Biografie über Markus Söder - Dem Zeitgeist hinterher

Eine neue Biografie über Markus Söder zeigt Bayerns Ministerpräsidenten als rücksichtslos den Erfolg suchenden Machtpolitiker. Trotzdem hat es für eine Kanzlerkandidatur nicht gereicht. Dafür gibt es Gründe.

Söder neben Baum hinter der bayerischen Staatskanzlei / dpa
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Autoreninfo

Philipp Lengsfeld, Jahrgang 1972, stammt aus Berlin und gehört der CDU an. Er war von 2013 bis 2017 Mitglied des Bundestags.

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Anna Clauß, langjährige Spiegel-Journalistin, hat ein hochinteressantes und sehr lesenswertes Buch über Markus Söder geschrieben. Mit einem kleinen Problem: Praktisch alle politischen Schlussfolgerungen halte ich für grundfalsch.

Anna Clauß beschreibt die zurückliegenden Jahre von Markus Söder: Es ist eigentlich eine in Buch gegossene Spiegel-Reportage und keine Biographie – die Journalistin war auch sehr oft in Markus Söders Nähe. Was sich als eine der vielen Stärken und Schwächen zugleich erweist.

Denn Anna Clauß zeichnet sehr genau das Porträt eines brennend ehrgeizigen, rücksichtlos Erfolg suchenden, hart zu sich und anderen, hochflexiblen Macht- und Medienmenschen. Der damit sein Ziel erreicht, CSU-Parteivorsitzender und bayerischer Ministerpräsident zu werden. Trotz massiver Widerstände innerhalb und außerhalb der Partei und trotz offenkundiger inhaltlicher Schwächen. Und aus meiner Sicht viel schlimmer: trotz deutlichem Desinteresse an seinen Mitmenschen.

Erreicht hat er dies durch die Schwäche der Konkurrenz (Anna Clauß analysiert vor allem die Schwäche der innerparteilichen Konkurrenz, aber dies gilt in Bayern für die anderen Parteien doppelt) und durch eiserne Disziplin sowie maximale Nutzung seiner physischen Vorteile: groß gewachsen, tiefe Stimme; ein Mann, der über Jahre Reden und gute Bilder eingeübt und optimiert hat. Erstaunlicherweise lässt sich die eigentlich sehr kritische Journalistin davon offenbar auch blenden – gerade zum Ende des Buches hat man immer mehr den Eindruck, dass auch Anna Clauß ihren Protagonisten im Grunde anhimmelt.

Wie kommt die Autorin darauf?

Aus dieser Ausgangslage zieht Anna Clauß die Schlussfolgerung, dass Markus Söder Kanzlerkandidat der Union und letztlich Merkel-Nachfolger werden kann, müsste, wird oder sollte (ganz klar wird dies nicht, das Buch erschien auch kurz vor der Entscheidung zugunsten Armin Laschets). Als politischer Analyst und Unionsanhänger kann ich nur den Kopf schütteln und mir ernsthaft die Frage stellen: Wie kommt die Autorin darauf? Oder im romantisch-verbrämten Neudeutsch: Glaubt sie das wirklich?

Dabei ist die Analyse klar: Markus Söder hat sich in Bayern durchgesetzt, weil er die Schwächen seiner Gegner gnadenlos genutzt hat. Statt ihn, wie offenbar gedacht, mit dem Heimatministerium zu überfordern, hat Horst Seehofer Markus Söder den roten Teppich zum Sieg ausgerollt. Und Söder hat die Gelegenheit erkannt und genutzt: Anna Clauß beschreibt sehr plastisch, wie er durch Bayern tourt und an CSU-Größen Förderbescheide ausgibt. Ein hocheffektiver, aber letztlich absolut unpolitischer Weg zur Macht, der so nur in Bayern und nur mit der CSU funktioniert.

Hilflose Stimmungspolitik

Man kann ihm nur zu Gute halten, dass er es merkt und nachstellt: In der Asylkrise hat das rauschhaft-euphorisierte Verhalten der Münchener Mittelstandbevölkerung (Willkommenstrauben an Gleis 26) nach der ersten Öffnung im September 2015 maßgeblichen, wahrscheinlich den entscheidenden Anteil für die Fehlentscheidung, die Grenzen eine Woche nach der humanitären Geste am Budapester Bahnhof nicht zu schließen. Aber Deutschland kann nun mal nicht die Migrationsprobleme der Welt lösen. Münchener Zeitgeist Hin oder Her.

Söders Verhalten zu diesem Thema? Erst massiv überzogene Rhetorik gegen die Kanzlerin (und wichtige Teile der CDU) – und nach der Landtagswahl dann bayerische Bilder-Außenpolitik in Äthiopien. Für mich zeigt dies die ganze Hilflosigkeit einer „gute Bilder, klare Sprache“-Zeitgeist-Stimmungspolitik.

Ähnlich sieht es mit grünen Themen aus. Natürlich kann Söder stolz sein, dass er versucht, vor anderen die Themen Gentechnik und Klima CSU-konservativ zu besetzen. Aber ohne Inhalte funktioniert das nicht: Gerade das Thema grüne Gentechnik ist ein klassisches Beispiel dafür, dass bayerische Heimattümelei und egoistischer Protektionismus eben kein Rezept für Deutschland oder gar Europa sind.

Zumal es beim Thema CO2-Weltuntergang, vulgo Klima-„Rettung“, auch um wissenschaftliche Fakten und knallharte wirtschaftliche Interessen geht – und nicht nur um „Bäume umfassen“-Bilder. Anton Hofreiter, Winfried Kretschmann und Annalena Baerbock wissen das – Markus Söder begreift offenbar nicht die Gefahr, die von der Hoffnung ausgeht, dass die grünen Batterie-, Windrad- und Solarversprechen irgendwie magisch den deutschen Wohlstand retten können.

Programme aller Art

Besonders ernüchternd war für mich der Part über die Regierungspolitik von Markus Söder. Statt der Regel zu folgen, „what gets you there is not what keeps you there“, hebt er seine Förderbescheidvergabe-Maschinerie einfach auf ein höheres Niveau. Die jetzige bayerische Landesregierung verballert den sauer erarbeiteten bayerischen Wohlstand (der in Teilen auch durch geschickte föderale Taktiererei gemehrt wurde) für Programme aller Art, so dass man fast geneigt ist, Vergleiche zur Endzeit der SED zu ziehen. Das bayerische Raumfahrprogramm ist da nur das kurioseste Beispiel – der Ofen der Landeskinder wird aber nicht durch die schönen Bilder des Ministerpräsidenten warm (selbst wenn sie alle auf einmal in selbigen stecken würden).

Zum Schluss noch zwei ganz traurige Details der Fehlanalyse: Anna Clauß postuliert, die deutsche Zeitgeist-Gesellschaft hätte sich darauf geeinigt, dass nach 16 Jahren Merkel jetzt wieder ein Mann ins Bundeskanzleramt müsse. Das sei Söders große Chance. In Wahrheit ist es genau andersherum: Die Union hätte mit Markus Söder nur eine Chance gegen Robert Habeck gehabt, da die Menschen spüren, dass hier einer agiert, der noch weiter von den Inhalten entfernt ist und nur noch auf Inszenierung setzt. Gegen Annalena Baerbock würde Söder außerhalb von Nordfranken keinen Stich machen.

Und auch das ist offenkundig: Markus Söders großes politisches Vorbild ist Franz Josef Strauß. Aber ist es nicht gerade die Tragik dieses großen Bayern, dass er sich eingebildet hat, seine für Bayern passende Art der Politik (übrigens auch ganz klar inklusive der Außenpolitik, die tiefe Weisheit der DDR-SED-Rettungskredite wird immer noch unterschätzt) wäre auf ganz Deutschland übertragbar? Warum erkennt oder benennt eine Spiegel-Journalistin diesen offenkundigen Punkt nicht?

Mein Fazit nach Lektüre des Buches: Ich bin gottfroh, dass die Union mit Armin Laschet einen Mann für die Inhalte und Probleme dieses Landes aufgestellt hat – so können wir die Wahl noch gewinnen. Wenn Markus Söder aber weiterhin nur darauf setzt, den Zeitgeist zu erfühlen, auf seine tiefe Stimme, auf gute Bilder und aufs Geldverbraten, dann wird er nicht nur niemals deutscher Kanzler, sondern führt die CSU auf den Weg ihrer westlichen Schwestern in eine Juniorkoalition unter Anton Hofreiter. Und das wäre dann auch kein Weltuntergang.

 

 

Anna Clauß: Söder – Die andere Biographie, Hoffmann und Campe, 176 Seiten, 20 Euro.

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