Bundespräsidentenwahl - Koalition der Angst

Weil keine Partei im Wahljahr 2017 etwas riskieren will, soll nun ein überparteilicher Kompromisskandidat Bundespräsident werden. Dieses Kalkül wird nicht aufgehen, sondern nur die AfD stark machen

Verzweifelt gesucht: Ein Nachfolger für Bundespräsident Joachim Gauck / picture alliance
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Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Wenn es stimmt, was Der Spiegel in dieser Woche berichtet, dann suchen CDU, CSU und SPD mittlerweile nach einem gemeinsamen Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten. Abgesagt wurden demnach alle schwarz-grünen und rot-rot-grünen Planspiele. Die Parteistrategen hat offenbar jeder Mut verlassen. Wenn am 12. Februar 2017 die Bundesversammlung zusammentritt, um einen Nachfolger für den scheidenden Bundespräsidenten Joachim Gauck zu wählen, dann soll sein Nachfolger den Parteien der Großen Koalition im darauf folgenden Bundestagswahlkampf möglichst wenig Ärger machen. Ein überparteilicher Kompromisskandidat soll her, der für CDU und CSU sowie die SPD wählbar ist und idealerweise auch von Grünen und FDP unterstützt wird.

Keiner will etwas riskieren

Es ist die pure Angst, die die etablierten Parteien bei der Kandidatensuche umtreibt. Keiner will etwas riskieren, niemand will ungewöhnliche Wege gehen. Die Landtagswahlen dieses Jahres haben allen vor Augen geführt, wie fragil die politische Stimmung geworden ist, wie stark die Parteien von den Wahlerfolgen der AfD getrieben werden und wie sehr sich alle traditionellen Bündnisfragen überlebt haben. Jeder politische Schachzug könnte da unvorhersehbare Folgen haben.

Und weil die Zukunftsangst genauso groß ist wie die Ratlosigkeit, klammern sich Union und SPD an die Große Koalition, klammern sich alle fünf Bundestagsparteien an den Status quo. Gegen einen schwarz-grünen Kandidaten opponiert vor allem die CSU, weil sie um ihre konservative Anhängerschaft fürchtet. Gegen einen rot-rot-grünen Kandidaten die einflussreiche nordrhein-westfälische SPD. Sie will sich vor der Landtagswahl im Mai 2017 jede Rot-Rot-Grün-Debatte vom Leibe halten, um den regionalen Wahlerfolg nicht zu gefährden. Hinzu kommt: Weder die CDU-Vorsitzende Angela Merkel noch der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel können sich sicher sein, dass ihre Parteien einem ungewöhnlichen Personalvorschlag geschlossen folgen werden. Beider Autorität ist innerparteilich massiv beschädigt.

Machtkämpfe bei Grünen und Linken

Aber auch Grüne und Linke hat der Mut verlassen. Der innerparteiliche Machtkampf bei den Grünen zwischen Realos und Linken ist so festgefahren, dass die Partei derzeit machtstrategisch überhaupt nicht handlungsfähig ist. In der Linkspartei verhindern die Fundis ein eindeutiges Bekenntnis der Partei zur Realpolitik und zu einer Mitte-Links-Regierung.

Wie Mehltau liegt diese politische Angststarre über dem Parteiensystem. Und so könnte es im kommenden Jahr sogar dazu kommen, dass keine Partei mit einer Koalitionsaussage in den Bundestagswahlkampf geht. Jede Partei wird stattdessen verkünden, es ginge nur darum, dem Wähler die eigenen Überzeugungen pur zu präsentieren. Sogar die CSU könnte auf ein eindeutiges Bekenntnis zur Schwesterpartei CDU verzichten. Die Bundespräsidentenwahl würde mit einem überparteilichen Kompromisskandidaten lediglich den Auftakt bilden für einen machtstrategischen Angstwahlkampf im Sommer 2017.

Das Kalkül wird jedoch nicht aufgehen. Denn die Wähler wollen wissen, welche Machtoptionen die Parteien favorisieren. Sie wollen nicht nur zwischen Parteien wählen, sondern auch zwischen Koalitionsaussagen. Verweigern die Wahlkämpfer ihnen diese Antwort, müssen die etablierten Parteien sich nicht wundern, wenn sie nicht gewählt werden. Ihre Mutlosigkeit macht letztlich nur die Protestpartei AfD stark.

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