Presseschau zur Bayernwahl - „Das Ende einer Quasimonarchie“

Wird Seehofer zurücktreten müssen? Was wird nun aus der Sonderrolle Bayerns? Und wann trifft das Beben die Große Koalition in Berlin? Eine Presseschau ausgewählter deutschsprachiger Medien

CSU-Chef Markus Söder nach der Bayernwahl / picture alliance
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Für Spiegel Online analysiert Sebastian Fischer: „Die Anti-AfD-Strategie der CSU ist gescheitert und für dieses Scheitern wird zuvörderst Horst Seehofer bezahlen müssen.“ Als Folge der Wahl werde die CSU nicht mehr die gewohnte Selbstsicherheit aus ihrer bayerischen (Sonder)rolle ziehen können. „Denn wer kann schon mit rund 35 Prozent Wähleranteil in Zukunft noch behaupten, er verkörpere den Freistaat und seine Menschen“, schreibt Fischer. Kanzlerin Angela Merkel und die CDU würden so noch weniger Freude an der bayerischen Schwester haben als zuvor. Denn viele in der Partei machten eben nicht nur Seehofer, sondern insbesondere auch Angela Merkel für die Niederlage verantwortlich.

Vom „Ende einer Monarchie“, schreibt Birgit Baumann für den österreichischen Standard. Die Bayern hätten der CSU den Freistaat schlicht nicht mehr alleine anvertrauen wollen, und wünschten sich ein Korrektiv an deren Seite. So sei mit dem Ende dieser Quasimonarchie für Bayern ein Stück Normalität wahr geworden. „Auch dort wird man künftig um Kompromisse ringen und als CSU ein paar kleinere Brezeln backen müssen.“ Noch nicht absehbar sei hingegen, wie sich das Ergebnis auf die Bundespolitik in Berlin, wo die CSU ja mit am Kabinettstisch sitzt, auswirken werde. Grundsätzlich sei die CSU da bislang mit einer recht simplen Mission unterwegs gewesen: „Fühlt sie sich stark, glaubt sie Merkel angehen zu können. Ist sie schwach, verspürt sie auch genau diesen Drang – im Glauben, damit wieder stärker zu werden.“

„Ohne personelle Konsequenzen kann eine solche Niederlage nicht bleiben“, kommentiert Hansjörg Müller in der Schweizerischen NZZ. Zwar gelte der Ministerpräsident Markus Söder als unpopulär, aber der Chef der CSU, Horst Seehofer, habe bei sämtlichen Streitereien, welche die Große Koalition in den vergangenen Monaten erschüttertet haben, im Zentrum des Geschehens gestanden. „Seine Zeit als Minister könnte bald schon zu Ende sein“, schreibt Müler und hält es für eher unwahrscheinlich, dass die Wahl darüber hinaus unmittelbare Auswirkungen auf die deutsche Regierung haben werde. Merkel habe in Bayern ohnehin nur verlieren können, denn auch wenn die CSU besser abgeschnitten hätte als erwartet, so wäre auch dies als Niederlage der Kanzlerin gewertet worden. Und schließlich: „Interesse an einem Bruch der Koalition und darauffolgenden Neuwahlen können derzeit weder die Unionsparteien noch die SPD haben.“

„Die alte CSU ist tot“, titelt Sebastian Beck in seinem Kommentar für die Süddeutsche Zeitung und glaubt trotzdem, Markus Söder habe in dieser schwärzesten Stunde der Partei geradezu unverschämtes Glück. „Jeder andere müsste an seiner Stelle sofort zurücktreten. Er aber kann sich trotz zweistelliger Verluste halten und wird eine Koalitionsregierung anführen.“ Denn auch der Zeitplan, den die bayerische Verfassung zur Regierungsbildung vorsehen, sei so eng, dass für grundlegende Personal- und Strategiedebatten kaum Zeit bleibe. Zur SPD bemerkt Beck, auch wenn sich die Sozialdemokraten in Bayern immer schon schwer getan hätten, habe sie in ihrer 125-jährigen Geschichte als Landtagsfraktion den Freistaat mit geprägt. Doch „jetzt ist die Partei marginalisiert.“

Jasper von Altenbockum schreibt in der FAZ: „So besonders diese Wahl für Bayern und die Bundesrepublik auch ist, Bayern ist künftig, parteipolitisch gesehen, nichts Besonderes mehr.“ Die CSU könne glücklich sein, dass sie überhaupt noch eine strategische Mehrheit habe. Aber ist Bayern wirklich aus den Fugen? Es sehe selbst nach diesem Erdbeben eher nach business as usual aus. „Nichts anderes bedeuten die kommenden Verhandlungen, die in einer veränderten politischen Landschaft stattfinden mögen.“ Sei der Staub dieser Landtagswahl verflogen, werde sich aber vielleicht auch die Einsicht durchsetzen, dass Koalitionen der Normalfall der Bundesrepublik immer gewesen seien.

Auf Zeit Online kommentiert Peter Dausend, die CSU sei schon immer selbstherrlich gewesen. Diese Hybris sei sogar einer der Gründe für ihren Erfolg gewesen. „Das größte Wirtschaftswachstum! Die wenigsten Arbeitslosen! Die pfiffigsten Innovationen!“ Dann aber habe die Flüchtlingskrise begonnen. „Anstatt sich weiterhin hemmungslos selbst zu loben – etwa für professionelles Management der Krise oder rasch anlaufende Integrationsmaßnahmen – verlor sich die CSU-Führung in der Allmachtsfantasie, die Vergangenheit verändern zu können“, schreibt Dausend. Die CSU müsse sich jetzt entscheiden. „Zwischen Seehofer und Söder, zwischen enthemmtem AfD-Sound und gedrosseltem Bajuwaren-Unmut, zwischen Eskalieren und Befrieden. Und, die wichtigste Entscheidung, zwischen Allmachtsfantasie und Selbstherrlichkeit.“ Der Aufstieg der Grünen zur zweiten Macht im Freistaat habe neben dem menschlichen Faktor auch einen hochpolitischen: „die Rückkehr der Ökologie. Hitzesommer, Insektensterben, Glyphosat im Boden, Plastik im Meer, Gift in der Luft: Verdeckt von der ewigen Flüchtlingsdebatte sind diese Themen in den vergangenen Monaten raus aus der grünen Ecke und weit hinein in das bürgerliche Lager gekrochen.“

Der Chefredakteur der Welt, Ulf Poschardt, kommentiert: Dass die SPD nicht von der kaputten Ehe Seehofers und Söders habe profitieren können, sondern noch bescheidener dastehe als zuvor, verdeutliche: „Das Ergebnis in Bayern ist eine Abstimmung gegen die große Koalition in Berlin. Es wird so nicht weitergehen.“ Wahrscheinlich brauche der Kanzlerinnenwahlverein der Union aber erst noch ein weiteres Debakel in Hessen, um sich ernsthaft die Frage zu stellen, ob auch die Union den deprimierenden Weg der SPD gehen wolle.

In der Bild widmet sich Nikolaus Blome dem Schicksal der SPD: „Die GroKo wird ihr Grab – so sehen es Partei-Linke im grellen Licht des Debakels, wer will ihnen heute widersprechen?“ Denn SPD werde nicht einmal mehr als Opposition ernsthaft gebraucht. „Die Grünen sind das neue Rot. Sie sind die größten Wahlsieger.“ Sie hätten es geschafft, dass weltoffene, bürgerliche Wähler vor allem Grün wählen, wenn ihnen Kurs und Stil der CSU nicht mehr passten. „Die Zeiten von Alleinregierungen sind selbst in Bayern vorbei. Und die SPD hat als Volkspartei aufgehört zu existieren. Die andere, die CDU, sollte gewarnt sein.“

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