Bonn-Berlin-Gesetz - Vereinigtes Land, geteilte Bürokratie

Vor genau 25 Jahren beschloss das Parlament: Bundestag und Regierung sollten nach Berlin ziehen, die Mehrzahl der Ministerien und Beamten aber weiterhin in Bonn bleiben – ein unsinniger und fataler Kompromiss, der allmählich korrigiert werden sollte

Ein zerrissenes Armband mit dem Bundesadler / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Hartmut Palmer ist politischer Autor und Journalist. Er lebt und arbeitet in Bonn und in Berlin.

So erreichen Sie Hartmut Palmer:

Anzeige

Bonn, die einstige Bundeshauptstadt, leidet unter Phantomschmerzen: Es gibt hier einen „Bundeskanzlerplatz“ und ein „Kanzleramt“ ohne Kanzler oder Kanzlerin und ein „Präsidialamt“ ohne Präsident. Eine U-Bahn-Station nennt sich immer noch  unverdrossen „Auswärtiges Amt“, obwohl dieses längst am Werderschen Markt in Berlin steht. Und nach wie vor kämpfen einige Lokalpatrioten gegen alle Versuche, den Umzug nach Berlin als Realität zu akzeptieren und alle Ministerien vollständig an die Spree zu holen.

Der Umzugsbeschluss, heute auf den Tag genau vor 25 Jahren gefasst, war ein Kompromiss. Einerseits sollten Parlament und Regierung an die Spree ziehen, andererseits aber die Mehrzahl der Ministerien und ihrer Bediensteten weiterhin am Rhein bleiben. So entstand die absurde Situation, dass das über vier Jahrzehnte geteilte Land vereinigt, die politische Verwaltung des Landes aber geteilt wurde. Die meisten Beamten hatten in Bonn zu bleiben. Das Gesetz, in dem dies ausdrücklich vor- und festgeschrieben wurde, war der rührende Versuch, die Gesetze der politischen Schwerkraft per Dekret außer Kraft zu setzen. Dieser Versuch musste scheitern.

Vor 25 Jahren, als der Kompromiss vom Parlament in einer mehr als zwölfstündigen Debatte in einem ehemaligen Wasserwerk am Rhein beraten und verabschiedet wurde und der drei Jahre später ins Bonn-Berlin-Gesetz mündete, schworen die Berlin-Befürworter Stein und Bein, beim Umzug nach Berlin werde es keinen Rutschbahn-Effekt geben. Sie wussten, dass das eine Illusion war. Aber diese Illusion gehörte zum politischen Geschacher: Sie wurde damals vor allem deshalb wachgehalten, um die Gegner des Umzugs zu besänftigen und die noch Unentschlossenen auf die Seite der Befürworter zu ziehen.

Natürlich gab und gibt es diesen Rutschbahneffekt. Jeder Minister und jede Ministerin findet es lästig, wenn die Beamten, die sie zu Rate ziehen wollen,  nicht vor Ort sind, sondern sich erst in den Zug oder ins Flugzeug setzen müssen, wenn wichtige Fragen zu klären sind.

Erste vorsichtige Versuche, durch eine Gesetzesänderung den Realitäten Rechnung zu tragen, schlugen vor zehn Jahren fehl. Kein Lokalpolitiker in Bonn traute sich aus der Deckung, selbst diejenigen nicht, die wussten, dass Bonn weder untergehen noch Not leiden würde, wenn die letzten Ministerien vom Rhein an die Spree zögen.

Aber auch die Befürworter dieser Lösung hielten sich bedeckt. Weder der Bundeskanzler Gerhard Schröder (als Hannoveraner wegen der Nähe zur Hauptstadt immer schon ein Befürworter des Komplett-Umzugs) noch seine Nachfolgerin Angela Merkel (wegen ihrer DDR-Vorgeschichte ohnehin im Verdacht der Berlin-Affinität) wollten es sich mit den zahlenmäßig starken Abgeordneten aus Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz  verderben. Sie stellten den 1991 vereinbarten Kompromiss, obwohl sie ihn unsinnig fanden, nie in Frage. Statt das absurde Gesetz zu ändern, ignorierten sie es einfach. Inzwischen arbeiten tatsächlich längst mehr Bundesbedienstete in Berlin als in Bonn.

Die Staatskanzleien in Düsseldorf und Mainz sind nach wie vor gegen jede Änderung des status quo. Und auch die Kommunalpolitiker vor Ort tun so, als müsse alles beim Alten bleiben. Wer sich zuerst bewegt, hat verloren – diese alte Regel des Mikado-Spiels gilt bei diesem heiklen und emotional immer noch aufgeladenen Thema nach wie vor.

Einige Ressorts – zum Beispiel das Justizministerium – haben inzwischen eingesehen, dass es vernünftig ist, ihre Bonner Dependancen in aller Stille in Bundesoberbehörden umzuwandeln. Das hat sich bewährt. Die in Bonn verbliebenen Mitarbeiter müssen nicht nach Berlin umziehen, sie haben nur ihren Status als Ministerialbeamte verloren.

Warum sollte dies nicht auch für den Rest der Bundesverwaltung möglich sein? Das 25. Jubiläum des Umzugsbeschlusses wäre eigentlich Anlass genug gewesen, diesen schon vor Jahren diskutierten, aber stets abgeblockten vernünftigen Versuch auszuloten. Er würde der Realität Rechnung tragen und den in Bonn verbliebenen Bediensteten Rechtssicherheit geben.

Bundesbauministerin Barbara Hendricks, von Amts wegen für den Umzug zuständig, hat inzwischen eine Kommission eingesetzt, die alles prüfen und Änderungsvorschläge machen soll. Das immerhin lässt hoffen. Geändert werden kann das Gesetz aber weder durch eine Kommission noch durch einen Kabinettsbeschluss, sondern einzig und allein durch das Gremium, das den Unfug vor 25 Jahren in die Welt gesetzt hat: den Deutschen Bundestag. Er wird irgendwann einmal den Irrtum von 1991 korrigieren und Farbe bekennen müssen.

Hinweis: In einer früheren Version hieß es, das Bonn-Berlin-Gesetz sei vor 25 Jahren gefasst worden. Tatsächlich fasste der Bundestag am 20. Juni 1991 seinen Umzugsbeschluss. Das Bonn-Berlin-Gesetz wurde am 26. April 1994 verabschiedet. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.

Anzeige