lieber abschaffen“

Der frühere General und heutige Sicherheitsberater Erich Vad erläutert, warum die Bundeswehr einen Zustand erreicht hat, der stets ein Traum der westdeutschen Linken war. Und das, obwohl das Verteidigungsministerium seit zwölf Jahren in der Hand der Union ist

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen auf Truppenbesuch in Jordanien / picture alliance
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Herr Vad, es fehlen Panzer, weil sie nicht richtig funktionieren. Es fehlen Kampfflugzeuge, weil die Ersatzteile fehlen und sie falsch betankt wurden. Selbst ausreichende Schutzwesten und lange Unterhosen sind Mangelware. Das alles steht im Bericht des Wehrbeauftragten des Bundestages, Hans Peter Bartels. Aber im Grunde hören wir seit Jahren das Gleiche. Warum wird es nicht besser bei der Bundeswehr? 
Alle Reformen der Bundeswehr seit der Wiedervereinigung hatten nicht zum Ziel, die Bundeswehr besser zu machen, sondern waren immer darauf ausgelegt, die Armee zu verkleinern und billiger zu machen. Hinzu kommt, dass es stets eine Konzentration auf die Auslandseinsätze gibt. Die müssen laufen, denn die sind medial sichtbar. Dafür ermöglicht man alles, und dann schlägt sich der Material- und Finanzmangel an der Basis nieder. Sie müssen sich das so vorstellen: Wenn es einen Auslandseinsatz gibt, wird das Material aus Hunderten von Standorten zusammengeklaubt und auch das entsprechende Personal. Bei einem Nato-Einsatz vor drei Jahren war es schon so, dass man für ein verstärktes Bataillon von 700 Mann mehr als 10.000 Ausrüstungsgegenstände aus verschiedenen Standorten zusammengesucht hat.

Und die Standorte leiden dann darunter? 
Ja, ein Großteil der deutschen Kasernen ist gar nicht mehr bewohnbar. 

Gleichzeitig gibt es das Ziel einer schnellen Eingreiftruppe der Nato, die ab kommendem Jahr einsatzbereit sein soll. Ist es nicht utopisch, dass die Bundeswehr in diesem derzeitigen Zustand da mitmachen kann?
Das wird man schon noch hinkriegen. Aber es stehen ja auch andere Aufgaben an. Die Ausweitung des Irak-Einsatzes zum Beispiel, eventuell eine Blauhelm-Mission in der Ukraine. Diese Aufträge werden von der Politik immer sehr schnell herbeigeredet. Aber die müssen eben auch finanziell unterfüttert sein.

Erich Vad

Wird sich die schlechte Ausstattung an der Basis dann auch auf die Einsätze im Ausland auswirken?
Ja. Da sehen Sie das ganze Ausmaß der Misere, wenn die Bundeswehr den Einsatz von 4.000 Mann im Ausland nicht mehr schultern kann. Und wenn die Marine kein einziges U-Boot mehr fährt. Da stimmt irgendetwas nicht. 

Und das ist die Schuld von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen? 
Der Wehrbeauftragte wirft Frau von der Leyen vor, sie sei eine Ankündigungsministerin, dass zum Beispiel ihre Trendwenden erst im Jahr 2030 wirksam sein werden. In der Sache hat er nicht Unrecht, aber Herr Bartels ist in der SPD und da schwingt sicherlich parteipolitisches Kalkül mit. Der Zustand der Bundeswehr war vor zehn Jahren nicht sehr viel besser.

Der frühere Generalinspekteur Harald Kujat wirft aber von der Leyen vor, dass die Moral der Truppe so schlecht sei wie nie zuvor in der Geschichte der Bundeswehr und dafür sei sie als Verteidigungsministerin verantwortlich. 
Ich weiß nicht, ob die Moral wirklich so schlecht ist. Gemessen an ihren Vorgängern hat Frau von der Leyen schon einen guten Job gemacht. Die Vorgänger habe ich ja live erlebt. Natürlich hat auch von der Leyen Fehler gemacht, zum Beispiel bei der G36-Affäre und in der überzogenen Reaktion auf die Geschichte mit den Wehrmachts-Devotionalien.

Ihr wird vorgehalten, dass sie nicht sehr beliebt in der Truppe sei, und dass sie das Ministerium als Vehikel für eigene Ambitionen nutzt.
Das können Sie einer Politikerin nicht ernsthaft vorwerfen. 

Aber bei Karl-Theodor zu Guttenberg zum Beispiel war es doch so, dass sich die Soldaten endlich verstanden fühlten, auch weil er sich nicht scheute, den Einsatz in Afghanistan als Krieg zu bezeichnen.
Ja, inszenieren konnte sich zu Guttenberg sicherlich gut, aber substanziell etwas verändert hat auch er nicht. Er hat die Abschaffung der Wehrpflicht eingeleitet, aber die Wehrpflicht war schon vorher politisch tot. Von der Leyen hat da schon mehr in Bewegung gesetzt. Doch das Problem ist wie gesagt, dass die Reformen finanziell nicht unterfüttert sind. Dadurch gerät alles in eine Schieflage. Da sehe ich die Verantwortung schon bei der Gesamtpolitik, also bei den Spitzen der Regierungsparteien. Und ich ärgere mich, dass das seit Jahren so geht und nicht auch mal jemand aus der Spitzengeneralität gesagt hat: „Das trage ich nicht mehr mit“. 

Ist das wirklich nur die Verantwortung der Politik? Muss man da nicht auch ein schlechtes Management innerhalb der Bundeswehr konstatieren?
Der Fisch stinkt nun einmal immer am Kopf zuerst. Und weil wir eine Parlamentsarmee haben, sind dort eben die Politiker. Da muss der Verteidigungsausschuss sich kümmern und auch politischen Druck erzeugen. Das heißt aber, dass die dortigen Politiker nicht nur auf den nächsten Karrieresprung warten, sondern sich wirklich für die Verteidigung einsetzen. Sicherlich kommen dann noch interne Probleme der Bundeswehr dazu. Diese Abnickungshaltung der Generäle und die Planwirtschaft in den Streitkräften. Aber das fängt ganz oben an. Die Soldaten im Einsatz sind dann die, die unter dieser permanenten Misere hautnah leiden.   

Warum kümmert sich die Politik nicht richtig?
Mit Verteidigungspolitik lässt sich nur schwer Karriere machen. Da gibt es viele Probleme und man kann sich kaum positiv in Szene setzen. Seit der Abschaffung der Wehrpflicht ist die Bundeswehr in vielen Wahlkreisen auch gar nicht mehr richtig vorhanden, da fehlt den Politikern der Kontakt. Und auch das militärisch-strategische Denken ist nicht sehr weit verbreitet. Aber das Problem ist grundsätzlicher. 

Nämlich?
Die Bundeswehr ist eine Art Stiefkind der Gesellschaft. Der Gedanke der Wehrbereitschaft ist in unserem Land total unterentwickelt. Wir predigen immer Frieden und Ausgleich und Mediation, da sind wir Deutschen unheimlich stark. Das Militär hingegen wird eher als notwendiges Übel gesehen. Was ist denn das große Narrativ der Bundeswehr, wofür sind die Streitkräfte da? Darauf finden die Soldaten selbst im Weißbuch der Bundeswehr keine Antwort. Das Problem ist weitaus größer als fehlende Schutzwesten.  

Aber ist das nicht eine Aufgabe, die der Verteidigungsministerin zufällt? Und hat sie da dann nicht versagt?
Das ist schon richtig. Da gibt es ein Defizit im Verständnis für die Soldaten. Hätte Ursula von der Leyen das, wäre sie auch sensibler im Umgang mit dem sogenannten Haltungsproblem gewesen. Das ist schon merkwürdig, dass eine Ministerin der CDU bei dem Abbau von Traditionen einen regelrechten Kahlschlag betreibt. 

Was wäre denn eine Lösung für die permanente Misere? Mehr Geld gibt es ja immerhin seit 2017.
Aber das ist viel zu wenig. Die zwei Milliarden reichen hinten und vorne nicht. Zumal eine Milliarde davon in die Entwicklungsarbeit abfließen soll. Die Insider wissen das. Damit kann man den Prozess der Erodierung nicht aufhalten. Das Zwei-Prozent-Ziel sollte da ernst genommen und umgesetzt werden. Damit werden wir nicht gleich zu einer der mächtigsten Militärmächte der Welt. Das wäre aber nötig, um eine Grundsanierung der Bundeswehr zu starten.  

Ist denn Geld das Allheilmittel? Wirklich günstig ist die Bundeswehr ja schon heute nicht. Und es gibt immer wieder Berichte über massive Verschwendung von Mitteln. 
Nein, mit der miserablen Ausstattung einher geht die fehlende Akzeptanz der Bundeswehr in der Gesellschaft. Wir haben hier ein herrliches Land, für viele Menschen ist es ein Traum, hierherzukommen. Aber wer ist bereit, das Land zu schützen und zur Not auch mit der Waffe zu verteidigen? Aber das ist nicht die Debatte, lieber lacht man sich tot über fehlende Unterhosen. Die Streitkräfte sind an einem Zustand angelangt, der immer das Ziel der westdeutschen Linken war: die Bundeswehr ist strukturell nicht angriffsfähig. Und das wurde erreicht nach zwölf Jahren, in denen das Verteidigungsminsterium in der Hand der Union war. Als CDU-Mitglied ärgert mich das persönlich. Da muss man sich schon fragen, ob man die Bundeswehr nicht lieber zu machen sollte.

Ehrlich?
Streitkräfte sind das Geld nicht wert, wenn sie nicht einsatzbereit sind. Und bevor wir eine nicht gewollte, öffentlich regelmäßig verhöhnte und nicht einsatzbereite Truppe mit 37 Milliarden Euro am Leben halten, sollten wir sie lieber abschaffen. Da bin ich knallhart. 

Zur Person: Erich Vad war General der Bundeswehr, langjähriger Militärischer Berater der Bundeskanzlerin und ist jetzt Lehrbeauftragter an der Universität München

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