Kontroverse um „Bild“-Cover - Den Arsch gerettet

Die „Bild“-Zeitung sorgt immer wieder für echte Kontroversen. Besonders, seit sie in der Pandemie einen harten Kurs gegen die deutsche Corona-Politik fährt. Jetzt habe sie sich nach der Ministerpräsidentenkonferenz zum Sprachrohr der Impfgegner gemacht, kritisiert Antje Hildebrandt. Morgen gibt ihr Daniel Gräber Kontra und feiert „Bild“ als Stimme des Volkes.

Wer sind wir, und wenn ja, wie viele? / dpa
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Liebe Bild,

entweder, Du kannst Gedanken lesen. Oder Du hältst Deine Leser für dümmer, als sie sind. Ich staunte jedenfalls nicht schlecht, als ich gestern die Schlagzeile auf dem Cover las: „Kanzlerin, wir wollen Einigkeit und Recht und Freiheit!“

Nein, ich hatte mich nicht versehen. Wir, stand da schwarz auf weiß, forderten gleiche Rechte für Geimpfte und Ungeimpfte. Wir  wollen demonstrieren dürfen. Und Wir brauchen die Vorschriften der Kanzlerin nicht. Wenn man das Ohr dicht an die Zeitung hielt, konnte man hören, wie der Chor der von Dir zitierten Corona-Skeptiker – featuring Nena, Til Schweiger und Hubertus Knabe – die Deutschland-Hymne sang. Halleluja!

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Gänsehaut vor Schreck

Ich gebe es ungern zu, aber an dieser Stelle ertappte ich mich dabei, wie ich eine Gänsehaut bekam. Allerdings nicht vor Ergriffenheit, sondern vor Schreck. Man mag von der Einführung der Impfpflicht durch die Hintertür halten, was man will. Und ich nehme sie in Kauf, denn die Impfung ist nun mal der sicherste Weg aus der Pandemie. Wer sich nicht impfen lassen möchte, riskiert, dass er zur Gefahr für sich selbst und für andere wird. Er muss dann auch den Preis dafür zahlen. Er kann nicht erwarten, dass die Gesellschaft ihn noch für seinen Mangel an Solidarität belohnt und seine Tests zahlt. Das muss er schon selbst tun, damit er am öffentlichen Leben teilnehmen kann.

Aber dass Du, liebe Bild, mich in eine Reihe mit Promis stellst, die – zurückhaltend formuliert – einen an der Waffel haben, dass Du suggerierst, alle Bundesbürger stünden hinter deren Forderungen nach einer sofortigen Aufhebung der Maskenpflicht für Kinder (Nena), teilten die Wut auf ARD und ZDF als „Sprachrohre einer Diktatur“ (Knabe) oder die Überzeugung, das Immunsystem lasse sich besser durch Sport und Bewegung stärken als durch eine Impfung (Schweiger), ist nicht nur anmaßend, sondern gefährlich.

Sind wir nicht alle ein bisschen Nena?  

Diesen drei Schwurblern kann es keine Regierung der Welt Recht machen. Es sind Menschen, denen ein solidarisches Bewusstsein fehlt, die aber 100-prozentige Solidarität für sich selbst einfordern. Repräsentativ für die Mehrheit der Bundesbürger sind sie aber nicht. Zum Glück. Das  hat der jüngste ARD-Deutschland-Trend von Infratest ergeben: 51 Prozent der Bundesbürger halten die Corona-Maßnahmen demnach für angemessen. Nur ein Viertel ist der Meinung, sie seien übertrieben. Jedem fünften Bundesbürger gehen sie sogar nicht weit genug.

Indem Du aber suggerierst, wir alle seien Nena, wir alle seien Til und wir alle seien Hubertus, verlässt Du die sachliche Ebene einer Berichterstattung. Du machst Dich zum Sprachrohr einer Allianz aus Querdenkern, AfD-Anhängern und Esoterikern. Die Methode ist nicht neu. Deine gesamte Berichterstattung in der Pandemie ist  davon geprägt.  Man nennt das Kampagnen-Journalismus. Aus Querulanten wurden Opfer, aus Virologen wie Christian Drosten oder Gesundheitspolitikerin wie Karl Lauterbach wurden Täter. Genüsslich hast Du das Narrativ genährt, die Bürger seien Opfer einer Verschwörung geworden. Es entbehrt nicht der Ironie, wenn Du jetzt in alarmgelber Schrift hinter der Forderung nach Einigkeit auf Seite 1 schreibst: „Hört auf mit Spaltungs- und Paniksprüchen!“ Schließlich warst Du es ja, die die Spaltung der Gesellschaft maßgeblich befördert hat, indem Du die Welt in Gut und Böse eingeteilt hast.

Wie definiert man den Auftrag von Journalismus?  

Diese Methode ist brandgefährlich. Zwar verfängt sie längst nicht mehr bei allen Lesern. Wie Du, liebe Bild, versuchst, Menschen zu manipulieren, das ist eben auch kein Geheimnis mehr. Man darf die Leser nicht unterschätzen. Überschätzen darf man sie aber auch nicht. Unter den Schwurblern gibt es eben auch einige, die nicht mehr mit beiden Beinen auf dem Boden der Verfassung stehen. Die keinen Hehl daraus machen, dass sie die parlamentarische Demokratie lieber heute als morgen abschaffen würden. Und die fühlen sich durch Deine Berichterstattung noch bestätigt. Auf Twitter trendet gerade das Hashtag #DankeBild.

Dort feiern Dich Impfgegner als „Gegengewicht zur offiziellen Regierungspolitik“. Ich weiß nicht, wie diese Leute den Auftrag von Journalismus definieren. Aber einen Vorteil hat Deine Berichterstattung tatsächlich. Wie schrieb der Kollege, der die Zeitungsseite mit der Einigkeit-und-Freiheit-Schlagzeile auf eine leere Klopapierrolle spannte und knipste, unter das Foto? 

„#DankeBild. Ihr rettet uns den Arsch!“           

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