Bundestagswahlkampf - Die Stärke der SPD ist die Schwäche der Union

Dank Martin Schulz ist die SPD auf einmal wieder quicklebendig, überholt in einer Umfrage sogar die Union. Es weht ein Hauch von Wechselstimmung durch die Bundesrepublik. Jetzt rächt sich, dass Angela Merkel zwar grün-rote Politik gemacht, aber keine neuen Wählerschichten erschlossen hat

Das Umfragehoch der SPD sorgt für schlechte Laune bei Angela Merkel und Horst Seehofer / picture alliance
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Es steigt und steigt und steigt – das Schulzfieber. Zuerst waren es bisher kaum bekannte Sprünge von fünf bis acht Prozentpunkten in den Umfragen. Jetzt sind die Sozialdemokraten, von Sigmar Gabriel komatös hinterlassen, schon bei 31 Umfrage-Prozenten und tanzen plötzlich wieder quicklebendig vor der stark geschrumpften Union herum.

Rot-Rot-Grün wieder denkbar

Die neueste Umfrage stammt von Insa, also jenem Institut, das in der Vergangenheit die AfD-Werte meistens genauer vorhergesagt hatte als die Konkurrenz, und deshalb von vielen Medien und den Sozialdemokraten gerne als rechtslastig und damit unseriös abgetan wurde. Seit Montag aber glauben die von den Zahlen berauschten Sozis Insa alles. Schließlich könnte es nach den neuesten Zahlen für Rot-Rot-Grün auf Bundesebene zum Wahlsieg reichen: 48 Prozent gegenüber 35 für Schwarz-Gelb. Der Trend scheint plötzlich wieder ein Genosse zu sein.

Der Schulz-Hype erinnert an das Wahljahr 1998. Nach 16 Jahren galten Helmut Kohl und die Union als verbraucht; der neue Hoffnungsträger hieß Gerhard Schröder. Zumal er versprach, alle sozialen „Ungerechtigkeiten“ wie den demografischen Faktor in der Rentenformel oder die Zuzahlungen bei Rezepten aus der Kohl-Zeit wieder abzuschaffen. Was er dann auch tat, um bei trostloser Kassenlage ein paar Jahre später viel größere Zumutungen einzuführen – Stichwort „Agenda 2010“.

Erinnerung an Helmut Kohl 1998

Doch nicht alles, was hinkt, ist schon ein Vergleich. Kohl, das alte Schlachtross, war reif für die Ablösung. Die treuen CDU-Wähler verhalfen ihm bei seiner Abwahl immerhin noch zu 35,1 Prozent. Angela Merkel brachte es 2005 auf 35,2 Prozent, 2009 auf 33,8 Prozent – und wurde damit Kanzlerin.

Wenn die Union jetzt in Umfragen auf rund 30 Prozent kommt, dann bedeutet das zunächst einmal, dass ihr Stammwählerreservoir nach elf Merkel-Jahren stark geschrumpft ist. Außerhalb Bayerns entspricht das 24 oder 25 Prozent, womit die Merkel-CDU auf das Gabriel-Niveau gefallen ist. Hier rächt sich offenkundig, dass die CDU glaubte, auf ihre konservativen Wähler keine Rücksicht mehr nehmen zu müssen. Viele ihrer konservativen Politiker hat sie – siehe Wolfgang Bosbach – ohnehin vergrault.

CDU kann keine neuen Wähler gewinnen

Neue Wählerschichten scheint die CDU aber nicht erschlossen zu haben. Alle, die im Willkommensrausch der Kanzlerin zujubelten, haben im Traum nicht daran gedacht, Merkel zuliebe bei der Union ihr Kreuz zu machen. Die haben sich damals nur gefreut, dass eine CDU-Kanzlerin grün-rote Politik machte – und Merkels Lobschreiber bei Spiegel, Zeit oder Süddeutscher Zeitung ebenso. Das haben viele bei der CDU bis heute nicht verstanden: Wenn die Union von linkliberalen Medien für ihren „modernen“ Kurs gelobt wird, dann hat sie etwas falsch gemacht. Jedenfalls nichts, was ihr beim Wähler nützt.

Die neuesten Umfragezahlen sind beileibe noch kein Wahlergebnis. Aber schon vor der Schulzmanie zeigte sich deutlich, dass die CDU mehr Stammwähler verloren als Wechselwähler hinzugewonnen hat. Ohnehin war die im Kanzleramt wie im Konrad-Adenauer-Haus allzu gern geglaubte These, die Existenz der AfD wäre „mehrheitstechnisch eine Chance“ (Matthias Jung, Forschungsgruppe Wahlen) falsch. Denn Jungs Behauptung, dank der AfD könne es kaum noch Mehrheiten gegen die Union geben, hält einem Wirklichkeitstest nicht stand. Das zeigen allein die rot-rot-grünen Koalitionen in den Ländern Thüringen und Berlin. Auch an der Saar und in Nordrhein-Westfalen sind – trotz AfD – Mehrheiten gegen die CDU gut möglich.

Noch sind es acht Monate bis zur Wahl. Noch ist es völlig offen, ob die Union oder die SPD als erste durchs Ziel gehen. Auch wenn Kohls Abwahl schon 19 Jahre zurückliegt, könnte 2017 das zweite 1998 werden. Mit einem Unterschied: dass die CDU noch schwächer dastünde. 

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