Umgang mit Politikern - „Manchmal muss man die Ehre auch schützen“

Gerichte haben geurteilt: Renate Künast muss hinnehmen, als „Drecksfotze“ beschimpft zu werden und Björn Höcke darf als „Faschist“ bezeichnet werden. Beide Gerichtsurteile werfen eine Frage auf: Können Richter in einer polarisierten Gesellschaft neutral sein?

Björn Höcke von der AfD / picture alliance
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Carsten Löbbert ist Präsident des Amtsgerichts Lübeck und Bundesprecher der Neuen Richtervereinigung, einer Initiative von Richtern und Richterinnen und von Staatsanwälten und Staatsanwältinnen, die sich dafür einsetzt, dass die Justiz zum Wohl der Gesellschaft funktioniert.

Herr Löbbert, gerade hat das Verwaltungsgericht Meiningen entschieden, dass Thüringens AfD-Chef Björn Höcke es sich gefallen lassen muss, Faschist genannt zu werden. Hat Sie das Urteil überrascht?
Nein, gar nicht. In der politischen Auseinandersetzung sind solche Bezeichnungen möglich, und Leute, die in der Auseinandersetzung stehen, müssen sich auch einiges gefallen lassen. 

Die Stadtverwaltung Eisenach, die gegen die Veranstalter einer Demo „gegen die rassistische AfD, insbesondere gegen den Faschisten Höcke“ geklagt hatte, sah das anders. Sie sah – neben der öffentlichen Sicherheit – auch die Persönlichkeitsrechte des Politikers bedroht. 
Diese Auffassung kann man vertreten. Aber in diesem Fall, finde ich, wurde eher noch keine Grenze überschritten. Denn die Frage, ob etwas als „rassistisch“ oder als „faschistisch“ angesehen wird, ist Teil der politischen Auseinandersetzung. Im Rahmen der freien Meinungsäußerung darf man dazu eine Auffassung vertreten.

In der Urteilsbegründung heißt es, die Bezeichnung fuße auf einer „überprüfbaren Tatsachengrundlage“. Die Richter bezogen sich auf Presseberichte über Höcke und Zitate aus seinem Buch, in denen zum Bespiel vom „bevorstehenden Volkstod durch den Bevölkerungsaustausch“ die Rede ist. Ist das nicht interpretationsfähig? 
„Faschistisch” und „rassistisch“ sind Begriffe, die historisch und soziologisch definiert sind. In einer politischen Auseinandersetzung darf man deshalb die Auffassung vertreten, bestimmte Äußerungen erfüllten diese Defintionen. 

Zuvor hatte das Landgericht Hamburg geurteilt, Alice Weidel müsse es hinnehmen, als „Nazischlampe” tituliert zu werden. Als solche war sie in der Satire-Sendung „extra 3“ bezeichnet worden. Ist eine Beleidigung keine Beleidigung mehr, wenn sie den Stempel „Satire“ trägt?
Natürlich spielt der Kontext eine Rolle – vor allem in der Frage, wie genau etwas bewertet wird. Im Fall Alice Weidel war es wohl so, dass ähnlich beleidigende Begriffe von der Partei für Geflüchtete wie „Messermänner“ oder „Kopftuchmädchen“ verwendet werden. Die Satire funktionierte dann so, dass man ähnliche Begriffe auf Alice Weidel anwendete. Das Gericht urteilte, in der Satire sei das ein erlaubtes Stilmittel. 

Viele Klagen wegen Beleidigung werden mit Hinweis auf die Meinungsfreiheit abgelehnt. Wo hört die Meinungsfreiheit auf, wo fängt die Beleidigung an? 
Grundsätzlich gilt die Meinungsfreiheit als hohes Gut. In einer freiheitlichen Demokratie soll grundsätzlich niemand in der Lage sein, jemand anderem zu sagen: Du darfst dies oder das nicht sagen. In den USA und in Großbritannien wiegt dieses Recht noch viel schwerer. 

Die Beleidigungen gehen dort noch tiefer unter die Gürtellinie?
Ja, die Gerichte sind dort sehr viel großzügiger. Nach deutschem Rechtsverständnis fängt die Grenze dort an, wo das Ziel darin besteht, jemanden herabzuwürdigen und wo die Beleidigung selbst Inhalt der Äußerung ist. 

Das heißt, wenn man selber Opfer einer Beleidigung geworden ist, sollte man besser nicht klagen – weil der Schaden, der entstünde, wenn das Gericht die Klage mit Hinweis auf die Meinungsfreiheit abweist, unter Umständen größer ist als der Nutzen, den die Kläger haben, wenn sie gewinnen?
Genau. Man sollte sich das gut vorher überlegen. Auch hier kommt es bei der Einordnung natürlich immer auf den Kontext an. Wer als Journalist oder Politiker selbst in der Öffentlichkeit steht, muss so etwas aber aushalten können. 

Für solche Berufsgruppen gelten andere Maßstäbe als für andere?
Ja, das ist so. Gleichwohl gibt es auch dort Grenzen. 

War die grüne Politikerin Renate Künast vor diesem Hintergrund gut beraten, als sie anonyme Hater im Internet verklagte, die sie als „Drecksfotze“ beschimpft hatten?
Grundsätzlich schon. In diesem Fall geht es ja gerade um die Frage, ob die Schmerzgrenze für eine Person des öffentlichen Lebens überschritten wurde oder nicht. Die Begriffe, die da gefallen sind, sind schon starker Tobak. 

Viele Menschen halten das Urteil für skandalös. Sie auch? 
Ja, nach meinem Dafürhalten wurde hier eine Grenze überschritten. Jedenfalls ist es juristisch sehr gut vertretbar, es so zu sehen.

Carsten Löbbert / privat

Auch dann, wenn man den Kontext berücksichtigt, in dem die Beleidigungen gefallen sind? Zum Verhängnis wurde der Politikerin ein Ausruf, der ihr in den achtziger Jahren in einer Debatte über sexuellen Missbrauch von Kindern über die Lippen gerutscht war. Ihr wurde unterstellt, dass sie Pädophilie dulde, was sie aber abstreitet. 
Gleichwohl stellt sich doch die Frage, wo die Grenze verläuft. Frau Künast als „pädophil“ zu bezeichnen, wäre ja vielleicht noch etwas anderes gewesen, als sie als „Geisteskranke“ oder „Stück Scheiße“ zu beschimpfen. Im ersten Fall hätte man ja noch darüber streiten können, ob das stimmt oder nicht. Die anderen Fälle hatten aber überhaupt keinen Sachbezug mehr. Dort ging es offenbar nur noch darum, sie zu diffamieren und herabzuwürdigen. 

Täuscht der Eindruck, oder spiegelt sich die Verrohrung der Sprache, die in allen Lebensbereichen beklagt wird, auch in solchen Urteilen wider?
Schwer zu sagen. Jedenfalls tragen solche Urteile nicht dazu bei, dass der Verrohung der Sprache Einhalt geboten wird.  

Im Gegenteil, sie sind ein Freibrief für Hater, die Latte für Beleidigungen im Internet noch tiefer zu legen. Können es sich Richter in Zeiten wie diesen erlauben, auszublenden, welche Signalwirkung von einem Urteil wie diesem ausgeht?
Nicht die „Signalwirkung“ kann für Urteile ein Maßstab sein, sondern nur das „Recht“. Aber natürlich geht es bei Entscheidungen wie diesen immer auch darum, Grenzen dessen aufzuzeigen, was Rechtens ist und was nicht. Gerade bei der Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und dem Schutz der Ehre ist das wichtig. Manchmal ist es dann wichtig, die Ehre zu schützen.

Richter sollten eigentlich neutral sein. Im Fall Künast kann man sich vorstellen, dass sie es wirklich waren.
Natürlich sind Richter auch Menschen. Sie sind es, die am Ende die Entscheidung treffen und diese auch verantworten müssen. Richter sind zwar unabhängig, keiner darf ihnen reinreden. Diese Unabhängigkeit bringt aber auch eine hohe Verantwortung mit sich. Jeder weiß, dass man auch im Unterbewusstsein beeinflusst werden kann. 

Fällt Ihnen aus Ihrem Alltag als Familienrichter ein Beispiel dazu ein?
In Unterhaltsprozessen kommt oft die Frage auf: Wieviel Prozent muss der eine Elternteil arbeiten, wenn er ein Kind betreut und deshalb vom anderen Partner Unterhalt fordert. 50 Prozent? 60 Prozent? 70 Prozent? Diese Frage hat natürlich viel mit der eigenen Erwerbsbiographie zu tun. Und da ertappe ich mich dabei, dass ich denke: Ich muss auch viel arbeiten, warum können das andere nicht auch? 

Wie oft fragen Sie sich als Richter: Bin ich wirklich neutral? 
Das muss man sich ständig fragen. Richtig unabhängig kann man nur sein, wenn man sich seiner eigenen Abhängigkeiten bewusst ist und damit umgehen kann. Das gilt vor allem dort, wo es um Wertungsfragen geht. 

Wie groß ist der Ermessensspielraum, den Richter haben?
Das hängt vom Rechtsgebiet ab. Je allgemeiner die Vorschriften, desto größer sind die Ermessensspielräume. Bei der Frage, was eine Beleidigung ist, ist dieser Spielraum sehr groß. 

Was schätzen Sie, wie hoch ist er in Prozent gerechnet?
Weniger als 50 Prozent – aber nicht viel weniger. 

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