Bundestagswahl - Ohne Rücksicht auf Verluste

Bei der Bundestagswahl fuhren die CDU und SPD desaströse Ergebnisse ein. Die Sozialdemokraten wollen nun in die Opposition und zwingen die CDU damit zu einer Jamaika-Koalition. Das wird die Spaltung der Gesellschaft jedoch weiter vorantreiben

Ihres bisherigen Koalitionspartners beraubt, ist Angela Merkel nun auf die Grünen und FDP angewiesen / picture alliance
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Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Das war knapp und hätte ins Auge gehen können. Aber Angela Merkel hat sich noch einmal gerettet. Zumindest bis jetzt. Ihre Verluste sind dramatisch. Und lebten wir in parteipolitisch normalen Zeiten, ihre Tage wären gezählt. Zudem ist es Merkel in den vergangenen Jahren gelungen, eine ihr treu ergebene Führungsriege um sich zu scharen. Die Königinnenmörder sitzen allenfalls in München, aber München ist weit weg.

Das aber macht die Situation für die Kanzlerin nicht leichter. Denn auch die CDU verübelt nichts so sehr wie den Machtverlust. Und mit einem Machtverlust der CDU haben wir es zu tun. Ihres bisherigen Koalitionspartners beraubt, ist sie nun auf die Grünen und eine siegestrunkene FDP angewiesen.

Jamaika als Modernisierungsbündnis?

Schon die Liberalen werden alles andere als handzahm sein. Denn wenn Christian Lindner eine Lehre aus dem Debakel von 2013 gezogen hat, dann wohl diese: von liberalen Positionen keinen Millimeter preiszugeben. Und wie soll man ein pointiert liberales Politikverständnis mit grüner Programmatik vereinbaren?

Denn mit ihrem guten Ergebnis im Rücken werden die Grünen weder die wirtschaftsliberalen Ideen der FDP noch die sicherheits- und gesellschaftspolitischen Wünsche einer nach rechts schielenden CSU durchwinken. Ganz abgesehen davon, dass bei den Grünen ein Parteitag eventuelle Koalitionsverhandlungen absegnen muss.

Also wird eine eventuelle Jamaika-Koalition die wirklich heiklen Fragen ausklammern – darin hat Merkel ja Erfahrung – und sich als Modernisierungsbündnis verkaufen, das Deutschland technologisch, ökologisch und gesellschaftspolitisch nach vorne bringen will: ein bisschen Digitalisierungs-FDP, eine bisschen Neue-Energien-Grüne, garniert mit einem Klecks Tauberscher Großstadt-CDU. Welch verlockendes Szenario.

SPD bleibt nur die gemäßigte Opposition

Gar nicht komisch wird man diese Perspektive in München finden. Deshalb hört das Hauptproblem Merkels auf den Namen CSU. Hier grummelt es schon seit Jahren gewaltig. Und dann dieses für christsoziale Verhältnisse desaströse Ergebnis: 38,8 Prozent in Bayern. Die AfD erreichte hier 12,4 Prozent. Seehofers laute Überlegungen über die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU sind unzweideutig.

Für die CSU-Führung gibt es daher nur eine politische Marschrichtung: nach rechts, mit oder ohne CDU, um dort der AfD das Wasser abzugraben. Aber wie soll das in einer Koalition mit den Grünen gelingen? Und wie mit einer FDP, die sich in Sachen innerer Sicherheit als Bürgerrechtspartei profilieren will? Auf diese Koalitionsverhandlung darf man sich jetzt schon freuen.

Sehr viel elender steht die SPD da. In Zukunft findet sie sich eingeklemmt zwischen einer Linken, die versuchen wird, Jamaika bei jeder Gelegenheit als neoliberal und unsozial zu entlarven, und der AfD, die den zu erwartenden gesellschaftlichen Modernisierungskurs von Schwarz-Grün-Gelb angreifen wird. Bleibt nur der Posten der gemäßigten Opposition – und der ist alles andere als sexy.

Spaltung der Gesellschaft wird vorangetrieben

Wie hilflos die SPD ist, zeigt schon die Empfehlung ihres Parteivorsitzenden vom Wahlabend; Deutschland brauche nun eine Polarisierung zwischen links und rechts. Angenommen, das wäre richtig (was es nicht ist): Was hätte die SPD dabei zu gewinnen? Der Platz Höhere-Steuern-für-Reiche-und-mehr-Sozialausgaben ist schon besetzt. Sich überstürzt der Koalition mit der CDU entzogen zu haben, kann sich für die SPD noch als schwerer strategischer Fehler erweisen.

Womit wir wieder bei Jamaika wären. Seinen Reiz hat diese Konstellation schon lange verloren. Es ist ein Projekt von gestern, aus guten alten Pizza-Connection-Tagen. Aber das muss kein Nachteil sein, sondern kann zum Pragmatismus beitragen. Das Problem liegt woanders: Soziologisch gesehen, würden hier die Vertreter der neuen Elite regieren, der Globalisierungs- und Modernisierungsgewinner, der Menschen mit den gut dotierten Jobs, die davon träumen, mit ihrem Car-Sharing-Elektroauto zum Biosupermarkt fahren: die Tauber-Lindner-Özdemirs.

Das birgt die Gefahr, dass die sich abzeichnende Spaltung der Gesellschaft noch verstärkt wird. Denn im Kern stehen hier die Vertreter der urbanen Eliten gegen die Anwälte der angeblich Zukurzgekommenen, die schwarz-gelb-grüne Wagenburg der Modernisierer unter Dauerbeschuss der Querfront-Opposition. Das verspricht, heiter zu werden.

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