Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier - Glückskeks der Nation

An welchen Satz von Frank-Walter Steinmeier wird man sich erinnern, wenn er nicht mehr im Amt ist? Der Bundespräsident ist ein Freund der Glückskeksweisheiten, das hat seine Weihnachtsanprache mal wieder gezeigt. Aber würde es mit seiner potenziellen Nachfolgerin besser?

Ein Glückskeks als Bundespräsident: Frank-Walter Steinmeier /dpa
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Dieses Weihnachten haben wir im Kreise der Familie Glückskekse geknackt. Auf dem Zettelchen, das bei mir rausfiel, stand in vier Sprachen: „Nach jedem Tunnel kommt ein Licht, auch wenn er noch so lang ist.“ 

Es ist natürlich reiner Zufall, dass dieser Satz nicht nur aus meinem Glückskeks flatterte, sondern auch die zentrale Corona-Botschaft der diesjährigen Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten bildete. Und dann wiederum: So reiner Zufall auch wieder nicht. Denn seit Frank-Walter Steinmeier Hausherr im Schloss Bellevue ist, hören sich seine Reden so an, als habe man einen riesigen Haufen Glückskekse zerbröselt und die Zettelchen hinterher aneinandergeklebt wie die Schriftstellerin Herta Müller ihre Collagen aus Broschürenschnipseln.

Ein Bundespräsident ist kein Alleinunterhalter

Damit wir uns verstehen: Ein Bundespräsident ist kein Alleinunterhalter, kein Kabarettist und kein Oppositionspolitiker. Er ist der oberste Notar unserer Nation. Hinter seinen Worten müssen sich möglichst viele Menschen versammeln können. Er hat eine einigende und keine aufrührende Rolle. Er ist für uns und unsere Demokratie, was den Briten ihre Queen ist. Eine Instanz jenseits aller parteipolitischen Scharmützel. Dafür ist Steinmeier als früherer Kanzleramtschef und Außenminister ideal vorgeprägt und auch von seinem ausgleichenden Naturell her gut geeignet.

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Aber muss das zu solchen Reden führen? Steinmeier formuliert treffsicher stets nicht nur das jeweils Naheliegende, sondern das Nächstliegende. Man hat, wenn er in gleichförmiger Modulation vorträgt, förmlich die Abteilungen im Präsidialamt vor Augen, wie sie den Texten auch noch jede noch so kleine Ecke und Kante abgeschlagen haben, bis diese Ansammlung aus gut gemeinten Allgemeinplätzen übrig geblieben ist. 

Der Eintrag ins Geschichtsbuch fehlt bislang

Das ist systemimmanent. Aber noch jeder seiner Vorgänger hat es trotzdem geschafft, mit dem einen oder anderen Satz in Erinnerung zu bleiben. Nicht nur Richard von Weizsäcker, der sowieso, sondern auch Roman Herzog und Christian Wulff. Man mag von dessen Satz, der Islam gehöre auch zu Deutschland, halten, was man will. Markant war er jedenfalls, und mutig auch. Ebenso wie jener von Joachim Gauck zu Deutschlands Hilfsbereitschaft einerseits und seinen Möglichkeiten in der Flüchtlingspolitik andererseits. 

Die Amtszeit von Frank-Walter Steinmeier aber geht in ihr letztes Drittel, und bisher ist nicht ein Denkanstoß von ihm gekommen, der sich für einen Eintrag ins Geschichtsbuch eignete.

Die Kunst der Stille

Früher, als Steinmeier vor allem als SPD-Fraktionschef und Oppositionsführer noch mehr Interviews gab als heute, da existierte eine Art Contest unter den Berliner Korrespondenten: Wer die längste Pause, das längste Nichts nach einer Frage an ihn auf Band hatte. Zu Minuten konnte sich diese Stille dehnen –  um sich dann in einem Satz von glanzloser Allgemeingültigkeit zu entladen.

In seinem Kopf hatten offenbar in dieser langen Stille alle denkbaren Einreden gegen diese oder jene Formulierung das perfekt Unanstößliche kreiert. Als Staatsoberhaupt hat sich dazu noch etwas unvermeidlich Gravitätisches gesellt. Er redet wie ein Alterspräsident – und ist doch erst 64 Jahre alt. 

Eine grüne Frau wird auf ihn wohl folgen

Dieses Wahljahr mit seinen sechs Landtagswahlen und der Bundestagswahl wird die Mehrheitsverhältnisse der nächsten Bundesversammlung mutmaßlich so beeinflussen, dass eine automatische Wiederwahl Steinmeiers im Jahr darauf nicht zwingend ist. Mit einiger Sicherheit wird er dies auch im Blick haben bei der Frage, ob er sich überhaupt in diese Richtung äußern soll.  

Zu wünschen wäre, dass auf Steinmeier eine Person in diesem Amt nachfolgte, die die Möglichkeiten, die es bietet, wieder mehr ausschöpft. Nach Lage der Dinge wird es eine Frau sein, die erste in diesem Amt. Wenn es zu Schwarz-Grün im Bund kommt, was hochwahrscheinlich ist, dann ist auch die Wahrscheinlichkeit groß, dass es auf Katrin Göring-Eckardt zuläuft. Das wäre dann allerdings jenseits des Geschlechts Kontinuität in ihrer unseligsten Form. 

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