Bundestagswahl - Keiner will mit Angela

Martin Schulz wird nicht Kanzler und eine weitere Große Koalition wollen immer weniger in der SPD. Also bestimmt die Frage Schwarz-Gelb oder Schwarz-Grün die letzten Wochen des Wahlkampfes. Doch weder die FDP noch die Grünen trauen sich, dafür zu werben. Das könnte bestraft werden

Christian Lindner und Cem Özdemir verweigern die Koalitionssaussage / picture alliance (Bild von 2013)
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Autoreninfo

Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Das TV-Duell ist vorbei und damit der wohl letzte Höhepunkt in einem an Höhepunkten eher armen Wahlkampf. Wenn es die Absicht des SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz war, diesem am vergangenen Sonntag zu einer neuen Dynamik zu verhelfen, dann ist es ihm durchaus gelungen. Nur könnte es sein, dass seine Partei am wenigsten davon profitiert. Denn das große Thema dieser Woche war nicht die Gerechtigkeit, sondern die Türkei. Es zeigt sich bereits, dass das kein sozialdemokratisches Gewinnerthema ist. Und noch etwas ist seit Sonntag klar: Kanzler wird Martin Schulz nicht. Es ist ihm nicht gelungen, sich gegen die Amtsinhaberin als überzeugende personelle Alternative zu präsentieren. Die Mehrzahl der Wähler traut ihm dieses Amt nicht zu. Und eine Regierungsmehrheit, mit der ein Sozialdemokrat ins Kanzleramt einziehen könnte, ist nicht in Sicht, weder über Rot-Rot-Grün noch über Rot-Gelb-Grün.

Eine Mehrheit macht Merkel noch nicht zur Kanzlerin

Die Union, so viel darf seit Sonntag vielmehr als sicher gelten, wird aus der Bundestagswahl als stärkste Partei hervorgehen. Angela Merkel wird am 24. September von der Mehrzahl der Wähler den Auftrag zur Bildung einer Bundesregierung für die kommende Legislaturperiode erhalten. Kanzlerin der nächsten Bundesregierung ist sie deshalb aber noch lange nicht.

Zu den Besonderheiten dieses Bundestagswahlkampfes gehört, dass es keine Partei danach drängt, in der kommenden Legislaturperiode der Mehrheitsbeschaffer der Union zu werden und Angela Merkel zu ihrer vierten Kanzlerschaft zu verhelfen. Die FDP nicht, die Grünen nicht und auch nicht die Sozialdemokraten, von der Fundipartei AfD ganz zu schweigen. Frei nach dem Motto: Stell dir vor, es ist Bundestagswahl, und niemand will mit Angela Merkel koalieren.

Zwar stellen sich viele politische Beobachter in Berlin darauf ein, dass es zu einer Fortsetzung der Koalition mit der SPD kommt, auch manche führende Sozialdemokraten setzen darauf. Doch wie schon 2013 wird auch in diesem Jahr die SPD-Basis in einer innerparteilichen Urabstimmung über die Frage „Groko, ja oder nein?“ entscheiden. An der Basis der Partei hat eine Große Koalition mit der SPD als Juniorpartner jedoch nicht mehr viele Freunde. Und deren Anzahl wird um so mehr sinken, je tiefer die Partei bei der Bundestagswahl in der Wählergunst abstürzt. Und um so lauter wird der Ruf erschallen, die SPD müsse sich in der Opposition programmatisch erneuern und personell verjüngen.

Die Frage also, die die letzten beiden Wochen des Wahlkampfes machtpolitisch bestimmen wird, lautet somit: Schwarz-Gelb oder Schwarz-Grün? Werden die Freien Demokraten oder die Grünen Merkels neuer Mehrheitsbeschaffer? 

FDP und Grüne trauen sich nicht

Keine der beiden Parteien traut sich, offensiv für diese machtpolitische Option zu werben. FDP-Chef Christian Lindner legt Wert auf die Feststellung, die FDP sei nicht der natürliche Koalitionspartner der Union, es gebe keinen Automatismus für Schwarz-Gelb. Stattdessen betont er unentwegt die Eigenständigkeit der FDP und sagt, die Partei habe keine Angst vor der Opposition. Zu groß ist seine Sorge, dass die peinlichen Regierungsjahre der FDP zwischen 2009 und 2013 dem Wähler gut in Erinnerung geblieben sind. Mindestens genauso groß ist die Sorge, dass die Personaldecke der Partei zu dünn ist, um nach dem Wiedereinzug in den Bundestag gleich Regierungsverantwortung übernehmen zu können.

Die Grünen wiederum haben die Warnung vor Schwarz-Gelb zu ihrem aktuellen Wahlkampfschlager erhoben. Gleichzeitig betonen sie, die Große Koalition müsse in der Demokratie eine Ausnahme bleiben. Nur traut sich das Spitzenduo Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir nicht, ihre Partei selbstbewusst als alternativen Mehrheitsbeschaffer der Union zu präsentieren. Weil sie wissen, dass Schwarz-Grün bei Teilen der Partei unbeliebt ist und vor allem rot-grüne Wechselwähler verschrecken könnte, flüchten sie sich stattdessen bei der Frage nach Schwarz-Grün ins Ungewisse. Lieber warnen sie davor, irgendeine Machtoption auszuschließen und betonen, es gehe darum, möglichst viele grüne Inhalte durchzusetzen. Nur: Nach Lage der Dinge wäre ein Bündnis mit der Union das einzige Bündnis, in dem die Partei ihre Inhalte in Regierungshandeln umsetzen könnte.

Letzter Ausweg Jamaika?

Es ist schwer zu sagen, wem die machtpolitische Zurückhaltung und der fehlende Mut mehr schadet, der FDP oder den Grünen. Und da auch Merkel nicht erkennen lässt, wer ihr als Koalitionspartner lieber wäre, könnte es am Ende dazu kommen, dass weder Schwarz-Gelb noch Schwarz-Grün vom Wähler mit einer Mehrheit ausgestattet wird. Dann bliebe ein Bündnis von CDU/CSU, FDP und Grünen die einzige Alternative zur Großen Koalition als Dauerzustand.

Ob die vier so unterschiedlichen Parteien jedoch zusammenkommen können, ist eine ganz andere Frage. Zweifel sind angebracht. Doch angesichts der Oppositionssehnsucht der Sozialdemokraten und einer AfD, die nicht regieren will, hieße Merkels letztes Aufgebot Jamaika. Und am Ende könnte die Wahlsiegerin Merkel sogar ohne Koalitionspartner dastehen. Man könnte es auch Ironie der Geschichte nennen.

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