Bewaffnungsdebatte - Drohnen schützen Soldaten

Nach jahrelangen Debatten hat die SPD jetzt eine „Projektgruppe“ gegründet, um das Thema Drohnen „in angemessener Weise“ zu diskutieren. Der ehemalige General Harald Kujat warnt davor, die Causa zum Wahlkampfthema zu machen: Die Systeme sind überlebenswichtig für die Soldaten der Bundeswehr.

Man kann Soldaten nicht ohne die notwendige Ausrüstung in den Einsatz schicken / dpa
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Autoreninfo

Harald Kujat ist ein deutscher General a. D. der Luftwaffe. Er war von 2000 bis 2002 der 13. Generalinspekteur der Bundeswehr und von 2002 bis 2005 Vorsitzender des Nato-Militärausschusses.

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Die Ausrüstung der Bundeswehr mit Drohnen ist eine Geschichte des Versagens und Scheiterns. Offensichtlich ist die Politik gegenwärtig um deren Fortsetzung bemüht. Diesmal mangelt es allerdings nicht nur an sicherheitspolitischer Weitsicht und strategischem Urteilsvermögen. Bedenklich ist auch die politische Einstellung zur Bundeswehr und zu ihren von der Verfassung und dem Parlament zugewiesenen Aufgaben. Rationale Argumente, die es rechtfertigen, den Soldaten die zur Auftragserfüllung sowie zu ihrer Sicherheit und ihrem Schutz geeignete Ausrüstung und Bewaffnung zu verweigern, sucht man vergebens. 
Die Ausrüstung der Bundeswehr mit Drohnen, die auch Waffen tragen können, ist beschlossene Sache. Ob diese Drohnen die dafür geeigneten Waffen erhalten, ist jedoch alles andere als sicher. Aktuell nicht zur Debatte steht dabei die Frage nach autonomen Waffensystemen. Die tatsächlich besorgniserregenden Trends in der Waffentechnologie bleiben in der Diskussion außen vor. 

Während sich die Grünen und die Linke bereits gegen bewaffnete Drohnen positioniert haben, verlangt die SPD eine Verlängerung der seit Jahren andauernden öffentlichen Diskussion bis zur Bundestagswahl im Herbst 2021, um bis dahin eine eindeutige Entscheidung zu vermeiden. 

Die ewige Debatte

Die Anfänge der Diskussion reichen weit zurück. Bereits 1979 wurde im Führungsstab der Streitkräfte ein Einsatzkonzept für Drohnen erarbeitet. Konkrete rüstungspolitische Konsequenzen wurden daraus nicht gezogen. Selbst angesichts der massiven Aufrüstung der Sowjetunion mit nuklearen eurostrategischen SS-20-Raketen und der Besetzung Afghanistans verzichtete die Bundesregierung auf eine strategische Aufklärungsfähigkeit der Bundeswehr, die wesentlich zur Verbesserung der eigenen sicherheitspolitischen und strategischen Lagebeurteilung beigetragen hätte. Deshalb blieb die strategische Aufklärungskapazität sehr begrenzt, obwohl sich die geostrategische Lage der europäischen Nato-Mitgliedstaaten erheblich verschlechtert hatte.

Sicher, es gab andere Informationsquellen und den Informationsaustausch in der Nato, zu dem vor allem die Vereinigten Staaten beitrugen. Die militärischen Möglichkeiten, die Drohnen auch im Verteidigungsfall bieten, wurden dagegen lange ignoriert.
20 Jahre später initiierte die militärische Führung der Bundeswehr nach den Erfahrungen der Lufteinsätze über Bosnien-Herzegowina und zu Beginn der Afghanistanmission der Nato eine trans­atlantische Kooperation zur Beschaffung einer Variante der in großen Höhen fliegenden amerikanischen Global-­Hawk-Drohne (High Altitude Long Endurance/HALE), um den Bedarf an kontinuierlicher, weitreichender Aufklärung zum Schutz der Soldaten im Einsatzgebiet sicherzustellen. Ein Jahr später folgten die Staats- und Regierungschefs der Nato der Empfehlung des Nato-­Militärausschusses und beschlossen ebenfalls auf Basis der Global-­Hawk-Drohne das Alliance Ground Surveillance System (AGS). 

Ein Musterbeispiel für die Rüstungsmisere

Das AGS-Konzept sah vor, dass die mit Radar und weiteren Sensoren ausgerüsteten Drohnen im Verbund mit der Awacs-Flotte eine Nato-­Kernfähigkeit sicherstellen, die durch deutsche und andere nationale Systeme ergänzt werden sollte. 
Das AGS der Nato wird in Kürze den Erstbetrieb aufnehmen. Die volle Einsatzbereitschaft soll Mitte 2022, immerhin nach 20 Jahren erreicht werden. Das entsprechende deutsche Projekt wurde Anfang 2020 nach mehreren Änderungen, die sowohl die Drohnenvariante als auch das Aufklärungssystem (optische beziehungsweise Signalaufklärung) betrafen, nach 20 Jahren endgültig aufgegeben. Varianten der Global-Hawk-Drohne fliegen heute höchst erfolgreich in verschiedenen Ländern. In die Geschichte der Bundeswehr ging das Projekt als Musterbeispiel für die Rüstungsmisere des Ministeriums ein.

Um den fast zehn Jahre zuvor festgestellten dringenden Aufklärungsbedarf in Afghanistan zu decken, wurden 2010 drei israelische Heron-1-Drohnen für den operativen Einsatz in mittleren Höhen geleast. Der Leasingvertrag läuft in diesem Jahr aus. Als Übergangslösung bis zur Einsatzbereitschaft der Eurodrohne wird von der Bundeswehr die leistungsgesteigerte Weiterentwicklung Heron TP geleast. 

SPD und Grüne verzögern

Heron TP ist ebenfalls ein Aufklärungssystem für mittlere Höhen (Medium Altitude Long Endurance/MALE), jedoch mit einer längeren Missionsdauer und der Fähigkeit, Waffen zu tragen. Wegen politischer Vorbehalte wurde zwischen den Koalitionsparteien CDU/CSU und SPD vereinbart, „über die Beschaffung bewaffneter Drohnen wird der Deutsche Bundestag nach ausführlicher völkerrechtlicher, verfassungsrechtlicher und ethischer Würdigung gesondert entscheiden“.

Mitte 2020 wurde eine in verschiedenen Formaten durchgeführte Debatte mit einem Vorschlag für Einsatzgrundsätze abgeschlossen. Im Zusammenhang mit der Einleitung des parlamentarischen Verfahrens zur Mittelfreigabe für die Beschaffung im Dezember 2020 forderte die SPD-Fraktion jedoch, weiter „ergebnisoffen breit öffentlich zu diskutieren“, nachdem der Parteivorsitzende Norbert Walter-Borjans erklärt hatte, „die im Koalitionsvertrag geforderte ausführliche und breite Debatte hat es im erforderlichen Umfang nicht gegeben“. 

Bündnis 90/Die Grünen gingen Mitte Dezember 2020 in einem parlamentarischen Antrag noch einen Schritt weiter und forderten: „Keine Beschaffung bewaffneter Drohnen für die Bundeswehr“. Begründet wurde der Antrag damit, „dass die Verfügbarkeit bewaffneter Drohnen die Einsatzszenarien erweitern und letztlich zu einer höheren Gefährdung von Soldatinnen und Soldaten führen“ würde. „Angriffe mittels bewaffneter Drohnen […] führten […] sehr oft zu erheblichen Kollateralschäden.“ Es sei naheliegend, dass „die politischen Hemmschwellen (politischer Entscheidungsträger, Anm. d. Autors) zugunsten eines Einsatzes sinken“. Zudem bestünde „die Gefahr, dass aufgrund von Bündnisdynamiken trotz Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Einsatzes zugunsten einer Verwendung von bewaffneten Drohnen entschieden wird“. 

Nowabo entwirft Scheinszenarien

Diese Argumente können ebenso wenig überzeugen wie das Fallbeispiel, mit dem der SPD-Vorsitzende seine Ablehnung begründet: „Sie (bewaffnete Drohnen, Anm. d. Autors) lösen unter Menschen, die sich den unbemannten bewaffneten Flugobjekten ausgeliefert fühlen, Angst, Empörung und Gewalt aus.“ Besorgt fragt er: „Was geschieht, wenn eine aufgebrachte Menge sich von einer bewaffneten Drohne bedroht fühlt und sie attackiert? Ist das ein Fall, in dem der*die entfernt sitzende Bediener*in die unbemannte Maschine zur Verteidigung auf Menschen schießen lassen darf?“ 

Norbert Walter-Borjans sollte sich statt solcher skurrilen Szenarien eher fragen, ob es nicht zu Recht von den Soldaten als skrupellos empfunden wird, wenn das gleiche Parlament, das sie in Einsätze schickt, in denen sie ihr Leben aufs Spiel setzen müssen, ihnen die Ausrüstung verweigert, auf die sie für die erfolgreiche Ausführung des Bundestagsbeschlusses und ihren dringend notwendigen Schutz angewiesen sind. Oder wird in den Augen des SPD-Vorsitzenden ein Einsatz, der dem Völkerrecht und den Einsatzregeln entspricht, erst dadurch legitimiert, dass deutsche Soldaten sich (unnötig) in Gefahr begeben?

Wichtig für die Sicherheit aller

Wie wichtig es ist, die Erkenntnisse aus den Einsätzen in richtige Entscheidungen umzusetzen, haben wir mehrfach leidvoll im Afghanistaneinsatz erfahren müssen. Wie wäre wohl das Karfreitagsgefecht 2010 verlaufen, wenn die deutschen Soldaten bereits über bewaffnete Drohnen verfügt hätten? In Auslands­einsätze, für deren erfolgreiche und sichere Durchführung nicht alles getan wird, darf man deutsche Soldaten nicht schicken. 

Es geht aber nicht nur um den Schutz unserer Soldaten in Auslandseinsätzen, sondern auch um unser aller Sicherheit durch die von der Verfassung geforderte Verteidigungsfähigkeit. Mögen die Argumente gegen bewaffnete Drohnen ideologisch begründet oder von naiver Realitätsferne bestimmt sein; in einer Koalitionsregierung könnten sie die Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit gefährden. Beispielsweise indem ein Regierungsmitglied – wie der Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz Ende letzten Jahres – verhindert, dass der Haushaltsausschuss des Bundestags die fest eingeplanten Mittel für die Bewaffnung der Drohne freigibt.

Eurodrohne für 2028/29 geplant

Es ist deshalb fraglich, ob die Eurodrohne, ein Gemeinschaftsprojekt Deutschlands, Frankreichs, Italiens und Spaniens, unter vergleichbaren Umständen von einer Koalitionsregierung realisiert werden könnte. Die Aufklärungsdrohne für den Einsatz in mittleren Höhen soll ab Ende 2028/Anfang 2029 als Nachfolgesystem der Heron-TP-Drohne ausgeliefert werden. Sie soll über ein äußerst anspruchsvolles Fähigkeitsspektrum in den Funktionen Aufklärung und Schutz mit abbildenden und signalerfassenden Sensoren, über die Fähigkeit des Waffen­einsatzes zur Luftnahunterstützung von Bodentruppen und die notwendige Durchhaltefähigkeit für den Einsatz in der Landes- und Bündnisverteidigung sowie in Kriseneinsätzen verfügen. Diese Entscheidung steht völlig im Einklang mit dem Völkervertragsrecht und dem Völkergewohnheitsrecht: Weder Beschaffung noch Besitz oder Einsatz dieser Drohnen in einem bewaffneten Konflikt sind verboten – soweit der Einsatz im Rahmen des humanitären Völkerrechts erfolgt.

Eine bewaffnete Heron-TP-Drohne wird wie ein bemanntes Flugzeug von einem Piloten gesteuert; und die Waffe wird von diesem entweder nach nationalen Einsatzregeln oder von der Bundesregierung gebilligten „Nato Rules of Engagement“ auf der Grundlage eines Mandats des Bundestags eingesetzt. Sollten sich zu einem späteren Zeitpunkt die technischen Bedingungen so weit entwickelt haben, dass mit diesem System ein autonomer Waffeneinsatz möglich wäre, müsste die dazu erforderliche Umrüstung ohnehin von den Ausschüssen des Bundestags genehmigt werden.

Berechtigte Sorgen vor weiterer Automatisierung

Es besteht allerdings kein begründeter Anlass für die Annahme, der technologische Fortschritt könnte ausschließlich auf zivile Anwendungen beschränkt werden – es sei denn durch wirksame Rüstungskontrollverträge oder das (humanitäre) Völkerrecht. Deshalb ist die Sorge vor einer weiteren Automatisierung der Zielidentifizierung und des Waffeneinsatzes luftgestützter Trägersysteme berechtigt – und daher auch grundsätzlich das Verlangen, den ethischen, technischen und militärischen Aspekten letaler autonomer Waffensysteme volle Aufmerksamkeit zu schenken. 

Keinen Unterschied macht es allerdings, ob ein Ziel von einer Rakete bekämpft wird, die über große Distanz von einem bemannten Flugzeug, von einem Marschflugkörper, einer bewaffneten Drohne abgeschossen wird oder einer Boden-Boden-Rakete. 

Wahlkampf mit Drohnendebatten

Weder für Heron TP noch für die künftige Eurodrohne ist ein autonomer Waffeneinsatz vorgesehen. Gleichwohl schließt die SPD eine parlamentarische Entscheidung noch in dieser Legislaturperiode aus. Sie verlangt eine öffentliche Diskussion, ausdrücklich nicht von Experten, sondern von „Kirchen, Gewerkschaften oder NGOs“. Dass es dabei nicht um die Bewaffnung der Heron TP, sondern – höchst theoretisch – um eventuelle, unspezifische Zukunftsprojekte gehen wird, machte der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich deutlich: „Angesichts neuer Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz sind sie ein großer Schritt hin zum automatisierten Töten. Einen solchen Schritt sollten wir jedenfalls nicht ohne eine breite gesellschaftliche Debatte gehen.“ Die von CDU und SPD gebildete Bundesregierung hat einen „solchen Schritt“ hin zu letalen autonomen Waffensystemen bereits im Mai 2014 gegenüber den Vereinten Nationen ausgeschlossen: „Deutschland beabsichtigt nicht, Waffensysteme zu besitzen, die den Menschen die Entscheidung über Leben und Tod abnehmen. […] Selbst in Kriegszeiten können Menschen nicht zu einfachen Objekten maschineller Aktivitäten gemacht werden.“ 

Es geht also offensichtlich darum, eine Positionierung der SPD und damit eine Entscheidung der Bundesregierung vor der Wahl zu vermeiden. Dem ehemaligen SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel ist zuzustimmen, dass die Wähler vor Bundestagswahlen Anspruch darauf hätten, „über grundlegende Veränderungen in der politischen Haltung einer Partei aufgeklärt zu werden“. Sollte die SPD tatsächlich einen „grundlegenden Sinneswandel ihrer bisherigen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik“ vollzogen haben, müsste dies gravierende Auswirkungen auf künftige Regierungskoalitionen haben.

Dieser Text stammt aus der März-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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