Bundeswehr als Söldnerarmee - Jetzt bekommen wir die Quittung

Die Deutschen konnten sich der Bundeswehr lange guten Gewissens entziehen. Das könnte sich nun rächen. Denn die Truppe könnte laut Plänen der Regierung zur Söldnerarmee werden und damit zu einem Fremdkörper im Staat

Wenn keiner mehr zur Armee will: Was dann? / picture alliance
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Autoreninfo

Michael Wolffsohn ist Historiker, Hochschullehrer des Jahres 2017 und Autor der Bücher „Wem gehört das Heilige Land?“, „Israel“, „Zum Weltfrieden“ und „Deutschjüdische Glückskinder, Eine Weltgeschichte meiner Familie“. 

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Ist die Bundeswehr auf dem Weg zur Söldnerarmee? Wird sie dann aus Einheimischen und Fremden, zunächst EU-Bürgern, bestehen? Im Bundesverteidigungsministerium wird dies offenbar erwogen. Langfristig mutierte dann die Bundeswehr wahrscheinlich zu einer Mischarmee aus Einheimischen und Söldnern. Das legt die allgemeine Militärgeschichte nahe. Es handelt sich keineswegs um ein deutsches Phänomen. In den meisten demokratischen Staaten (Ausnahme Israel) wurde die Allgemeine Wehrpflicht abgeschafft. Bei uns 2011 „ausgesetzt“, in Großbritannien 1961 abgeschafft. 1973 in den USA, in Frankreich und Spanien 2001.

Die Militärgeschichte der Menschheit beweist: Menschen (meist Männer) sind nur dann fürs Militär zu gewinnen, wenn sie mit mindestens einer von drei Belohnungen rechnen können: Macht, Geld oder Ansehen.

Der Grund ist leicht einsehbar. Anders als viele andere Berufe und Tätigkeiten ist der Dienst in jedem Militär prinzipiell (lebens)gefährlich. Wer diese Gefahr auf sich nimmt, will – und muss – großzügig be- und entlohnt werden. Deshalb waren militärische, politische und wirtschaftliche Macht seit jeher ineinander verflochten. „Dux“ (lateinisch für Führer) war zunächst der Heerführer. Ähnlich im Deutschen: Herzog war derjenige, der das Heer zog, beziehungsweise führte. Einer der Herzöge wurde schließlich König, also die politische Nummer eins. Soweit der qualitative“ Aspekt.

Kämpfer aus dem Ausland gab es schon früher

Zum quantitativen: Heerführer oder auch nur Offizier zu sein, lohnte sich materiell ebenfalls. Anders sah es für die Heerscharen, die Mannschaftssoldaten, aus. Wer aus wirtschaftlichen oder anderen Gründen musste, wurde Soldat. (Das gilt noch heute für ökonomisch strukturschwache Regionen. Nicht nur in Deutschland.) Manche wurden durch Menschenraub oder Versklavung zu den Waffen gezwungen. Derart mussten sie auch für Fremdstaaten kämpfen. Weil und wenn der Zwangsapparat den Bedarf an Soldaten nicht decken konnte, gingen die Kriegsherren seit Menschengedenken dazu über, den Kämpfern einen „Markt“lohn, „Sold“, anzubieten. Das machte sie zu „Soldaten“. In der Armee Friedrichs des Großen beispielweise stammte die Hälfte der Kämpfer aus dem Ausland.

Dann kam die Französische Revolution und mit ihr die Ära der Revolutionskriege. 1793 standen Revolutionäre vor dem Untergang. Lazare Carnot hatte den rettenden Einfall: „Die levée en masse“, die Massenerhebung, sprich: die Aushebung aller unverheirateten Männer im Alter von 18 bis 25 Jahren.

Nun bekam der Staat erstmals seit der altgriechischen Hoplitenarmee seine Soldaten quasi zum Nulltarif. Nüchtern betrachtet, ist die Idee der Bürgergemeinschaft in Waffen, die Allgemeine Wehrpflicht, ebenso genial wie zynisch. Das ist die eine Seite. Die andere: Sie schuf, sofern tatsächliche alle Wehrpflichtigen dienten, wie zu Zeiten der altathenischen Hopliten, Gefahrengleichheit und damit mehr allgemein gesellschaftliche Gleichheit und Gemeinschaft.

Die Deutschen als des „Führers“ Kanonenfutter

Dennoch war die Wehrpflicht für die Betroffenen und ihre Familien meistens eine bittere, weil lebensgefährliche Pille. Versüßt wurde sie ideologisch, patriotisch besonders vom Bildungsbürgertum, das sich überall und immer gerne vor der Wehrpflicht drückte und stattdessen lieber mit Zitaten glänzte. Etwa dieses: „Dulce et decorum est pro patria mori.“ („Süß und ehrenvoll ist es, fürs Vaterland zu sterben.“) Spätestens der 65millionenfache Blutzoll des Zweiten Weltkriegs belehrte die Menschheit und erst recht die deutschen Verlierer, die nichts anderes waren als des „Führers“ Kanonenfutter, dass dieser Spruch blanke Lüge ist.

Der strukturelle Pazifismus seit 1945 ist also historisch bedingt. Im nachnationalsozialistischen Deutschland verständlicherweise noch mehr als woanders. Wo es den Bürgern nach 1945 möglich war, „sich zu drücken“, taten sie es folgerichtig guten Gewissens gerne und immer lieber, zumal es ihnen gesetzlich ständig leichter gemacht wurde. Schließlich wurde die längst nicht mehr allgemeine Allgemeine Wehrpflicht in vielen Demokratien abgeschafft.

Abschaffung der Wehrpflicht 

Dafür gab es zwei Gründe. Der erste: Die Gesetzgeber, beziehungsweise die Legislativen und Ausführenden, beziehungsweise die Exekutiven (= Politiker) wollten gewählt werden. Und wer in einer strukturell pazifistischen Gesellschaft gewählt werden will, muss militärische Enthaltsamkeit bieten.

Der zweite Grund: Unmittelbare militärische Bedrohungen schienen nach dem Ende des Kalten Krieges das Phänomen einer unwiederholbaren Vergangenheit zu sein. Dass besonders die Deutschen den Ewigen Frieden herbeiträumten, ist wiederum besonders verständlich – und auch sympathisch.

Sicherheitspolitisches Freibier gibt es nicht mehr

Inzwischen platzte der Wunschtraum. Die alptraumhafte weltpolitische Wirklichkeit von Kriegen, Terror sowie Kriegsgefahren, auch unmittelbar vor der eigenen Haustür, hat Deutschland und die Nato eingeholt. Sicherheitspolitisches Freibier gibt es für uns auch nicht mehr, denn die Trump-USA sind nicht länger bereit, für uns die Kastanien aus dem Feuer zu holen.

Stell´ dir vor, man braucht auch hierzulande landeseigene Soldaten, und es kommen keine. Was Wunder, dass man sie dann in anderen Ländern sucht. Und wenn man sie gefunden hat, sind sie im wahrsten Sinne des Wortes Fremdkörper ohne Bezug zur Gesellschaft. Wozu das führt, weiß man auch aus der (Militär-)Geschichte: Die Truppe wird zum Staat im Staate und putscht sich im schlimmsten Falle an die Macht. Wer das nicht will, beschuldige nicht die Bundesministerin, sondern sich selbst und die Gesellschaft. Wir haben uns der Bundeswehr seit langem entzogen. Jetzt bekommen wir die Quittung.

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